Sowjet-Reaktor kommt wieder ans Netz: Slowakei nimmt AKW Bohunice in Betrieb

Staat geht damit auf Konfrontationskurs mit der EU 'Sind uns bewusst, dass wir Beitrittsvertrag verletzen'

Sowjet-Reaktor kommt wieder ans Netz: Slowakei nimmt AKW Bohunice in Betrieb © Bild:

Die Abschaltung des Atomkraftwerks war eine Bedingung für den EU-Beitritt der Slowakei im Jahr 2004 gewesen. "Wir sind uns bewusst, dass wir den EU-Beitrittsvertrag verletzen und ich übernehme dafür die volle Verantwortung", sagte Regierungschef Robert Fico vor Journalisten. "Wir befinden uns aber in einer Notlage. Der Schaden durch die Verletzung des Beitrittsvertrags ist geringer als der Schaden, der durch einen Zusammenbruch des Stromsystems entstehen würde."

Wirtschaftsminister Lubomir Jahnatek sagte, dass das Land durch die Gaskrise nur knapp an einem völligen Stromausfall ("Blackout") vorbeigeschrammt sei. Wegen der angespannten Lage nach dem Ausbleiben der russischen Gaslieferungen reicht nämlich schon eine kleine Fehlfunktion aus, um die Stromversorgung "eines großen Teils der Slowakei" völlig zum Erliegen zu bringen. Laut Fico sei der "kritische Punkt" erreicht, ab dem jedes Abwarten zu einem "Blackout" führen würde, da das Land gerade seine letzten Gasreserven zur Unterstützung der Stromversorgung verbrauche.

Versorgung garantiert
Fico sagte, die Wiederinbetriebnahme des am 31. Dezember abgeschalteten Reaktors mit einer Leistung von 440 Megawatt garantiere eine 100-prozentige Versorgung der slowakischen Bürger mit elektrischer Energie. Der zweite Block von Bohunice, der nach Angaben der staatlichen Betreibergesellschaft JAVYS schon in sieben Tagen wieder Strom produzieren könne, werde so lange in Betrieb bleiben, "bis die volle Versorgung mit Gas gewährleistet wird", sagte Fico.

Während Jahnatek sagte, dass EU-Energiekommissar Andris Piebalgs Verständnis für die "außerordentliche Notsituation" der Slowakei signalisiert habe, geht Fico davon aus, dass die Entscheidung zur Wiederinbetriebnahme des Bohunice-Reaktors innerhalb der Union nicht auf Zustimmung stoßen werde. Tatsächlich droht Bratislava nun ein Vertragsverletzungsverfahren.

Österreich dagegen
Die Verpflichtung zur Abschaltung des AKW kann nämlich nur mit expliziter Zustimmung aller 26 EU-Partner sistiert werden. Zumindest Österreich hat diesbezüglich aber bereits abgewunken. Außenminister Michael Spindelegger (V) sagte am Rande eines Besuchs in Prag, dass Bratislava in dieser Frage den EU-Vertrag einhalten müsse.

Fico sagte dazu, man solle den Standpunkt Österreichs in dieser Frage jedoch "nicht überschätzen". Es gebe andere Stimmen in der EU, die mehr Verständnis für die slowakische Notlage zeigten.

Greenpeace "fassungslos"
Die Umweltorganisation Greenpeace zeigte sich in einer ersten Reaktion "fassungslos" über die Wiederinbetriebnahme des Bohunice-Reaktors. "Die Slowakei bricht damit grob vorsätzlich den EU-Vertrag und spielt mit Leben und Tod von Millionen Menschen in Mitteleuropa", meinte Atomsprecher Herwig Schuster in einer Aussendung. Er forderte Kanzler Werner Faymann und Außenminister Spindelegger auf, diesen "illegal betriebenen Atomreaktor" sofort zu stoppen.

Das AKW Bohunice besteht aus drei Anlagen. Der Reaktor A1 wurde 1977, fünf Jahre nach seiner Inbetriebnahme, wegen eines Unfalls geschlossen. In den 1970er Jahren wurden vier weitere Reaktorblöcke gebaut, die Anlage V1 und V2. Die Reaktorblöcke der Anlage V1 wurden in den 1990er Jahren modernisiert, mussten aber wegen Sicherheitsmängeln stillgelegt werden.

Der erste Block wurde im Jahr 2006 abgeschaltet, Block 2 Ende 2008. Eine Nachrüstung der Reaktorblöcke wie im Fall der Anlage V2 lehnte die Europäische Union ab. Mitte Dezember beschloss die slowakische Regierung, als Ersatz einen neuen Reaktor mit einer geplanten Leistung von 600 bis 1.750 Megawatt (Bohunice V3) zu errichten.

(apa/red)