In Assads Folterkeller

Seit elf Monaten tobt der Protest. Erstmals berichtet nun ein Aufständischer.

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Syrien - In Assads Folterkeller

Abu Omar trägt ein graues gestreiftes Hemd, darüber eine Lederjacke, und einen dicken, schwarzen Bart. Er ist einer von Tausenden syrischen Aktivisten, die in dem seit elf Monaten andauernden Aufstand gegen Präsident Baschar al-Assad in die Fänge von dessen Sicherheitsmaschinerie geraten sind.

Der Einmarsch
Es war der 20. Mai, als Abu Omar in seiner Heimatstadt Baniyas festgenommen wurde - und für 70 Tage in den Folterkerkern des Assad-Regimes verschwand. 70 Tage, sechs Gefängnisse und dennoch Glück: "Andere landeten für ein halbes Jahr im Kerker, ohne je bei einer Demo gewesen zu sein.“

Bis vor einem Jahr glich Abu Omars Leben dem vieler junger Syrer: ein 27-jähriger Mann mit einem Uni-Abschluss in Islamischem Recht. Seine Tage geprägt von der Arbeit im Geschäft seiner Eltern und den Stunden Freizeit, die er meist in der Moschee zubrachte. Dann, am 15. März, begann der Massenprotest in Daraa, am Rande der Hauptstadt Damaskus. "Auch in meiner Heimatstadt begann es zu gären, und ich stand an vorderster Front“, erinnert sich Abu Omar. Anfangs ging es um wirtschaftliche Reformen, aber je mehr starben und je weniger geschah, desto lauter wurde die Forderung nach Assads Abgang. In einem Aufstand, der bislang mehr als 5.000 Menschenleben forderte.

Am 7. Mai fuhren Dutzende Panzer und Tausende Sicherheitskräfte in Abu Omars Heimatstadt auf, um Baniyas’ sunnitische Viertel, die seit Anfang April von den Protestierenden gehalten wurden, zurückzuerobern. "Ab dem Moment, in dem sie die Stadt betraten, wusste ich, dass ich als Gesuchter galt“, sagt er, ohne zu zögern. Am 14. Mai zog sich das Gros der Kräfte zurück. Bloß Agenten der "Mukhabarat“, des Militärgeheimdienstes, und der "Shabbiha“, der Assad-treuen Miliz, blieben. Abu Omar tauchte unter, sehnte sich aber nach seiner Familie. Als er am 20. Mai in deren Haus auftauchte, informierte ein Spitzel aus der Nachbarschaft die Sicherheitskräfte.

Die Zeit der Qualen
Abu Omar wurde festgenommen, in die Militärbasis im nahen Lattakia gebracht und dort in eine Ein-Quadratmeter-Zelle ohne Fenster und Licht geworfen. Eine Stunde später begann sein Verhör. Nackt und in Handschellen wurde er in einen Raum gebracht, in dem er durch seine Augenbinde hindurch sechs Stiefelpaare von Offizieren erspähte.

"Sie beschuldigten mich, hinter dem Aufstand zu stecken, Teil einer ausländischen Verschwörung zu sein. Weiters sagten sie, ich sei ein Muslimbruder, bloß weil ich ein sehr gläubiger Mann bin.“

Nach einer halben Stunde voller Tritte und Schläge bestritt er weiterhin jede Beteiligung, was die Offiziere zu einer Verschärfung der Befragung veranlasste. "Ich musste auf dem Rücken liegen, während sie mit einem Gummiknüppel auf meine Beine einschlugen. Dann begannen sie, elektrische Drähte an meinen Fingern, den Ohren und meinen Geschlechtsteilen anzubringen. Es war so entwürdigend.“ Nachdem der Boden unter Wasser gesetzt wurde, um die Intensität der Stromschläge zu erhöhen, jagten sie einen nach dem anderen durch seinen Körper. "Was ich spürte, lässt sich nicht beschreiben. Du glaubst, deine Brust explodiert. Du schreist“, erklärt Abu Omar, die Blicke zu Boden gesenkt. Kaum zurück in der Zelle, hörte er die Schreie der anderen, die dasselbe Prozedere durchmachten.

bu Omar gestand nichts. Auch nachdem sie die Folter in den folgenden neun Tagen in Lattakia viermal wiederholt hatten. "Hätte ich es getan, wäre ich für 15 Jahre im Gefängnis gelandet. Dabei war ich bloß auf die Straße gegangen, um ein demokratisches und säkulares Syrien zu fordern. Ein Land, in dem ich nicht einem bestimmten Glauben angehören muss, um einen Staatsjob zu bekommen. Wo Imame nicht erst die Erlaubnis der ‚Mukhabarat‘ einholen müssen, bevor sie predigen dürfen.“

Am elften Tag brachten sie Abu Omar in eine Militärbasis in Damaskus. "Zur Begrüßung wurde ich verprügelt.“ Nackt ließen sie ihn einen Tag lang knien, mit einer dicken Militärdecke auf den Schultern. Dann, nach 30 Stunden, brachten sie den 27-Jährigen in seine Zelle: eineinhalb mal zwei Meter groß, zu teilen mit sieben anderen für die nächsten zwölf Tage. Geschlafen wurde sitzend, gegegessen ein Glas Oliven und ein Joghurt für alle am Morgen und etwas Reis und Brot abends. "Streit gab es deswegen keinen, denn wir saßen alle im gleichen Boot.“ Am fünfzehnten Tag durfte er erstmals duschen: 15 Sekunden lang, ohne Seife.

Die schlimmste Erniedrigung
Schlimmer als die täglichen Entsagungen war aber die ständige Erniedrigung, der die Gefangenen ausgesetzt waren.

Eines Tages erwischten sie Abu Omar beim Gebet. Sie schafften ihn aus der Zelle und banden ihn kopfüber in einem Gummireifen fest, der von der Decke hing. Sie droschen auf ihn ein. "Sie setzten mich auch einer inszenierten Exekution aus“, sagt Abu Omar mit einem nervösen Lachen, das das Drama des damaligen Moments verschleiern soll: Sie brachten ihn mit anderen Gefangenen in den Gefängnishof. Mit verbundenen Augen wurden sie an eine Wand gestellt. Schützen standen bereit. "Wir hörten, wie man sie aufforderte, zu laden und anzulegen. Ich dachte: Jetzt ist es vorbei. Dann schossen sie in die Luft! Die Wächter brachen in Gelächter aus. Ich glaubte, ohnmächtig umzukippen.“

Nach 13 Tagen eine erneute Verlegung. Ein Untergrundgefängnis in Damaskus, geführt von der "Mukhabarat“ - Abu Omars Aufenthaltsort für die nächsten zwei Monate.

"Die Bedingungen waren ein wenig besser. Die Zelle war groß, 75 Gefangene teilten sie sich. Es gab eine Toilette, und wir schliefen mit den Füßen aufeinander.“ Unwissend, was draußen vor sich ging, waren die Gefangenen darauf angewiesen, sich durch ihre eigenen Schilderungen auf dem Laufenden zu halten: "Da waren Menschen jeden Alters - vom 15-Jährigen bis zum Greis, alle festgenommen im Zuge des Aufstandes.“ Abu Omar sollte 50 Tage bleiben. 50 Tage - geprägt von der Routine der nicht enden wollenden Stunden im Kerker und der zunehmend sporadischer werdenden Folter. "Manchmal ließen sie uns nackt im Hof sitzen. Die Wärter schlugen und beschimpften uns, aber daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt. Nach den ersten zehn Minuten spürt dein Körper den Schmerz nicht mehr.“

Der Prozess
Abu Omar blieb all die Monate seiner Gefangenenschaft stark, irgendwie hoffend, entlassen zu werden, wenn er denn nicht zusammenbricht. Seine Geduld sollte sich Ende Juli bezahlt machen.

Innerhalb einer Woche wurde er in drei verschiedene Gefängnisse verlegt, davon ein ziviles, welches er belustigt als "Fünf-Sterne-Hotel im Vergleich zu den anderen“ beschreibt. Dort war es ihm zum ersten Mal nach fast 70 Tagen erlaubt, seine Familie anzurufen. "Als mein Bruder abhob, erkannte er mich nicht“, erzählt er, "er schrie nach meiner Mutter und begann zu weinen.“ Sie alle hatten längst die Hoffnung verloren, Abu Omar jemals wieder lebendig zu treffen. Tag für Tag waren sie durch die Leichenhäuser gezogen, ständig voll der Furcht, dort auf seinen gefolterten Leib zu stoßen.

Zwei Tage später landete Abu Omar schließlich in Tartus, einem Ort 40 Kilometer südlich seiner Heimatstadt. Dort sollte ihm der Prozess gemacht werden. Ein Prozess, der niemals stattfand.


Nach zwei Anhörungen war es seiner Familie gelungen, genügend Geld aufzutreiben, um den Richter zu bestechen und Abu Omar in Freiheit zu bringen. Der behauptet, nicht zu wissen, wie viel sein Vater zahlte, erklärt aber, dass in solchen Fällen zwischen 6.000 und 8.000 Dollar Bakschisch üblich seien.

Kaum zuhause, blieb Abu Omar nicht viel Zeit im Kreis seiner Familie. Es vergingen bloß Stunden, bevor ein Freund auftauchte, der ihm riet, so schnell wie möglich zu fliehen, denn Agenten der "Mukhabarat“ hätten sich bereits an seine Fersen geheftet.

Abu Omar tauchte abermals unter. Drei Wochen lang. Zeit, die sein Vater nützte, um die Flucht außer Landes zu arrangieren. Ein Besuchsvisum für Dubai, das ihm ein Freund besorgte, war der Rettungsanker. Und erneutes Bestechungsgeld für die Sicherheitsbeamten am Flughafen von Damaskus. Anfang September verließ Abu Omar Syrien - in der Zwischenzeit war das Haus seiner Eltern bereits zweimal von Agenten durchsucht worden und einer seiner Brüder ebenfalls untergetaucht.

Als im Dezember Abu Omars Visum für Dubai auslief, sollte der Libanon, Syriens westliches Nachbarland, seine Rettung sein. Dort kam er bei einer neu gegründeten syrischen Hilfsorganisation unter, die - nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt - den Widerstand gegen Assad und Unterstützung für die Freie Syrische Armee, jene Abtrünnigen aus Assads Truppen, organisiert.

Der neue Kampf
Abu Omar ist nun ein Cyber-Aktivist. Einer, der das Netz nutzt und nur darauf wartet, sich zurück nach Syrien zu schleusen. Doch er muss aufpassen, denn selbst im Libanon lauern Assads Verbündete. Gemeint ist die radikal-islamische Hisbollah, welche im Libanon in der Regierung sitzt und bereits einige Aktivisten gekidnappt und der "Mukhabarat“ ausgeliefert haben soll. Zuversichtlich, dass das Assad-Regime fällt, fürchtet Abu Omar auch nicht, erneut in dessen Fänge zu geraten. "Es ist eine Erfahrung, die mich stärker machte. Wir Syrer sind endlich aufgewacht. Aber wir brauchen Zeit, unser Ziel zu erreichen.“

Seit Monaten ist Syrien Thema in den Nachrichten. Der Aufstand gegen den dortigen Präsidenten Assad setzt das fort, was in Tunesien, Ägypten und Libyen seinen Anfang nahm. Doch aus dem abgeschotteten Überwachungsstaat dringen kaum objektive Informationen nach draußen. Um zu verstehen, was vor sich geht, ist die Geschichte Abu Omars beispielhaft. Der 33-jährige italienische Nahost-Spezialist Matteo Fagotto hat Abu Omar im Libanon getroffen und seine Story als Gastbeitrag für NEWS zu Papier gebracht. Es ist ein Dokument des Grauens und der Aktualität.