"Meistersinger" für
das 21. Jahrhundert

Susanne Zobl über Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" in Berlin

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Meistersinger © Bild: Bernd Uhlig

In Wien zeigt man seit Jahrzehnten Otto Schenks bewährte, märchenhafte „Meistersinger“-Inszenierung. Daran gibt es nichts auszusetzen, die ist bewährt und gefällt. Bei den Salzburger Festspielen erzählte Stefan Herheim das Wettsingen um die Gunst der Goldschmiedstochter Eva als Traum des Schusters Hans Sachs. Das war schlüssig, verspielt und fein anzusehen. In Berlin nahm sich Andrea Moses Deutschlands sogenannte „Nationaloper“ vor. Sie verlegt die Geschichte der Meistersinger aus dem 17. Jahrhundert in die Gegenwart, zeigt die Zunftmeister als wohlhabende Unternehmer, die nichts anderes gelten lassen als ihre Prinzipien, bis der Ritter Walther von Stolzing, der rebellische Eindringling, der schlimme Störenfried kommt und Eva den Kopf verdreht. Und plötzlich erscheint alles so einfach, so logisch, so klar.

Schon der Beginn macht klar, hier passiert etwas, wenn Stolzing (Klaus Florian Vogt) sich während der Messe unter die Betenden und Singenden mengt und seine Eva (stimmlich und darstellerisch vorzüglich, Julia Kleiter) küsst. Moses nimmt Wagner wörtlich, wendet sich Walther doch wenige Takte später an Evas Amme, Magdalene (Anna Lapkovskaja), mit den Worten, „Fräulein, verzeiht der Sitte Bruch!“ Moses verfolgt ihre Linie konsequent. Penibel ist jede Person geführt und, auch die Chorszenen entsprechen einer präzisen Choreographie. Veit Pogner stimmsicher dargestellt von Kwangcul Youn ist der Besitzer eines Großkonzerns, der seine Tochter nach alten Regeln verheiraten will.

Ein Clou, die alten Meister mit Legenden aus dem Wagnerfach wie Siegfried Jerusalem als Balthasar Zorn, Graham Clark als Kunz Vogelsang, Franz Mazura als Hans Schwarz, Reiner Goldberg als Ulrich Eisslinger als zu besetzen. Paul O’ Neill als Augustin Moser als, Olaf Bär als Hans Foltz und der ausgezeichnete Gyula Orendt als Konrad Nachtigall, Jürgen Linn als Fritz Kothner komplettieren die Meisterriege. Die Partie des David mit Stephan Rügamer sehr gut besetzt.

Meistersinger
© Bernd Uhlig

Jan Pappelbaum hat eine praktikable Bühne gebaut. Ein mit hellem Holz getäfelter Saal dient, je nach Bedarf, als Kirche oder als Versammlungsraum eines Konzerns. Das Firmenlogo, nicht unähnlich dem Mercedes-Stern, rotiert vor den Fenstern.

Jedes Detail, jeder Teil ist auch im zweiten Aufzug präzise durchgeführt. Leuchtreklamen mit den Firmennamen der Meister erhellen die Stadt in der Johannisnacht. Die deutsche Fahne hängt schlapp am Bühnenrand. Fußballfans schwingen Fahnen, schlagen den Nachtwächter (Jan Martinak) nieder.

Pause. Fortsetzung folgt am nächsten Tag. Im Libretto und am Berliner Premierenwochenende. Und das ist gut so. Zum gewaltigen dritten Aufzug können die Sänger ausgeruht antreten. Die nächsten Vorstellungen werden an einem Abend gesungen.

In dessen Zentrum stehen Wolfgang Koch und Klaus Florian Vogt. Koch ist der idealtypische Hans Sachs unserer Zeit. Der einsame Mann, der Witwer, der Frau und Kinder verloren hat, der erfolgreiche Schuhproduzent, der auch selbst noch Hand am feinen Leder anlegt, ist ein Intellektueller. Sein Büro, eine Bibliothek ist sein Machtzentrum. Koch singt den Fliedermonolog nicht nur, er macht die Einsamkeit, das Verlangen eines Mannes begreif-, erlebbar. Kochs kongeniales Gegenüber verkörpert Klaus Florian Vogt, flott, jugendlich mit klarem, wunderbar geführten Tenor steht ihm alles zur Verfügung, was man sich von einem Wagner-Tenor wünschen will. Er ist der personifizierte Siegertyp. Da wird verständlich, wie Eva zwischen diesen beiden Herren hin- und hergerissen wird. Und Moses zeigt die Zweifel dieser Frau, die zwischen Konvention, Sicherheit und Aufbruch zu wählen hat. Dagegen kann Beckmesser nur als Karikatur durchgehen. Und die zeigt Markus Werba zeigt im braunen Knitteranzug bis zur Selbstentäußerung.

Meistersinger
© Bernd Uhlig Im Zentrum: Markus Werba (Beckmesser), Klaus Florian Vogt (Stolzing) und Wolfgang Koch (Sachs)

Koch gestaltet den Schlussmonolog formidabel vor der Kulisse des Berliner Stadtschlosses und leitet das Finale stimmig ein. Moses’ Lösung wirkt nachvollziehbar. Stolzing hat die Meisterehre verweigert, Sachs zur Achtung der Meister aufgerufen, da hebt sich das Bild vom Berliner Stadtschloss. An dessen Stelle erscheint eine grüne Wiese. Der Blick ist ins Weite, ins Ungewisse gerichtet.

Daniel Barenboim führt die Staatskapelle Berlin mit Wucht durch das Vorspiel zum ersten Aufzug, als wollte er einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Das überrascht, auch wenn manche Passagen etwas laut klingen. Der dritte Aufzug dagegen, wirkt feinsinnig, klar, in manchen Passagen fast transparent. Das erzeugt Spannung, auch wenn es so nicht den Hörgewohnheiten entspricht.

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