Was Kurz' Annäherung an die SPÖ für die Grünen bedeutet

Polit-Expertin Stainer-Hämmerle über den neuen türkis-roten Konsens und den Umbau bei den Grünen

Seit über einem Jahr sind die Grünen in der Regierung mit der ÖVP. Diese hat sich jedoch seit kurzem an die SPÖ angenähert. Internen Zwist gab es auch beim plötzlichen Austausch von Sigi Maurers Stellvertreterinnen. Kriselt es da in und für die Ökopartei? Polit-Expertin Kathrin Stainer-Hämmerle mit einer Einschätzung der Situation.

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Analyse - Was Kurz' Annäherung an die SPÖ für die Grünen bedeutet

News.at: Türkis-Grün wurde vor etwas mehr als einem Jahr angelobt - dann kam Corona. Was ist von der Euphorie geblieben – vor allem auf Seite der Grünen? Die Klimapolitik, wofür sie gewählt wurden, ist komplett in den Hintergrund gerückt und Kritiker finden gerne, die Grünen hätten sich zu sehr an die ÖVP angepasst und Ideale verkauft…

Kathrin Stainer-Hämmerle: Der Klub ist recht diszipliniert. Man muss sich vor Augen halten, wie es früher oft bei den Grünen war, als es durchaus mehr abweichende Meinungen gab, aber das ist nach wie vor nicht der Fall.
Es gab zwar einen Umbau, aber auch dabei hat sich jene Gruppierung durchgesetzt, die an dieser Regierung festhalten möchte und diese „Pro-Regierungsfraktion“ scheint durchaus die Einigkeit und Unterstützung zu haben.

Mit Umbau meinen sie den Austausch der Stellvertreterinnen von Sigrid Maurer als Klubobfrau?

Genau. Vor allem Ewa Ernst-Dziedzic war doch immer wieder in Bezug auf Moria kritisch und hat die Parteilinie der Grünen sehr öffentlich vertreten – allerdings eben nicht Regierungs-ÖVP-Linie. Man kann sagen, dass Sigrid Maurer für die Koalition auftritt und steht - und sie ist geblieben.

Aber es hat mich – auch im ganzen letzten Jahr - durchaus erstaunt, dass wenig Kritik von den Grünen an ihrer eigenen Regierungsmannschaft nach außen gedrungen ist.

Ansonsten ist die anfänglich außergewöhnlich hohe Zustimmung zur Regierung natürlich zurückgegangen und hat gerade in letzter Zeit noch einmal stark nachgelassen. Ich denke aber, dass das diese Corona-Müdigkeit ist und sich das wieder ändern wird.

»Natürlich ist dieser Pragmatismus für WählerInnen schon ein bisschen unbefriedigend«

Das Flüchtlingsthema/die (Nicht-)Aufnahme von Menschen aus den Lagern in Lesbos ist wohl der härteste Brocken, den die Grünen in dieser Koalition schlucken müssen – und sie werden dafür oft kritisiert. Denken Sie, wird das im Endeffekt Grün-WählerInnen vertreiben?

Das hängt immer davon ab, welches Thema kurz vor den Wahlen im Vordergrund steht. Aber das ist natürlich schon eine Grundsatzfrage. Nicht umsonst gibt es den Passus im Regierungsübereinkommen, dass ÖVP und Grüne da im Falle einer neuerlichen Krise getrennte Wege gehen können. Bisher war für die Grünen jedoch stets das Problem, dass die ÖVP mit der FPÖ eine Mehrheit hätte für einen restriktiven Kurs, die Grünen aber keine Mehrheiten dagegen schmieden können.

Das war auch immer die Begründung Werner Koglers, dass man hier einfach nichts dagegen ausrichten könne. Natürlich ist dieser Pragmatismus für WählerInnen schon ein bisschen unbefriedigend aber es scheint noch zu funktionieren.

Und man darf auch nicht vergessen, dass bei der letzten „Asyl-Wahl“, der Nationalratswahl 2017, die ganz stark von diesem Thema geprägt war, die Grünen aus dem Parlament geflogen sind. Ihre Position hat ihnen nicht geholfen. Wenn sie also strategisch nachdenken, ist es nicht das Thema für sie.

»Das wirkt viel mehr nach gleichberechtigter Partnerschaft.«

Denken Sie, sorgt das Thema, auch wenn es wenig Auswirkungen auf WählerInnen-Stimmen haben dürfte, für einen größeren Zwist innerhalb der Partei (wie eben auch bei dem Umbau ersichtlich)?

Das ist ein Thema, das uns alle polarisiert, die ÖVP ja auch; Die ganze Gesellschaft. Und die Grünen vielleicht noch stärker, weil sie sich stärker verbiegen müssen. Das Machtverhältnis zwischen dem großen Partner und dem Juniorpartner in der Koalition wird nirgends so deutlich wie hier. Da sagt Sebastian Kurz knallhart, das macht er nicht – und es passiert nicht. Während die Koalitionspartner bei Corona etwa recht auf Augenhöhe sind (auch aufgrund der viele Befugnisse des Gesundheitsministeriums unter Rudolf Anschober). Und bei allen anderen Themen lassen sie sich gegenseitig ein bisschen Platz. Das wirkt viel mehr nach gleichberechtigter Partnerschaft. Aber beim Flüchtlingsthema müssen die Grünen eben offen zugeben: Da kommen wir nicht durch, wir sind eben nur der kleinere Partner.

Bei der letzten Corona-Pressekonferenz fiel auf, dass der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig an der Seite von Sebastian Kurz stand – nicht aber Werner Kogler. Auch Kurz und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner haben sich angenähert und ÖVP-Klubchef August Wöginger spricht von einem „neuen Konsens mit der SPÖ“. Woher kommt diese neue Einigkeit?

Weil die Bereitschaft der Bevölkerung, Maßnahmen mitzutragen, stark gesunken ist und Sebastian Kurz natürlich so flexibel und schlau ist, um zu wissen, dass er eine breitere Allianz schmieden muss, um zu kommunizieren. Diese geht in Richtung Bundesländer sowie in Richtung Sozialpartner und natürlich hat er sich da auch die nächst-größere Partei geholt. Ich denke, das ist einfach ein ganz klarer Strategiewechsel in der Kommunikation gewesen, um diesen dritten Lockdown noch erfolgreich abzuschließen. Denn am Ende ist es für Kurz nicht wichtig, mit wem er da gestanden ist, sondern ob die Maßnahmen am Ende erfolgreich waren.
Dass diese Einigkeit darüber hinaus besteht, würde ich daraus nicht ableiten.

»Es ist für Sebastian Kurz natürlich ein Punkt, um die Grünen unter Druck zu setzen«

Also nur eine geänderte Kommunikationsstrategie und kein Anbahnen für mehr?

Es ist für Sebastian Kurz natürlich ein Punkt, um die Grünen unter Druck zu setzen und zu sagen: Schaut, ich habe mehr Optionen, es ist nicht so eine Zwangsgemeinschaft wie es früher mal zwischen ÖVP und SPÖ war.

So eine Koalition wird ja auch immer stark von persönlichen Vertrauensverhältnissen getragen und das gibt es zwischen Kurz und Kogler, die haben ein Arbeits- und Vertrauensverhältnis jenseits aller inhaltlichen Differenzen gefunden. Das gab es bisher zwischen Kurz und Rendi-Wagner nicht, jetzt scheinen sie sich anzunähern. Aber bei einer Frage, deren Zielsetzung außer Diskussion steht (nämlich das Überwinden der Pandemie), gibt es halt auch keine Differenzen.

War es, was die Außenwirkung betrifft, ein Fehler der Grünen, Werner Kogler bei dieser Corona-PK nicht auftreten zu lassen?

Ich glaube, es ist egal. Die Schlüsselperson in dieser Frage ist Rudolf Anschober und die Grünen müssen sich ohnehin überlegen, was sie verbessern können, denn Anschober hat in letzter Zeit schon ein paar Schnitzer geliefert und das Gesundheitsministerium nicht immer die beste Figur gemacht. Da gilt es nun, zu schauen, dass die Impfstrategie gut organisiert, gut kommuniziert wird und gut über die Bühne geht.

»Eine gewisse Entzauberung wird aber am Ende dieser Phase wohl bei allen bleiben, auch bei Sebastian Kurz.«

Rudolf Anschober war zu Beginn der Pandemie kurzfristig sogar beliebter als Kanzler Kurz. Inzwischen wurde er sogar von Rendi-Wagner überholt. Kann er das wieder aufholen?

Ja, ich denke, er kann sicher wieder auf normale Werte kommen. Dass er beliebter war als der Bundeskanzler, war aber schon eine Ausnahme, das wäre ohne Corona wohl nie passiert.
Eine gewisse Entzauberung wird aber am Ende dieser Phase wohl bei allen bleiben, auch bei Sebastian Kurz.

Mit dieser Annäherung an die SPÖ vermag die ÖVP die Grünen wenig aber doch ein bisschen unter Druck zu setzen. Sehen Sie dieses Szenario eigentlich auch umgekehrt, könnten es auch die Grünen sein, die – sollte sich etwa die ÖVP bei Klimaanliegen quer stellen – die Koalition irgendwann beenden wollen?

Für fliegende Koalitionswechsel gibt es ja nicht wirklich eine Tradition in Österreich, wenn dann kündigt man Koalitionen auf und geht in Neuwahlen. Und da ist immer die Frage, wer hängt sich das Bummerl um und ist der Schuldige? Derzeit würde das niemand verstehen, wenn es Neuwahlen gäbe, das ist also gerade keine Option. Ob es die Grünen zu einem späteren Zeitpunkt riskieren, bin ich mir nicht sicher, weil erstens ist das immer auch stark eine finanzielle Frage – und zweitens: was sollen denn die Grünen gewinnen? Eine Mehrheit mit der SPÖ ist außer Reichweite, so einen Umsturz kann ich mir nicht vorstellen. Insofern würden sie nur der ÖVP neue Optionen eröffnen und die könnten es wieder mit der SPÖ versuchen. Wobei mit Rendi-Wagner an der Spitze bin ich mir da nicht sicher.

Die Grünen selbst könnten sich durch Neuwahlen auch kaum verbessern. Aber wenn es eine Revolution von der Basis gibt – und die Grünen haben ja doch noch Elemente der Basisdemokratie insbesondere im Grünen Klub - dann ist es zu Ende. Im Moment scheint das keine Gefahr zu sein, aber es wäre natürlich eine Option.