Terrorismus: Was dahinter steckt und wie man sich schützen kann

Terrorismus ist in den vergangenen Jahren vermehrt zu einem Thema geworden, mit dem sich Medien und Öffentlichkeit immer mehr beschäftigen. Aber was ist Terrorismus überhaupt? Wie finanzieren sich Terroristen? Und kann man sich vor Terror schützen? Diese und andere Fragen über Terrorismus hat Dr. Nicolas Stockhammer, Terrorexperte an der Uni Wien, für News.at beantwortet.

von Eine Polizeieinheit im Einsatz. © Bild: iStockphoto.com/Onfokus

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist Terrorismus?
  2. Was ist das Ziel von Terrorismus?
  3. Kann man "Krieg gegen den Terrorismus" führen?
  4. Wie unterscheidet sich der heutige Terrorismus von beispielsweise jenen Aktionen der RAF?
  5. Wie wahrscheinlich sind Einzeltäter?
  6. Wie wird sich der Terrorismus weiterentwickeln?
  7. Welche Terrororganisationen agieren heutzutage?
  8. Wie finanzieren sich diese Organisationen?
  9. Wie eng sind Organisationen mit den ausführenden Terroristen verknüpft?
  10. Inwiefern spielen psychische Erkrankungen bei Radikalisierungen eine Rolle?
  11. Wie kann man sich vor Terrorismus schützen?
  12. Welche Maßnahmen gegen Terrorismus machen aus staatlicher Sicht Sinn?
  13. Werden Terroranschläge in Zukunft zunehmen?
  14. Kann man Amok und Terrorismus strikt voneinander unterscheiden?
  15. Islamistische, rechts- oder linksextreme Motive: Warum werden Taten unterschiedlich wahrgenommen?
  16. Wie hat der Terrorismus unsere Gesellschaft verändert?

Was ist Terrorismus?

"Terrorismus ist politisch motivierte Gewalt oder die Androhung selbiger gegen unbeteiligte Dritte (Zivilisten)."

Terrorexperte Nicolas Stockhammer
© News/Matt Observe Dr. Nicolas Stockhammer, Terrorismusforscher an der Universität Wien
Nicolas Stockhammer, geboren in Wien, ist Politikwissenschaftler mit Fokus auf Extremismus-und Terrorismusforschung sowie Sicherheitspolitik. Er absolvierte einschlägige Forschungsaufenthalte an der Stanford University, in Tel Aviv und in Berlin. Seit Juli 2021 obliegt ihm die wissenschaftliche Leitung und Koordination des Research-Clusters "Counter-Terrorism, CVE (Countering Violent Extremism) and Intelligence" an der Donau-Universität Krems.

Was ist das Ziel von Terrorismus?

"Die Zielsetzungen von Terrororganisationen und radikalisierten Einzeltätern können vielfältig sein und je nach Einzelfall dementsprechend variieren.

Im Vordergrund steht zumeist das Übermitteln von Gewaltbotschaften (Terrorismus als gewaltbasierte Kommunikationsstrategie), um Adressaten entweder direkt oder indirekt anzusprechen, entweder zwecks Einschüchterung oder zur Rekrutierung/Einschwörung auf die "gemeinsame Sache".

Vor allem ist die Durchsetzung politischer Anliegen bzw. Interessen (z.B. Regierungen zu vorschnellen Handlungen zu zwingen- etwa zum Abzug westlicher Truppen aus muslimisch dominierten Konfliktgebieten oder zur kurzfristigen Etablierung härterer Maßnahmen in der Terrorismusbekämpfung etc.) ein wesentliches Kriterium der terroristischen Zielsetzung.

Der Kollateraleffekt, die Verbreitung von Angst und Schrecken sowie die Störung alltäglicher Abläufe (z.B. das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel) wird bewusst einkalkuliert und ebenfalls als ein (Unter-)Ziel definiert.

Als ultimative Zielsetzung von Terroristen ist nach wie vor das Befördern von Instabilität und politischer Handlungsunfähigkeit im angegriffenen Staat anzusehen, wenngleich auf ideologischer Ebene eine gesellschaftliche Spaltung (Moderate gegen Extremisten bzw. Muslime gegen Nicht-Muslime etc.) für Terroristen als höchst erstrebenswert gilt."

Es heißt oftmals, dass "Krieg gegen den Terrorismus" geführt wird. Per Definition ist das gar nicht möglich, oder?

"Das ist per Definition kategorisch auszuschließen. Der Terrorismus ist ein „Drittes zwischen Krieg und Verbrechen“ und zugleich auch ein hybrider Aggregatzustand zwischen Krieg und Frieden.

»Man kann den Terrorismus bekämpfen, aber keinen Krieg gegen ein Phantom gewinnen«

Am ehesten ist er als eine konvergente, asymmetrische Taktik zu begreifen. Man kann den Terrorismus bekämpfen, aber keinen Krieg gegen ein Phantom gewinnen.

Terrorismus-Bekämpfung ist eine mühsame Stückwerkarbeit, bei der Zeit (vor allem in der Prävention) eine wesentliche Rolle spielt. Wenn man sich im öffentlichen Diskurs wie einst die US-Regierung unter George W. Bush nach 9/11 auf eine Rhetorik von Sieg und Niederlage einlässt, kann man nur verlieren, zumal die wahren Siege (Erfolge) gegen den Terrorismus im Verborgenen bleiben. Denn vereitelte Terroranschläge werden aus ermittlungstaktischen Gründen medial kaum ausgeschlachtet."

Wie unterscheidet sich der heutige Terrorismus von beispielsweise jenen Aktionen der RAF?

"Fundamental. Die RAF war eine sozialrevolutionäre, linksextremistische Bewegung, die vordergründig rein ideologische Ziele durchsetzen wollte. Die Führung der RAF hat Akte der politischen Gewalt gegen unbeteiligte Dritte für eine gerechtfertigte und aussichtsreiche Methode gehalten.

»Der Terrorismus ist wahlloser, aber noch viel unberechenbarer geworden«

In den späten 1970-ern in Deutschland war die Zielwahl der RAF nicht derart wahllos wie heute. Die Prämisse der RAF-Führungsriege war dem Anspruch gewidmet, vor allem Köpfe des „kapitalistischen Establishments“, also Personen mit entsprechender Macht in einflussreichen Positionen (etwa Ponto, Schleyer, Buback, Herrhausen) ins Visier zu nehmen und zu entführen bzw. zu „eliminieren“.

Bei heutigen Anschlagsszenarien, sowohl im Spektrum jihadistischer als auch rechtsextrem motivierter Terrorakte spielt dieses Kriterium bei der Zielwahl bislang eine untergeordnete Rolle. Der Terrorismus ist wahlloser, aber noch viel unberechenbarer geworden, was unter anderem auch an einer Zunahme von Anschlägen durch radikalisierte Einzeltäter liegt."

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Individuum auf "eigene Faust" handelt?

"Aktuelle Szenarien legen nahe, dass aufgrund eines enger geknüpften Sicherheitsnetzes in Europa Gelegenheits-Terroranschläge durch radikalisierte Einzeltäter vergleichsweise einfacher zu planen und administrieren sind.

Außerdem ist die mediale Resonanz auch bei kleineren und mittleren Plots (z.B. Straßburg) in Europa ungebrochen hoch. Ein koordinierter (= projektierter) Terrorakt durch eine netzwerkartig strukturierte Zelle ist logistisch aufwendig und beinhaltet mehrere Planungsebenen. Durch die damit verbundene intensive Kommunikation vor der Durchführung entsteht für die Terroristen ein ungleich höheres Risiko aufzufliegen."

Wie wird sich der Terrorismus weiterentwickeln? Stichwort Hackerangriffe

"Es zeichnen sich gegenwärtig mehrere brisante Trends gleichzeitig ab. Nicht nur im klassischen Cyberbereich der Hackerangriffe - hier ist die Grenze zwischen Cybercrime und Cyberwar fließend - ist ein dramatischer Anstieg an entsprechenden Aktivitäten zu verzeichnen, auch ist der Einsatz von internetbasierten Technologien zu terroristischen Zwecken ganz generell ein heißes Thema.

Aktuell werden multiple Szenarien, wie das Hacken kritischer Infrastrukturen (Kraftwerke, Flughäfen und dergleichen) oder der Einsatz von Drohnen als Waffen in Expertenkreisen breit diskutiert. Und gerade das sogenannte „Internet of Things“ (Verkehrsleitsysteme, Gebäudetechnik etc.) offenbart klaffende Sicherheitslücken, die von Terroristen unverhohlen ausgenutzt werden könnten.

In anderen Bereichen registriert man derzeit ebenfalls bedrohliche Entwicklungen - so wird der Einsatz von chemischen Waffen (Gase, Säuren etc.) für kommende Szenarien als nicht unwahrscheinlich eingestuft. Denkbar wären zudem Terrorakte mit biologischen Erregern (z.B. Anthrax) oder, wie man in den USA befürchtet auch irgendwann ein Szenario mit einer schmutzigen Atombombe."

Welche Terrororganisationen agieren heutzutage - welche sind die wichtigsten?

"Das wären die üblichen Verdächtigen - für Europa am relevantesten sind vor allem der noch aktive und gefährliche Terrorarm des IS und eine wiedererstarkte al-Qaida, die sich einen Kampf um jihadistische Deutungshoheit liefern.

Andere wie die Taliban, Boko Haram, Hamas, Hizbollah oder die al-Shabab Milizen sind primär regionale Player.

»Mit Blick auf Österreich ist zudem vor den Extremisten der Muslimbruderschaft zu warnen«

Gleichzeitig entstehen zumeist durch Absplitterung immer wieder neue Gruppierungen. Aus heutiger Sicht gibt es da momentan keinen neuen terroristischen Akteur vom Schlage der beiden erstgenannten, der sich am Horizont herausbildet. Ausschließen kann man das jedoch nie, wie das plötzliche Heranwachsen des IS zu einer substantiellen Bedrohung demonstriert hat.

Mit Blick auf Österreich ist zudem vor den Extremisten der Muslimbruderschaft zu warnen, wie ein aktueller Report verdeutlicht."

Wie finanzieren sich diese Organisationen?

"Vorwiegend aus Erlösen durch Organisierte Kriminalität: Drogen, Entführungen, Menschenhandel etc. Im Einzelfall sind auch Geldströme aus staatlichen Zusammenhängen nachgewiesen worden. Das ist aber ein heißes Eisen. Beweise für solche Querfinanzierungen zu finden erweist sich häufig als komplex und ist zudem diplomatisch hochgradig sensibel. Denn wer wagt es einen Staat der Terrorismusfinanzierung beschuldigen?

Aber auch Kleinkriminalität spielt eine immer größere Rolle bei der Terrorismus-Finanzierung, vor allem im Kontext der Single-Actors (im Laien-Jargon "Lone Wolfs").

Wie eng sind die Organisationen mit den eigentlichen, ausführenden Terroristen verknüpft?

"Das ist sehr unterschiedlich und variiert von Fall zu Fall. Generell sind größere, projektierte Plots wie im November 2015 in Paris oder 2016 in Brüssel nur unter enger Anbindung an bzw. Anleitung durch eine Terrororganisation denkbar. Bei (Gelegenheits-)Anschlägen durch Einzeltäter spricht man von loser „Initiative“ und in den meisten Fällen gab es im Vorfeld eine Kontaktaufnahme oder zumindest Solidaritätsbekundungen für eine Terrorgruppe."

Nach Terroranschlägen ist oftmals die Rede von einer psychischen Erkrankung des Angreifers. Gibt es Untersuchungen, inwiefern psychische Erkrankungen und Radikalisierung zusammenhängen? Oder gibt es Studien zu bestimmten Persönlichkeitstypen, die für solch eine Radikalisierung empfänglich sind?

"Das ist ein heikles Thema. Ich denke man muss sich generell von der Vorstellung lösen, Terroristen seien alles Verrückte. In Wahrheit haben sie eine andere, wenngleich für uns nicht nachvollziehbare Rationalität.

»Man muss sich von der Vorstellung lösen, Terroristen seien alles Verrückte«

In ihrer Logik spielen niedere Motive wie Rache und verbrecherischer Ruhm eine andere Rolle.

Gerade bei Jihadisten kann der Beweggrund die Reaktion auf ein zuvor erfolgtes Kränkungserlebnis sein, das in einem Underdog- bzw. Ehren-Narrativ stilisiert wird. Man vergleiche hierzu den Vorfall rund um die Charlie Hebdo Mohammed Cartoons und die brutalen Anschläge auf Mitglieder der Redaktion."

Wie kann man sich vor Terrorismus schützen?

Generell gilt mit gesundem Menschenverstand zu agieren. Wer die Augen und Ohren offen hält ist immer besser bedient. Insbesondere Großveranstaltungen stehen im Fokus der Terroristen. Da diese zumeist gut "bewacht" sind, vergrößert sich der Aktionsradius für Attentäter entsprechend. Es gibt keine Patentregel zum Selbstschutz.

Jedoch sollte man die konkrete Bedrohung nicht großreden und in keinen Alarmismus verfallen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Einzelperson Opfer eines Terroranschlags wird, ist verschwindend gering. Dennoch: Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen Terrorakt gibt, ist vergleichsweise ungleich höher."

Welche (sinnvollen) Handlungsmöglichkeiten, auch von staatlicher Sicht, gibt es, um den Terror einzudämmen?

"Primär ist die Prävention, die multidimensional angelegt sein muss, der erste Anker einer gelingenden Terrorismusbekämpfung. Makro-und mikrosoziologisch.

Hierbei ist ein komplementäres Interagieren aller Sicherheits-Stakeholder (Terrorismusbekämpfung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe!) zu gewährleisten.

Die Terroristen der 2010-er Jahre sind anarchisch lernfähig und passen sich veränderten Sicherheitsumgebungen flexibel an. Es bedarf regelrechter Netzwerke der Terrorismusbekämpfung, die man den Netzwerken des Terrorismus entgegensetzen muss.

Man muss zudem auf sämtlichen Ebenen mit gesellschaftlicher Langzeitwirkung ansetzen: In der pädagogischen Ausbildung, der Integration, in Justiz und Strafvollzug, Deradikaliserung um einige Bereiche anzusprechen. Vor allem gilt es aber die nachrichtendienstliche und die Staatsschutzkomponente entsprechend auszubauen und strategisch aufzustellen. Denn Taktik alleine ist immer nur an den Szenarien von gestern orientiert. Was dringend Not tut ist eine strategische Vorausschau. Wie wird der Terror von morgen aussehen?"

Werden Terroranschläge in Zukunft zunehmen?

Kurz gesagt ja. Es gibt keinen Konjunkturzyklus des Terrorismus, da es sich um ein Chamäleon handelt, das seine Ausprägungen und Erscheinungsformen verändert. Aber es gibt Entwicklungen, die nahelegen, dass es in Europa vermehrt zu Anschlägen kommen wird.

Einerseits die Diffusion des Kalifats in Syrien, die einen Rückstrom an Kriegsheimkehrern mit sich bringt, die radikalisiert und entsprechend ausgebildet bzw. desillusioniert sind.

Zudem befördert die geopolitische Lage den Terrorismus, indem militärische Interventionen, Allianzen oder Regime als ungerecht wahrgenommen werden. Proteste machen sich häufig ganz woanders, zum Beispiel in Europa bemerkbar und können im schlimmsten Fall in Terroranschlägen ausarten.

Nicht zuletzt hat das Internet der Radikalisierung Vorschub geleistet und auch "zuhause" gibt es unter den sog. Gefährdern mehr und mehr potentielle Attentäter, die zu extremen Mitteln greifen könnten. Kurzum: Europa bleibt im Fokus jihadistischer Gewalt."

Kann man Amok und Terrorismus strikt voneinander unterscheiden?

Nur durch genaue Kenntnis der jeweiligen Motivlage. Hin und wieder spielt beides zusammen, wenn beispielsweise jemand den Jihad als Trittbrett für ein Selbstmord-Vorhaben quasi "missbraucht."

Bei mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlägen ist sehr schnell von Terror die Rede, bei rechtsextremen oder linksextremen Taten hingegen eher zögerlich. Wie erklären Sie sich den Unterschied?

"Hierfür gibt es mehrere Erklärungen. Die simpelste ist, dass es bei islamistischen Terrorakten sehr schnell zu Bekenntnissen, Proklamationen oder Reklamationen durch Terrororganisationen kommt. Außerdem weist die Phänomenologie derzeit eindeutig in Richtung islamistische motivierte Taten. Zudem erscheinen links-oder rechtextremistisch motivierte Straftaten oft primär als Hassverbrechen bis sich den Ermittlern die weiteren Umstände und Hintergründe offenbaren."

Wie hat der Terrorismus unsere Gesellschaft verändert?

"Die Auswirkungen sind doch zu bemerken. Wir sind in allen Lebenslagen vorsichtiger geworden. Das Interesse und die Angst sind gleichzeitig dramatisch angestiegen. Würden wir dieses Interview führen, wenn es kein erhöhtes Bewusstsein für die Sache gäbe? Ich denke nicht. Auch im alltäglichen Umgang ist der Terrorismus ein Thema geworden. Nach den großen Anschlägen in Europa ist ein Ruck der Verunsicherung durch unsere Gesellschaften gegangen."

Inwiefern bringt unsere Kultur immer wieder Gewalt und Terror hervor?

"Das müssen Sie bei Steven Pinker (Gewaltforscher) nachlesen (lacht)"

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