Neue Ski, neues Glück

In Sölden kommen die längeren, schmäleren Ski erstmals zum Renneinsatz

Der Aufschrei war gewaltig, als der Internationale Skiverband (FIS) im Juli 2011 seine Materialmaßnahmen zur Bekämpfung der Verletzungsflut im Alpin-Weltcup präsentierte. Von einem Rückfall in die Zeiten eines Hansi Hinterseer, dem Ruinieren des Sports oder einer völlig ahnungslosen FIS war vielerorts im Weltcup-Zirkus die Rede gewesen. Der Sturm hat sich vor der Rennpremiere mit dem neuen Material am 27. und 28. Oktober in Sölden - vorerst - gelegt. Allerdings scheinen durch den deutlich größeren Aufwand an Muskelkraft neue Verletzungsgefahren zu lauern.

von Jessica Depauli beim Start in Sölden. © Bild: GEPA pictures/ Andreas Pranter

Die Ski länger und schmäler, die Kurvenradien größer, die Zahl der Verletzten geringer - so lautet kurz zusammengefasst die neue Sicherheitsformel der FIS, die nach jahrelangen Tests, Beobachtungen und wissenschaftlichen Analysen erstellt wurde. Rundum begeistert ist zwar nach wie vor kaum jemand. Aber selbst die härtesten Kritiker wie der US-Amerikaner Ted Ligety hielten sich nach den sommerlichen Versuchen mit Rundumschlägen nobel zurück.

Nun folgt in Sölden die Stunde der Wahrheit. Und zwar gleich mit dem Riesentorlauf und somit jener Disziplin, die von den Veränderungen am stärksten betroffen ist. Mit Neugier und Ungewissheit warten die Athleten, Trainer und Skifirmen auf die ersten Erkenntnisse unter Wettkampfbedingungen.

Für die Jungen wird es schwer

Kaum jemand glaubt, dass das neue Material die Hackordnung wild durcheinanderwürfeln wird. "Die üblichen Verdächtigen werden weiterhin vorne sein", vermutete Andreas Puelacher, der Cheftrainer der österreichischen Riesentorlauf-Männer. "Es wird sicher Opfer und Gewinner geben. Das werden aber eher Ausnahmen sein", lautet die Prognose von Sigi Voglreiter, Rennleiter der Skifirma Fischer. Head-Rennchef Rainer Salzgeber sieht zumindest zu Beginn einen klaren Vorteil für die Routiniers. "Für die Jungen wird es richtig schwer", sagte Salzgeber.

Die Befürchtungen, dass ab Sölden das Ende des Carvens und der Schritt zurück in 1970er Jahre eingeläutet wird, haben sich ein wenig gelegt. "Die Zuschauer werden keine Veränderungen merken", war sich die steirische Doppel-Weltmeisterin Elisabeth Görgl sicher. Anders dürfte die Sache aussehen, wenn es wärmer und damit weicher wird. "Bei Bedingungen wie beim vergangenen Weltcup-Finale in Schladming wird es meiner Meinung nach nicht mehr zum Anschauen sein", merkte der Salzburger Gesamt-Weltcup-Gewinner Marcel Hirscher an.

Größerer Kraftaufwand

Voglreiter glaubt, dass der "geschulte Zuschauer" sehr wohl deutliche Unterschiede bemerken wird: "Es schaut nicht mehr so 'easy' aus." Der Oberösterreicher sprach damit auch gleich die neuen Gefahren an. "Man braucht jetzt deutlich mehr Muskelkraft", berichtete auch "Mr. Riesentorlauf" Ligety (Weltmeister 2011, dreifacher Disziplinen-Weltcupsieger). "Wir müssen mehr Energie und Kraft als zuvor aufwenden", pflichtete der kroatische Routinier Ivica Kostelic bei.

Salzgeber nannte das mögliche Problem beim Namen, nämlich schwere Stürze völlig ausgepumpter Athleten: "Die Erschöpfung wird klar ersichtlich sein. Die logische Konsequenz wäre, dass jetzt dadurch Stürze und Verletzungen anstehen könnten."

Positive Effekte

Das Ziel der FIS, die Kräfte in den Kurven und damit die Belastung für Knie und Rücken zu verringern, dürfte aber erreicht werden. "Es wirken weniger Kräfte. Das ist positiv für den Körper und sicherer", erklärte Benjamin Raich. Der Tiroler war von Anfang an hinter den Materialänderungen gestanden und sieht sich und die FIS bereits bestätigt: "Mittlerweile hat sich für fast alle Kollegen herausgestellt, dass es positiv ist."

Für den einstigen Weltklasse-Skifahrer Günther Mader, der heute als Salomon-Rennleiter fungiert, wird der Erfolg des Projekts auch entscheidend von der Kurssetzung abhängen. Trotz der größeren Kurvenradien der Ski hat die FIS ihr Regelwerk nicht verändert. Den kurssetzenden Trainern bleibt damit ein recht großer Spielraum, gemäß "Gentlemen Agreement" sollen jedoch Tempokontrolle und Anpassung ans Gelände sowie die Bedingungen stets im Vordergrund stehen. "Ich hoffe, dass die Trainer so intelligent sind, dass sie an den Sport und nicht nur an ihre eigenen Läufer denken", meinte Mader.

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