„Macbeth“ als Psychogramm abseits der Blutsuppe

Heinz Sichrovsky über eine spektakelfrei gelungene Verdi-Premiere

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Wiener Staatsoper - „Macbeth“ als Psychogramm abseits der Blutsuppe

Zuletzt hat in München Anna Netrebko als Lady Macbeth debütiert. Dazu war der Regisseur Martin Kusej aufgeboten, um den Effekt grenzskandalöser Umstrittenheit zu erzeugen. Mit Grund sprach die Opernwelt von einem Ausnahmeereignis. Für solche Apostrophierungen eignet sich die Wiener Produktion definitiv nicht. Zwar war Tatiana Serjan anno 2011 in Salzburg Riccardo Mutis und Peter Steins phantastische Lady. Aber wer erinnert sich daran zu Zeiten, da sich die auch fachliche Aufmerksamkeit zusehends auf Regieeskapaden konzentriert? Mit denen wiederum kann der deutsche Regisseur Christian Räth nicht dienen. Was er schafft, ist eine im besten Sinn repertoiretauglicht Arbeit. Die Geschichte wird klar, plausibel und spannend auf ihr Wesentliches konzentriert. Räth verlegt die Ereignisse aus dem Schottland des 11. Jahrhunderts in eine heutige Militärdikatur, in der sich immer neue Erlösergestalten an die Macht putschen. Dabei ändert sich an der humanitären Situation nicht das Geringste: Mit einem neuen Popanz auf der Fahne fährt die alte Folternomenklatura in ihrer Routine der Menschenverachtung fort.

Der Diktator Macbeth und seine geltungsgierige Lady sind nur Episoden der sich stets wiederholenden Geschichte. Weder Macbeth’ Vorgänger Duncan noch sein Nachfolger Malcolm sind um einen Deut besser als er. Gary McCann hat eine betonene Welt der Bespitzelung und der Angst gebaut. In der Exil-Szene aber kommen die Opfer zu Wort, an ihrer Spitze der mühelos übertreffliche Jorge de Leon als Macduff. Hier ruft Räth ohne plakative Aktualisierung die Bilder der Flüchtlingskatastrophe auf. Unklar gedeutet sind nur die Hexen, archetypische Geisterwesen in zerfallenden Militärmänteln.

© Wiener Staatsoper

Das Spannendste, auch Umstrittenste des Abends ist die Sicht des Dirigenten Alain Altinoglou. Analog zur Inszenierung wird weder in die mittelalterliche Blutsuppe gelangt noch, in den Hexen-und Spukszenen, die Geisterbahn bemüht. Die phantastisch spielenden Philharmoniker bemühen sich vielmehr um die Modernität und den Zukunftsblick des frühen Verdi. Es geht hier hörbar um die Psychogramme des machtbesessenen Paars, das der Macht nicht gewachsen ist. Mit atemberaubenden Streicher-Piani und aufregend konturscharfen Holzbläsersoli wird die Art Spannung generiert, die nicht aus dem Effekt kommt.

George Petean, der Macbeth, ist früh für den erkrankten Ludovic Tézier eingesprungen und nutzt die Situation erfreulich für sich. Petean ist kein archaischer Wüterich, sondern Inhaber eines edlen, mit betörender Noblesse geführten Baritonmaterials. Der mediokre, gegen seine eigenen Bedenken in die Bestialität getriebene Zauderer wächst in der finalen „Pieta, rispetto, amore“-Arie zu fast verklärter Schönheit und Ausdruckskraft des Singens (ohne sich versündigen zu wollen, fühlt man sich entfernt an Piero Cappuccilli erinnert). Zuletzt allerdings kriecht er, ein gedemütigtes Nichts wie Ghaddafi und Ceausescu auf der letzten Strecke, seinem von niemandem betrauerten Ende entgegen. Tatiana Serjan ist eine vorzügliche, idealerweise dunkel timbrierte und doch höhensichere Lady aus der ruhmreichen Sopran-Fraktion der Rolle. Der große Ferruccio Furlanetto als Banquo gibt dem Ganzen nebst Würde und gesanglichem Format auch noch den Glanz eines großen Namens.

Dass sich im Publikum keine Stimme des Widerspruchs erhob, könnte auch auf friktionsfreies Mittelmaß verweisen. Steht aber diesfalls für eine Produktion, der man noch viele gute Jahre prognostizieren kann.

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