Thomas Bernhards
Neffe in der Gummizelle

Susanne Zobl über die Uraufführung von „Totes Gebirge“ von Thomas Arzt

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Totes Gebirge © Bild: Astrid Knie

Schnee fällt durch den kaputten Dachstuhl des verfallenden Sanatoriums. Die vergilbten Wände sind mit Lautsprechern versehen, ein Panoramafenster, das sich fast über die ganze hintere Wand erstreckt, wirkt wie ein Kasperltheater. Betreten wird der Raum durch eine Drehtür. Miriam Buschs Bühne ist naturalistisch und programmatisch. Der Raum, die Gummizelle, ist Endstation für jene im Endstadium ihres Daseins.

Je nach Bedarf lässt Regisseurin Stephanie Mohr den Raum drehen, die Außenwände, die Hinterzimmer sind von Stephen Kingscher Atmosphäre.

Der Lehrer Raimund Woising (Ulrich Reinthaller) hat es bis in den Garten des Anwesens geschafft. In Bergschuhen und Jogginganzug, einen Eispickel in der Hand, wird er im Sanatorium aufgenommen. Er habe „seine Mitte verloren“ stellt Psychiaterin Theresia Mölbing (Susa Meyer) am Ende fest. Was der Auslöser für seine bipolare Störung war, eine Schockreaktion auf einen Anruf seiner Schwester Josefine (Maria Köstlinger), der Konsum von Drogen, Burnout lässt der Autor offen, und das ist auch nicht so wichtig, viel wichtiger ist die Integration seine neue Umgebung. Und die sind der Alkoholiker Emmanuel Loser (Roman Schmelzer) und der an einer tödlichen Zellerkrankung leidende Nepomuk Elm (Stefan Gorski).

Wie das alles geschieht, wirkt wie ein Remake von Thomas Bernhards Erzählung „Wittgensteins Neffe“, verfällt aber trotzdem nicht in Epigonentum. Arzt zeigt Bernhard als Teil österreichischer Dramatik.

Totes Gebirge
© Astrid Knie

Bernhardsche Motive sind bei ihm die Grundpfeiler seines Stücks: ein künstlerisch veranlagter Leidender, der niemanden anderen hat als eine bodenständige Schwester flieht vor Welt und Leben in den Wahn, lässt den Kritik an Österreich und an der Gesellschaftskritik üben und fügt Elemente von Nestroys Stücken und ein paar Zeilen aus den Gedichten Wilhelm Müllers Gedichte-Zyklus „Winterreise“ hinzu. Auch Schubert wird am Klavier gespielt.

In Abständen formiert sich das Ensemble zu einem Chor. Die Personen geben ihre Identität auf, setzen Masken von Perchten oder Fantasietieren auf und singen im Chor. Und das geschieht in einer seltsamen Kunstsprache, die mit Begriffen österreichischer Mundarten aus diversen Teilen des Landes spielt.

Die Musik dazu hat die österreichische Formation „Franui“ komponiert und begleitet das Stück über Lautsprecher an der Zimmerwand. Stephanie Mohr verfolgt die diversen Haken, die Arzt in seinem Stück schlägt, vielleicht etwas zu präzise und das schafft Längen. Die exzellenten Schauspieler gleichen diese aus. Maria Köstlinger agiert als Schwester Josefine mit blonder Perücke, wenn sie mit Aktentasche auftritt, um die Sachwalterschaft für ihren Bruder zu übernehmen, wirkt sie, als käme sie von der Schule.
Ulrich Reinthaller zeichnet mit Mimik und Gestik die eindrucksvolle Studie eines psychisch Kranken. Stefan Gorksi, einer der jungen im Ensemble rückt mit der Nebenrolle des Nepomuk als glänzender Darsteller ins Zentrum. Roman Schmelzer, Peter Scholz und Susa Meyer zeigen sehr gutes Schauspielertheater.

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