Sado. Maso. Wieso?

Promi-Frauen von Dolly Buster bis Eva Maria Marold erklären den Erotik-Bestseller

von Shades of Grey - Sado. Maso. Wieso? © Bild: Goldmann Verlag

Autsch! Die Schottin E L James, 49, hat alles andere als olympiawürdig gezielt. Und doch den kollektiven Nerv der weiblichen Leserschaft getroffen: 15 Millionen bisher wollten ohne den Sadomaso-Roman „Shades of Grey“ nicht auskommen, 500.000 Exemplare im deutschsprachigen Raum waren binnen Wochenfrist vergriffen, die nämliche Anzahl des 608-Seiten- Wälzers wurde nachgeliefert. Werke dieser Art fanden ihren Weg früher unter Ladentischen. Deren Funktion nimmt heute das Internet ein: Die Verfasserin hatte das Konvolut zunächst online gestellt, sodass sich auch schamhafte Konsumentinnen am Unterwerfungsgeschwurbel erfreuen konnten. Als ein Verlag zugriff, hatte sich das Werk schon emanzipiert. Die ausständigen Teile der Trilogie erscheinen am 3. September und am 20. Oktober in deutscher Sprache.

Der Bestseller im Promi-Check
Unter den Rezensenten fand die Geschichte von der 21-jährigen kontaktproblematischen Studentin Anastasia und dem verschwenderisch bestückten Milliardär Christian Grey keine Bewunderer. NEWS fragte vier starke Frauen um ihr Urteil. Damit Sie sich an der Diskussion beteiligen und doch Lebenszeit sowie 9,90 Euro sparen können.

Eva Maria Marold: "Warum langweilt man mich so?"
Ja, ich gebe es zu: Auch ich habe ihn gelesen, den Erotik-Bestseller. Also, nicht wirklich. Nicht ganz. Ab Seite 100 nur mehr jede fünfte, ab Seite 150 nur mehr jede 10 Seite. Nachdem ich auf Seite 200 zum dritten Mal lesen musste, wie sie feucht wurde, da wurde ich böse. Aber wirklich so was von böse. Warum langweilt man mich so? Gewiss, die Frage, wo die Langeweile beginnt, ist genauso individuell zu beantworten wie die Frage, wo Pornografie beginnt. Es liegt immer im Auge des Betrachters oder, wie in diesem Fall, im Auge des Lesers.

Aber bitte, ich war auf einen erotischen Roman, gespickt mit interessanten Perversitäten, eingestellt gewesen und gab dem Werk ohnehin bis Seite 200 eine Chance. Beleidigt legte ich das Buch weg und sah mir auf ORF 2 die „Starnacht am Wörthersee“ an. Da schaffte es doch tatsachlich eine gewisse Andrea Berg, in einem viel zu kurzen Pailletten-Minikleid und mit einigen Glasern Prosecco zu viel im Blut eine wesentlich größere Lawine an perversen Fantasien beim Zuseher ins Rollen zu bringen als die simple Geschichte von E L James. (Was sich da wohl hinter der Wörtherseebühne so alles abspielen mag!?)

Der Inhalt von „Geheimes Verlangen“ ist rasch erklärt: jungfrauliche, naive Studentin trifft auf reichen Pimpf. Er hat eine Vorliebe für Sadomaso-Spielchen. Sie ist die Unentschlossenheit in Person. Er begegnet dem unbedarften, notgeilen Mädchen mit einer Engelsgeduld. Sie tanzt mit ihrer Inneren Göttin (= ihr vernachlässigtes Unterbewusstsein) jedes Mal Salsa, wenn sie bemerkt, dass das bloße Kauen auf ihrer Unterlippe bei ihm eine Erektion herbeiführt.

Wow! Welche sexuell unbefriedigte Frau mit einem angeknacksten Selbstwertgefühl mochte nicht so eine Ausstrahlung auf ihre männliche Umwelt haben? Ich denke, daher rührt der große kommerzielle Erfolg dieses Buches. Die Protagonistin liefert der Inneren Göttin der vorherrschend weiblichen Leserschaft eine große Identifikationsfläche. Die letzten acht Seiten des Buches habe ich wieder gelesen und mir gedacht, wenn sich die junge Frau nicht bald entscheidet, dann komme ich und haue sie höchstpersönlich windelweich! Man kann „Shades of Grey“ lesen oder aber auch nicht. Es ist egal. Das Buch ist in jedem Fall das ganze Tamtam nichtwert.

Dolly Buster: "So gut geschrieben wie ein Volksschulaufsatz"
Der Höhepunkt zuerst: Nein, ich habe „Shades of Grey“ nicht zu Ende gelesen! Bitte schlagen Sie mich nicht, Sadomaso (S/M) ist leider nicht so mein Ding. Gut, bei „Dancing Stars“ musste ich mich zwar einem Mann irgendwie unterwerfen, und viele Zuschauer haben meine Verrenkungen dort sicher als Tortur empfunden. Das war’s dann aber auch schon mit mir und S/M.

Mit Sex und seinen Spielarten gehe ich dennoch gerne offen um. Und ja, ich habe auf vieles Lust. Auf „Shades of Grey“ jedoch nicht. Aber auch die berüchtigten „Feuchtgebiete“ habe ich erst im vierten Anlauf vollständig überquert. Und viele davon hatte man meinetwegen ruhig gleich wieder trockenlegen können. Übrigens ist „Shades of Grey“ ja ungefähr so gut geschrieben wie ein Volksschulaufsatz – frei nach dem Motto „mein schönstes Fesselerlebnis“. Offenbar mochte die Autorin mit ihren S/M-Praktiken also vor allem Literaturkritiker quälen.

Wobei das Buchthema selbst ja auch nicht wirklich neu ist. Denn weibliche Fantasien in sämtlichen Härtegraden kennt man doch spätestens seit den Büchern von Nancy Friday – oder noch besser aus Erfahrung! Trotzdem scheinen viele Menschen zu hoffen, durch das Lesen von „Shades of Grey“ ihren eigenen sexuellen Horizont erweitern zu können. Prinzipiell finde ich es aber besser, die eigenen sexuellen Fantasien aktiv selbst zu erforschen, als fremde zu borgen. Wer S/M tatsachlich als Bereicherung empfindet, soll das also ruhig mit gleichgesinnten Partnern ausleben, statt es sich nur schriftlich geben zu lassen. Und was mich betrifft: Statt mit Fessel-Fantasien von E L James gehe ich lieber mit einem guten Krimi ins Bett. Ich bin eben mehr für James Bond als für James Bondage.

Magda Swoboda: "Riecht nach verschimmeltem Tagebuch der 50er"
Die Bestseller-Queen im Fernsehverhör. Wow, plötzlich so reich. Wie fühlt sich das an, Honey? Die dralle Autorin errötet. Vor allem wegen der beiden Teenager-Söhne. Nein, die dürfen den Roman „Shades of Grey“ auf keinen Fall lesen. Das ist Mummy-Porn, in diesem Fall als Sadomaso-Inszenierung. (Hallo, Mummys, wisst ihr nicht, was für grobe Sachen eure Kinder herunterladen?) Fünfzehn Millionen Bücher sind schon weg.

Endlich auf Deutsch: „Geheimes Verlangen“, lieferbar auch im Paket mit Handschellen, Peitscherl und Gebrauchsanleitung für den unfallfreien Start ins Sadomaso-Leben. Mami will jetzt „Aua“ im Schlafzimmer. Ein Schwitzkasten von 806 Seiten, in den BlackBerry gehechelt als Aufputschmittel für hundsmüde Ehen. Für Frauen wie die Autorin E L James: fahle, abgelebte Haut, die sich nicht mehr spüren kann, wenn man aufeinander liegt.

Im Buch schlüpft Mami in die Haut einer 21-jährigen Alabaster-Jungfrau. Der „Schwarze Reiter“, der ihr die finstere Sadomaso-Welt erklärt, dass ihr „die Eingeweide explodieren“, der ist selbstverständlich Adonis- Milliardär unter dreißig … Alice Schwarzer hat das Elaborat schon durchgewunken. Weil, wenn Mami „Aua“ will im Bett, ist das ihre selbstbestimmte, überreife Entscheidung. „Wie man ins Schwitzen kommt“ bei diesem Ritt durch die Satin-Laken, aber nicht vor erotischen Wallungen.

Geschrieben wie blütenweißer Blümchen-Sex, und sogar die drastischen Peitschen- und Fessel-Szenen riechen nach verschimmeltem Tagebuch aus den 50er-Jahren. Alles handgestrickt. Am Schluss presst das alte Mädchen in der jungen Haut einen erschlafften Luftballon an die Brust und heult Sturzbäche. Liebeskummer! Tut noch viel mehr weh als die Lederpeitsche. Der Hintern und die Ehe von E L James sind übrigens wieder sehr heiß, bekennt die Autorin. Millionen Paare versuchen das jetzt auch. Möge die Übung gelingen. Mir kommt keine Peitsche ins Haus. Nicht einmal ein Mann. Außer, der wäre so zärtlich, dass es sich anfühlt wie „Salz auf meiner Haut“. (Nur kein „Aua“, bitte). Und wenn es das nicht spielt: Dann lieber Nonne wie Nina Hagen. Mummy-Porn im Sadomaso-Look: Nein, danke.

Julya Rabinowich: "Fortsetzung von Twilight mit Porno-Mitteln"
Die finanziell höchst erfolgreiche Erotikserie „Shades of Grey“ ist eine Fortführung des Vampir-Thrillers „Twilight“ mit pornografischen Mitteln. Während Thema von „Twilight“ Enthaltsamkeit und die erregenden Leiden am Unerfüllbaren sind, die pubertierenden Mädchen sehr entgegenkommen, sind die Themen dieser Geschichten die erregenden Leiden an Unterwerfung erwachsener Frauen.

Dass Sexthemen immer wieder zu großen Erfolgen führen, hat „Sex and the City“ anschaulich bewiesen. Was für Männer die pornografischen Unterlagen darstellen, stellt für viele Frauen erotische Literatur ohne großen intellektuellen oder handwerklichen Aufwand dar. Unsere Gesellschaft scheint, während sie äußerlich so allzeit bereit wie noch nie sein soll, sich immer weniger gehen lassen zu können. Man nimmt sich allerdings auch immer weniger Zeit zum Gehenlassen. Sex ist das Funktionieren einer chirurgisch optimierten Maschine geworden – diese Fesselungsfantasie von „Grey“ setzt der schnellen Quickie-Sexualität etwas entgegen.

Sex braucht eben Zeit. Rituale brauchen Zeit. Und das ist einfach ein Vorspiel der anderen Art. Auch deswegen hat dieses Buch Reize für das weibliche Publikum. Die Autorin hat genau kalkuliert, sie weiß, wie sie Fantasien anregen kann. Aber es muss dafür natürlich ein Grundbedürfnis geben. Vielleicht ist diese Praxis von Unterwerfung und Leiden für die moderne Frau eine Rückzugsmöglichkeit aus ständiger Verantwortung. Das ist wie wenn ein Manager zur Domina geht. Viele Frauen leben mit Doppelbelastung im Beruf und als Mutter. Ana, das Objekt, mit dem sie sich identifizieren sollen, macht es auch leicht, sich mit ihr zu identifizieren: Sie ist jung, schön, Studentin – also jemand, der alle positiven modernen Eigenschaften hat, aber eben noch keine Verantwortung.

Das heißt nicht, dass Frauen keine Verantwortung tragen wollen. Ana ist eine erotische Fantasie, nicht mehr. Ich würde diese Praktiken jedenfalls nicht als ein gesellschaftliches Statement sehen, nur als Spielart von Gelüsten. Pornos sind üblicherweise banal und befriedigen trotzdem eine große Konsumentenschicht. Literatur ist das keine. Das ist Pornografie für Frauen, die eine Geschichte brauchen, um Erregung beim Sex zu erfahren.