Kein übles „Mädl aus der Vorstadt“ in der „Josefstadt“

Michael Schottenberg inszenierte Nestroy am Theater in der Josefstadt

In seinem ehemaligen Haus, dem Volkstheater, hat Michael Schottenberg einen praktikablen Rahmen für die Stücke Nestroys gefunden: die spießige Zeit der Fünfzigerjahre. Dabei bleibt er auch in der „Josefstadt“ und transferiert „Das Mädl aus der Vorstadt“ in eine Jahrzehnte zurückliegende Vergangenheit. Bar jeglicher Aktualisierungen und Interpretationsversuche zeigt Schottenberg Nestroy als großen Skeptiker an der Menschheit und Virtuosen im Umgang mit Sprache, was er auch war.

von Josefstadt © Bild: Erich Reismann Photography

Im Zentrum steht Schnoferl, Winkeladvokat und Fadenzieher, der die Ehepläne der von ihm verehrten Frau Erbsenstein mit seinem Freund Gigl zu hintertreiben und die undurchsichtigen Geschäfte des Spekulanten Kauz aufzudecken versucht. Hans Kudlich hat seine praktikable Bühne, eine Wand mit einer erklecklichen Anzahl von Türen, bestens auf die ins Wien übertragene Pariser Vaudeville-Komödie abgestimmt. Für „Das Mädl aus der Vorstadt“ diente Nestroy „La Jolie Fille du Faubourg“ des Franzosen Charles Victoire Varin als Vorlage. Nestroy verlegt den Schwerpunkt auf sein Misstrauen gegenüber menschlicher Integrität. Und darum geht es. Fast jeder und jede ist ein bisschen ein Schlawiner, böse, intrigant, selbstsüchtig, ausgenommen Thekla, das titelgebende Mädl. Und diese Menschheitsskepsis hat Nestroy in präzise gezeichnete Figuren und in ein virtuoses Spiel mit Sprache verpackt.
Um diese beiden wesentlichen Kennzeichen des österreichischen Dramatikers des Biedermeier auf der Bühne zu zeigen, bedarf es eines starken Ensembles, das mit Sprache umzugehen versteht.
Thomas Kamper erfüllt diese Voraussetzung in Gestalt des Schnoferl. Er bringt alles mit, was man für diese Figur braucht: dämonisches Auftreten, Schärfe, eine klare, ausdrucksstarke Sprache und eine Dynamik, die nie aufdringlich wirkt. Michou Friesz zeigt die 27-jährige Erbsenstein mit der noblen Anmutung einer Jeanne Moreau. Matthias Zauner probiert es als Spekulant Kauz mit etwas zu viel Gemütlichkeit. Daniela Golpashin agiert in der Titelrolle mit der Bescheidenheit ihrer Figur. Matthias Franz Stein ergänzt als Gigl ideal, wie der Rest des Ensembles.
Rätselhaft bleibt, weshalb die der zweieinviertel Stunden währenden Aufführung nahezu keine Kurzweiligkeit aufkommt. Möglich, dass es an den Couplets liegt, die wie Chansons mit Jazz- und Blues-Rhythmen vorgetragen werden.
Dennoch übertrifft dieses „Mädl“ die meisten Nestroy-Aufführungen der letzten Zeit in Wien.

Josefstadt
© Erich Reismann Photography

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