Virologe Steininger: "Wir müssen uns auf den Herbst vorbereiten"

Der Virologe und Infektiologe Christoph Steininger über die Vorteile von PCR-Tests und die Gefahr zu glauben, die Corona-Pandemie wäre bereits vorbei.

von Corona - Virologe Steininger: "Wir müssen uns auf den Herbst vorbereiten" © Bild: FWF/Luiza Puiu
Christoph Steininger studierte Humanmedizin in Innsbruck. Seine Facharztausbildung absolvierte der gebürtige Oberösterreicher anschließend am Institut für Virologie der Medizinischen Universität Wien. Seine weitere Ausbildung führten den Experten für Infektions- und Tropenkrankheiten der MedUni Wien u. a. nach Hamburg, San Diego (USA) und Peru

Sie sind der Entwickler des Gurgeltests. Wie viele Menschen gurgeln denn derzeit in Österreich täglich?
Ich bin nicht der Entwickler des Gurgeltests generell. Gurgeln wird in der Virologie schon seit Jahrzehnten eingesetzt, um Virusinfektionen zu diagnostizieren. Wir haben bei LEAD Horizon einen Prozess geschaffen, wie man das Gurgeln in ein gesamtdiagnostisches Konzept integrieren kann. Dieser Prozess führt sehr rasch und sehr verlässlich zu einem Testergebnis. Derzeit gurgeln in Wien 40.000 Menschen pro Tag -und es werden Woche für Woche mehr. Sobald es zu Öffnungen kommt, rechnen wir mit einer weiteren starken Zunahme.

Wie viele Tests könnten pro Tag ausgewertet werden?
Das Labor Lifebrain hat gerade die Kapazitäten hochgeschraubt, und mittlerweile können 400.000 Tests pro Tag ausgewertet werden. Das Projekt "Alles gurgelt" der Stadt Wien ist extrem erfolgreich. Wir bekamen vergangene Woche sogar einen Anruf aus Seoul, weil sie davon gehört hatten und Interesse daran haben.

Das Projekt "Alles gurgelt" ist derzeit auf Wien beschränkt. Gibt es Pläne, das Projekt auf ganz Österreich auszuweiten?
Ja, da gibt es ganz viele Bestrebungen. Das Gesundheitsministerium ist hier sehr aktiv und unterstützend, dass es zu einer weiteren Ausweitung kommt -idealerweise über ganz Österreich mit einem einheitlichen Konzept. Die Bundesländer arbeiten ebenfalls sehr aktiv daran, genau dieses erfolgreiche Konzept in Pilotregionen zu etablieren.

Wie genau ist dieser PCR-Test im Vergleich zu den Antigentests in der Teststraße?
Einen PCR-Test hinsichtlich Verlässlichkeit mit Antigentests zu vergleichen, wäre unfair, weil ein völlig anderes, verlässlicheres Testsystem verwendet wird.

Anders formuliert: Wie hoch ist die Wahrscheinlich, dass ich beim Gurgeltest ein falsches Ergebnis erhalte?
Es gibt keinen Test, der 100 Prozent garantiert, dass Sie eindeutig negativ oder positiv sind. Aber die PCR ist um Häuser verlässlicher als jeder Antigentest. Wir haben die letzten Monate immer wieder die Problematik bei den Antigen- Schnelltests gesehen, dass sie falsch positiv, aber viel häufiger falsch negativ sind. Das heißt: Infektionen werden nicht erkannt, und Infektionsketten können nicht unterbrochen werden.

Es treten laufend neue Varianten auf. Werden die alle beim derzeitigen PCR-Test erkannt?
Die Varianten sind natürlich ein Thema. Da reagieren die Hersteller der Testkits, indem die Reagenzien laufend angepasst werden. Das geht bei der PCR glücklicherweise viel einfacher als bei einer Impfung. Entscheidend ist, schnell zu erkennen, dass eine neue Variante zirkuliert. Da gibt es ganz großartige Projekte auf der ganzen Welt, wie z. B. auch jenes von Andreas Bergthaler vom CeMM. Hier wird laufend nach neuen Varianten gesucht, um rasch reagieren zu können.

Die Gurgeltests sollen ja auch dazu dienen, die Corona-Situation in Österreich in den Griff zu bekommen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Österreich derzeit?
Na ja. Die Corona-Lage wird vor allem bestimmt durch die Engpässe, die es bei den Intensivstationen gibt. Da hat sich die Lage etwas stabilisiert, sodass über Öffnungen gesprochen werden kann. Es ist aber wichtig, dass es begleitende Konzepte gibt.

Die Regierung plant, zu öffnen und dann im Sommer die Tests runterzufahren. Ist das aus Ihrer Sicht nicht recht gefährlich?
Ich habe es so verstanden, dass zwar für den Handel keine Eintrittstest erforderlich sind, aber sehr wohl für alle anderen Bereiche. Mein Verständnis ist, dass es in die andere Richtung geht, und das Gesundheitsministerium arbeitet massiv daran, die Gurgeltests auf ganz Österreich auszurollen. Das widerspricht der Meinung, dass man zurückfahren sollte. Möglich ist eine Modifikation der Strategie, wenn mehr Leute geimpft sind. Aber ich bin skeptisch, dass bis zum Sommer wirklich so viele Menschen eine Impfung erhalten wie angekündigt.

»Wir befinden uns in der gleichen Situation wie letzten Sommer. Die Pandemie ist nicht vorüber«

Ist es nicht aus virologischer Sicht in Hinblick auf die Varianten gefährlich, wenn man sagt, Impfen ersetzt Testen komplett? Schließlich ist noch nicht genau bekannt, ob Geimpfte weiter ansteckend sind und Varianten auftauchen, bei denen die Impfung nicht mehr wirkt ...
Ja, man muss weiterhin die Situation beobachten. In den USA ist allerdings eine große Studie publiziert worden, die sich anschaut, wie häufig es zu Durchbruchsinfektionen kommt. Da waren wir weit unten im Promillebereich. Und die, die eine Infektion hatten, erkrankten nicht schwer. Die Durchimpfung der Bevölkerung ist daher ganz entscheidend für die erfolgreiche Pandemiebekämpfung. Dass sich das durch neue Varianten ändert, wird sehr wahrscheinlich der Fall sein, aber auch dieser Entwicklung kann mit angepassten Impfstoffen entgegengesteuert werden.

Es wird auch sehr wahrscheinlich der Fall sein, dass im Herbst die Impfstoffe nicht mehr so gut wirken und wieder nicht genug Impfstoff für Auffrischungen da sein wird ...
Das kann sein. Aber wir werden in jedem Bereich immer schneller und besser.

Die Pandemie wird jedenfalls nicht so schnell vorbei sein, wie manche gerne ankündigen.
Nein, diese Situation wird uns sicherlich noch länger begleiten. Aber es wird besser werden, je mehr Menschen im In- und Ausland geimpft sind und je besser die Teststrategien werden. Ich bin optimistisch, trotzdem denke ich, dass wir noch länger mit diesem Thema umgehen müssen.

Kann man das Ausbreiten von Varianten überhaupt verhindern?
Wir haben die letzten Monate festgestellt, dass es wenig bringt, Regionen abzuriegeln. Man gewinnt nur etwas Zeit dadurch, weil der Prozess verlangsamt wird. Aber wir haben in einem aktuellen Projekt gesehen, dass neue Varianten häufig mit einer stärken Infektiosität einhergehen und die alten recht rasch verdrängen. So breitet sich etwa auch die Variante B.1.1.7+E484K, die zunächst in Tirol aufgetreten ist, rasch aus und ist bereits in Ostösterreich angelangt.

Wie lautet Ihre Prognose für den Herbst?
Wir müssen uns vorbereiten. Der Sommer wird sicherlich besser, aber im Herbst und Winter wird es wieder intensiver. Und da ist es wichtig, dieses Mal den Sommer zu nutzen -so viel zu impfen wie möglich und die Teststrategien auszubauen, so wie es derzeit in Wien passiert. Das ist wichtig, damit die Schulen wieder ganz aufsperren können und Restaurants, Handel und Gewerbe aktiv sein können. Denn ich weiß nicht, wie wir weitere Lockdowns finanzieren sollen.

Aber unsere Regierung hat doch die Pandemie mit dem Sommer für beendet erklärt ...
Wir befinden uns jetzt in der gleichen Situation wie letzten Sommer. Und ich hatte damals gewarnt und wurde dafür kritisiert. Wir spielen das Spiel gerne dieses Jahr wieder. Ich sage, der Sommer mag besser werden, aber wir müssen uns vorbereiten. Die Pandemie ist nicht vorüber.

Es heißt, nach einer schwachen Influenza-Saison folgt eine starke. Könnte es also nächsten Herbst/Winter tatsächlich zutreffen, dass beide Krankheiten gleichzeitig auftreten?
Sagen wir es so: Dadurch, dass wir so brav mit Social Distancing waren und sind, entwickeln wir weniger Immunität gegenüber anderen Atemwegsinfektionen. Dazu gehört nicht nur Influenza, sondern dazu gehören auch andere Virusinfektionen, die sonst weniger Probleme machen. Dieses Phänomen konnte man in Neuseeland im Winter sehen. Dort ist Corona ja kein Thema mehr, und es wurde geöffnet. Es folgte eine ganz heftige RSV-Saison. RSV ist so ähnlich wie Grippe. Wenn wir wieder öffnen und das Social Distancing zurückschrauben, kann es also sein, dass andere Infektionen wieder zusätzlich zu Corona relevanter werden.

Das Interview erschien ursprünglich im News 17/2021.