SOS-Kinderdorf ist bummvoll

kriegen laufend Anfragen für die Aufnahme von Kindern und können sie nicht aufnehmen

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"Für ein Kind gibt es nichts Schöneres, als bei seinen Eltern aufzuwachsen", stellte Rossmann im Interview mit der APA gleich anfangs klar. Doch es gibt Gründe, warum dies nicht immer möglich ist - nämlich dann, wenn zum Beispiel Gewalt oder Vernachlässigung im Spiel sind.

"Es gibt knapp 13.000 Gefährdungsmeldungen jedes Jahr in der Stadt Wien, knapp 6.000 davon haben den Hintergrund Vernachlässigung der Kinder", veranschaulichte der Kinderdorf-Leiter. Die Gründe für die Fälle von Vernachlässigungen seien "vielleicht gesellschaftspolitisch zu suchen": Der wirtschaftliche Druck auf Familien werde größer, Beziehungen seien nicht mehr so stabil. "Es geht oft ums Geld. Es geht oft ums Thema Wohnen, Essen, Arbeit."

Ebenfalls häufig seien aber auch Meldungen wegen Gewalt: Im Vorjahr gab es 3.200 Verdachtsfälle von körperlicher Gewalt, 1.500 Verdachtsfälle von psychischer Gewalt und 140 Meldungen wegen sexueller Gewalt. Eine Meldung bedeutet allerdings nicht automatisch, dass das Kind aus der Familie genommen wird. Zunächst prüfen Sozialarbeiter und entscheiden dann abhängig vom Schweregrad bzw. abhängig davon, ob Gefahr in Verzug ist, über die Maßnahmen.

Wenn klar ist, dass die Kinder nicht mehr zu den Eltern zurück können, dann wird beispielsweise beim SOS-Kinderdorf angefragt, ob dieses die Betreuung übernehmen kann. Im Moment tut sich die Organisation allerdings mit freien Kapazitäten schwer: "Die Plätze reichen aus meiner Sicht nicht aus - wir kriegen laufend Anfragen für die Aufnahme von Kindern und können sie nicht aufnehmen", sagte Rossmann. Doch eine Ausweitung der Plätze sei eine "Auftragssache der Stadt Wien".

Wenn man rein die Statistik betrachtet, ist der Bedarf eigentlich im Laufe der Jahre nicht so stark gestiegen wie es scheinen mag. 2006 waren circa 3.300 Kinder in Wien in Fremdunterbringung, nun sind es circa 3.800. Der gestiegene Bedarf habe auch mit der im Jahr 2000 beschlossenen Heimreform zu tun, argumentierte Rossmann. Damit wurden große Heime geschlossen und u.a. Wohngemeinschaften für bis zu acht Kinder geschaffen.

Das Wiener Kinderdorf umfasst drei Familien für die langfristige Betreuung und 13 Wohngruppen für kürzere Aufenthalte. Zudem stehen 30 Wohnungen zur Verfügung, in denen bereits ältere Jugendliche unter Betreuung die ersten Schritte in Richtung Selbstständigkeit tätigen. Seit dem Vorjahr betreut das Kinderdorf auch rund 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Seit der Gründung der Wiener Kinderdorf-Dependance haben rund 300 Kinder und Jugendliche das Angebot in Anspruch genommen bzw. nehmen müssen. Im Schnitt sind die Betroffenen zwischen fünf und acht Jahre alt, wenn die Organisation die Betreuung übernimmt, so Rossmann. Manche kehren in ihre Familien zurück, wenn sich die Verhältnisse dort stabilisiert haben, viele bleiben. Um die Zahl der - wie Rossmann sie nennt - "Rückführungen" zu erhöhen, setzt das Kinderdorf künftig verstärkt auf Elternarbeit. Das heißt, Sozialarbeiter unterstützen die betroffenen Eltern bei der Bewältigung ihrer Lebenssituation.

In ersten Wohngruppen wird sie bereits praktiziert - mit Erfolg, wie Rossmann berichtete. Es konnten dort mehr Kinder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren. "Im Zuge dieser Arbeit haben wir auch bemerkt, dass für Kinder ganz wichtig ist, zu wissen: 'Meinen Eltern wird auch geholfen.' Wenn sie das erleben und für sich wahrnehmen können, dann geht es ihnen auch besser, wenn sie in der Wohngemeinschaft leben." Im kommenden Jahr soll die Elternarbeit flächendeckend in den Wiener Kinderdorf-Einrichtungen eingeführt werden.

Ebenfalls ressourcentechnisch aufgestockt wird 2017 im zum Kinderdorf gehörenden Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Denn hier gebe es einen "Riesenbedarf", so Rossmann. Künftig soll es einen Facharzt sowie zwei Therapeuten mehr geben. Im Vorjahr wurden in der Einrichtung 550 Familien betreut. Die Leistungen sind kostenfrei, es bedarf nur einer e-Card. Finanziert wird das Ambulatorium zu 75 Prozent durch Sozialversicherungsträger - vor allem der Wiener Gebietskrankenkasse - und durch Spenden.

Auch das Wiener Kinderdorf selbst ist auf Spenden angewiesen. Die Stadt Wien zahlt zwar für jedes untergebrachte Kind einen Tagsatz. "Der ist aber bei allen Angeboten, die wir haben, nicht kostendeckend", so Rossmann. Die Einrichtung erhält außerdem die Familienbeihilfe für die betroffenen Kinder.

(Das Interview führte Dorit Ausserer/APA)

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