Heißt "La Bohème" künftig "La B-Wort"?

In dieser Kolumne ist Thomas Gottschalk kein Stammgast. Aber dass er über die Bekömmlichkeit seines Zigeunerschnitzels nicht einmal mehr diskutieren darf – das geht zu weit

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Haben Sie das auch gelesen? Thomas Gottschalk, der aschblondierte Schlawiner, der alte, zujunggebliebene Palaverant, ist in die Wahrnehmungskrise getaumelt. Warum? Wenn ich richtig verstanden habe, hat er einem Mitdiskutanten, der auf dem Verzehr seines Zigeunerschnitzels beharrte, nicht energisch genug widersprochen. Gottschalk wurde daraufhin Adressat eines „Shitstorms“ (das selten dumme Wort korrespondiert harmonisch mit der Widerwärtigkeit des Vorgangs). Er hat sich deshalb einsichtig gezeigt: Er stehe als Senior eben nicht immer auf der Höhe der Zeit und ihrer Erkenntnisse, werde aber das „Z-Wort“ nicht mehr gebrauchen.

Da widerspreche ich aber energisch. Freilich kann es einer sich epidemisch in Soziale Medien übergebenden Hunderttausenderschaft nicht zugemutet werden, Begriffen mit wissenschaftlichen Instrumenten beizukommen. „Zigeuner“, so wird behauptet, sei ein Hasswort und leite sich von „ziehende Gauner“ her. Diese Deutung entspringt allerdings nur der schmutzigen Phantasie der Leute, die man mit dem schönen, linken Schmähwort „Gutmensch“ bezeichnet hat, bis es von Nazis zwangsadoptiert wurde. Ob sich „Zigeuner“ aus dem Altgriechischen, dem Indischen oder dem Türkischen herleitet, ist ungeklärt und auch unerheblich.

Tatsache ist, dass es betörend (und dort, wo das Resultat Bestand hat, auch überwiegend ehrenhaft) in die Kulturgeschichte funkelt. Aber wie wollen Sie das Leuten erklären, die sich freiwillig zu „Usern“ analphabetisieren? Die von der Operette „Der Z-Wort-Baron“ noch nichts gehört haben und Brahms, den Komponisten der „Z-Wort-Lieder“, wenn überhaupt, für den Verfasser des „Tierlebens“ halten?

Nicht zu reden von dem das Herz zerreißenden Gedicht „Die drei Z-Wörter“:

An den Kleidern trugen die drei/ Löcher und bunte Flicken,/ aber sie boten trotzig frei/ Spott den Erdengeschicken.
Dreifach haben sie mir gezeigt,/ wenn das Leben uns nachtet,/ wie man’s verraucht, verschläft, vergeigt/ und es dreimal verachtet.
Nach den Zigeunern lang noch schaun/ mußt‘ ich im Weiterfahren,/ nach den Gesichtern dunkelbraun,/ den schwarzlockigen Haaren.

Vom Österreicher Nikolaus Lenau ist das, der in der beidermeierlichen Harmonisierungsmaschine den Verstand verlor und 1850 in klinischer Verwahrung starb. Der Zigeuner war für ihn, so wie für Strauß und Brahms, so wie auch für Verdi im „Troubadour“ oder für Bizet und Mérimée in „Carmen“, die Verkörperung eines Traums: vom freien Lebensentwurf, der sich mit stolzer Konsequenz den Feindseligkeiten einer ganzen Welt widersetzt.

In der Staatsoper, wo „Carmen“ soeben eine eindrucksvolle Premiere bestanden hat, murmelt das Übersetzungssystem schon etwas von „Romni“. Dabei ist die Situation hier noch wesentlich komplizierter: Das Volk der Zigeuner heißt in „Carmen“ nämlich „Bohème“, nach einer angeblich aus Böhmen zugewanderten Population. Heißt Puccinis Künstlertragödie nun künftig „La Z-Wort“ oder „La B-Wort“?

Jetzt wäre mir fast die „Wiener Theaterjury“ unbehelligt davongekommen. Dieses fünfköpfige Gremium zugemieteter Gschaftlhuber hat soeben die freie Opernszene ausgelöscht, nachdem eine andere Formation schon dem großen Theatererneuerer Erwin Piplits seit Jahren das Leben zur Hölle macht. Nun dringt man mittels waffenscheinpflichtigen Dramaturgenkauderwelschs auf interessante Gruppen wie Netzzeit oder Neue Oper Wien ein: Mangels „innovativer Ansätze zur künstlerischen Weiterentwicklung und zur Ausdifferenzierung der Kunstform“ wird ihnen die Subvention guillotiniert. Gelobt wird hingegen „die Wiener Tanz- und Performance-Szene“, der ich alles Gute wünsche. Die es sich aber nicht gefallen lassen sollte, von monopolaren Zwangsavantgardisten als Totschläger missbraucht zu werden.
PS: In der Jury entdecke ich neben Könnern auch Musikexperten, die sich vermutlich bis heute an der Frage aufreiben, warum der schwarze Mann mit dem Stock auf die vielen schwarzen Männer mit den Geigen losgeht.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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