Die Kainz-Medaille und der "Nestroy" - ein Rückblick

Mehr eine Oscar-Parodie beim Villacher Fasching als ein Ehrenabend der Bühnenkunst: Die "Nestroy"-Zeremonie bleibt unelegant. Gegen die Ausgezeichneten hingegen ist nichts einzuwenden. Nur das Publikum zögert, vielen von ihnen Gefolgschaft zu leisten. Weshalb?

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Die jährlichen Anmerkungen zum Nestroy-Preis samt zugehöriger Zeremonie habe ich lang neidlos den Kollegen vom Gesellschaftsressort überlassen. Ich selbst war ja schon skeptisch, als mich zur Jahrtausendwende der Wiener Kulturstadtrat Marboe davon in Kenntnis setzte, dass die von der Stadt gestiftete Kainz-Medaille in finaler Verräumung begriffen sei. 1999, im Jahr der Dernière, wurden noch Maria Happel und Robert Meyer als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet, wogegen kein theatersinniger Mensch etwas einwenden konnte. Sie fanden damit Eingang in eine seit 1958 betriebene, tendenziell furchterregende Ahnengalerie. Von den frühesten Ringträgern hatte zwar selbst meine Großmutter nur noch unscharf berichten können. Aber Attila Hörbiger, Hans Moser, Ernst Deutsch und Seniorenheime voller josefstädtischer Fürstinnenimitatorinnen kannte man noch, und die Jury hatte sich über Franz Morak, Anne Bennent oder Kirsten Dene wacker in die Neuzeit vorgearbeitet.

Dann wurde (kein Glanzstück des eben gewählten Bürgermeisters Häupl) die Epochen machende Kulturstadträtin Ursula Pasterk der Koalition mit der ÖVP geopfert. Und der Nachfolger, dem ich nur Gutes nachsagen kann, wollte sich mit etwas Dauerhaftem in die Stadtgeschichte eintragen. Die Kainz-Medaille setze in den Schreibtischladen der verehrungswürdigen Bemusterten doch bloß Grünspan an. Ein Fest müsse her! Dessen Beschaffenheit, bis heute einer Oscar-Parodie beim Villacher Fasching näher als einem Ehrenabend der Bühnenkunst, ließ mich die Jury nach einer Amtsperiode verlassen und sämtlichen Wiedereinladungen seither freundlich widerstehen. Aber was wir im Gründungsjahr 2000 komponiert haben, ist doch ein paar Stiche ins theaterkundige Herz wert.

Gert Voss war der erste mit dem "Nestroy" geehrte Protagonist. Sein Tod verdunkelt bis heute den Himmel über der Theaterstadt. Er wurde für den Trigorin in Tschechows "Möwe" ausgezeichnet, in der vom Regisseur des Jahres, Luc Bondy, verantworteten Inszenierung des Jahres am Akademietheater. Birgit Doll hatte mit ihrem Auftritt in Albees "Virginia Woolf" am Volkstheater sogar die favorisierte Jutta Lampe (wieder aus Bondys "Möwe") distanziert. Mit ihrem Andenken verbinde ich einen in der eigenen Biografie festsitzenden Schmerz: Ich habe ihr, in meiner Eigenschaft als fallweiser Beiträger zum gymnasialen Mitteilungsorgan "Homo Wasa", die erste Kritik ihres und meines Lebens geschrieben. Wer sie im Festsaal als Anouilhs "Antigone" gesehen hatte, wusste, wohin es mit ihr gehen würde, nämlich in die Himmelsregion des Berufs. Dass ihr Leben 2015, lang vor der Zeit, in einer Hölle der Selbstzerstörung endete, will ich bis heute nicht zur Kenntnis nehmen. Auch Bondy ist tot, er wäre, kaum glaublich, erst 74 Jahre alt.

Und heuer? Haben den "Nestroy" tadellose Künstler entgegengenommen. Keiner wird ihn Sarah Viktoria Frick missgönnen, einer Errungenschaft der großartigen Burgtheaterdirektion Matthias Hartmanns. Alle anderen Hauptpreise konnte das Volkstheater für sich entscheiden, die meisten für das seit Jahresfrist unermesslich gefeierte Jandl-Projekt "humanistää!". Sarah Viktoria Frick wiederum reüssierte mit der feinen Akademietheaterproduktion "Adern".

Dem Volkstheater wie "Adern" ist allerdings ihre relative Unbesuchtheit gemeinsam. Es scheint, als wollte die keinem theaterpolitischen Pluralismus verpflichtete Jury den Zuschauern pauschal die Satisfaktionsfähigkeit absprechen. Dass das nicht immer so war, erhellt ein Blick auf die Hauptpreisträger aus dem "Burg"-Kosmos seit 2001: Neben immer wieder Michael Maertens, Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr holten sich da Sven-Eric Bechtolf, Joachim Meyerhoff, Martin Wuttke, August Diehl, Sunnyi Melles, Edith Clever, Christiane von Poelnitz und die schwer entbehrte Regisseurin Andrea Breth ihr Publikum. Sie sind alle am Leben, und wie! Dass man sie in Wien nicht mehr sieht, ist nicht der Jury anzulasten.

PS: Es scheint, als zeigten die publizistischen Hilfszüge für das Volkstheater Wirkung: Nebst brutal Gemiedenem weist der Saalspiegel wachsenden Zulauf für einige Produktionen aus. Das kann man nur begrüßen. Besuchen Sie das Volkstheater! Sie sollten aber auch wissen, dass für den gut gebuchten "Faust" der (meist geschlossene) oberste Rang gar nicht verfügbar ist. Weil die von der Kritik stürmisch akklamierte große Leinwand von dort nicht zu sehen ist. Der "Nestroy" für den besten Hauptdarsteller, männlich, weiblich oder sächlich, sollte der Leinwand damit nicht mehr zu nehmen sein.

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