Zufrieden geschieden

Scheidung ist nicht gleich Scheitern: Manchmal ist es einfach klüger zu gehen

Eine Scheidung bedeutet nicht immer Scheitern. Oft ist sie der Beginn eines erfüllteren Lebens. Manchmal ist es besser, einen Schlussstrich zu ziehen.

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Neustart - Zufrieden geschieden

Vor ihrer Scheidung wusste Verena Rudolf nicht, was Liebe ist. Wenn in Liedern diese tiefe Verbundenheit besungen wurde, dieses Gefühl, dass man für den anderen sterben würde, dann war das für sie ebenso Fiktion wie ein Lied über Pippi Langstrumpf. "Mir war nicht bewusst, dass es da noch mehr gibt." Heute ist Verena 46, geschieden und so glücklich wie noch nie zuvor. Ihre große Liebe fand sie nach ihrer Scheidung, und sie sagt rückblickend: "Etwas Besseres als die Trennung hätte mir nicht passieren können."

Sind Geschiedene die wahren Romantiker? Weil sie sich aus einer unglücklichen Ehe verabschieden und den schmerzhaften und ungewissen Weg der Trennung auf sich nehmen, im Vertrauen, die wahre Liebe noch vor sich zu haben? So pauschal lässt sich das natürlich nicht sagen. Es gibt tausend Scheidungsgründe. Viele davon sind banal, und Scheidungsanwältin Katharina Braun kennt sie alle. Zu ihr kommen Menschen, die die Scheidung wollen, weil der Partner schnarcht, weil er oder sie zu langweilig ist, zu viel oder zu wenig Sex will oder weil die Schwiegermutter nervt. Manche hüpfen von Partner zu Partner, im Glauben, nun endlich denjenigen gefunden zu haben, der das eigene Leben perfekt, das Glück vollkommen macht.

"Dabei übersehen sie, dass sie selbst die Verantwortung für ihr Leben tragen", sagt Familienpsychologin Marion Waldenmair. "Heutzutage liegt viel zu viel Heilserwartung in Paarbeziehungen. Befeuert von Hollywood, gehen wir davon aus, dass uns der Partner glücklich machen muss. Aber so funktioniert das nicht. Es ist unsere eigene Verantwortung, Umstände zu schaffen, in denen wir zufrieden und glücklich sind." Das gilt während einer Beziehung ebenso wie bei einer Trennung.

So geht's nicht weiter!

"Aber es gibt definitiv Situationen, in denen die Scheidung der bessere Weg wäre", sagt Scheidungsanwältin Braun. Das ist spätestens dann der Fall, wenn jede Lebensfreude abhandenkommt, wenn man den Partner oder sich selbst am liebsten umbringen würde oder wenn gegenseitige Demütigen und permanenter Streit an der Tagesordnung sind. Aber auch wenn jedes Interesse und Gefühl füreinander abhandengekommen und keine Annäherung mehr gewünscht ist, ist es oft besser, einen Schlussstrich zu ziehen. "In destruktiven und depressiven Verhaltensmustern zu verharren, raubt Lebensenergie", sagt Psychologin Waldenmair.

Das musste auch Verena erkennen. Ihren Mann Robert hatte sie mit 17 in der Tanzstunde kennengelernt. Er war nett, der netteste Bursch, den sie bis dahin getroffen hatte. Alle ihre Freundinnen gingen damals schon mit jemandem, und so wurden auch Robert und Verena ein Paar. Das Leben war schön und unkompliziert. Es folgten Matura, Studienbeginn und das erste Kind. "Für mich war immer klar, dass ich viele Kinder haben will." Wirklich gesprochen wurde darüber aber nie. Es folgten drei weitere Kinder, und mit jedem wurde es ein wenig schwerer, etwas von der anfänglichen Leichtigkeit in den Alltag zu retten. Verenas Aufgabe war es, zu funktionieren und für die Kinder zu sorgen. Roberts Job war es, Geld zu verdienen. "Wir waren überfordert. Wir sind naiv ins Leben gestürmt, ohne über irgendetwas nachzudenken. Wir waren wie Kinder, wie Hänsel und Gretel, die sich im Leben verlaufen."

»Die Scheidung war die richtige Entscheidung. Endlich konnte ich wieder ich selbst sein.«

Während sich Verena voll und ganz auf ihre Rolle als Mutter konzentrierte, wurden Druck, Stress und die vier Kinder für Robert zu viel. Er griff zur Flasche und hatte bald ein handfestes Alkoholproblem. So sehr sie sich bemühten, die beiden bekamen das gemeinsame Leben nicht in den Griff. Robert zog sich zunehmend aus dem sozialen Leben zurück. Er verlor den Antrieb, seinen Job, wurde immer aggressiver -auch gegenüber den Kindern. Da wurde auch der bis dahin so naiven Verena klar, dass es so nicht weitergehen kann. Sie suchte Hilfe bei einer Therapeutin. Heute sagt sie, das sei der Anfang ihres neuen Lebens gewesen. "Mir wurden auf einmal die Augen geöffnet. Mir wurde klar, dass ich eine Verantwortung für mein Leben habe, dass ich es wieder selbst in die Hand nehmen muss. Ich musste nicht an meinem Mann, sondern an mir arbeiten, und ich durfte mich nicht länger hinter meiner Rolle und hinter meinem Selbstmitleid verstecken."

Als sie ihrem Mann ihre Erkenntnisse mitteilte, wurde der wütend, aggressiv, er wollte nicht, dass sie sich weiterentwickelt. Er wollte, dass alles bleibt, wie es war. Als er sie in einem von Hunderten Streitgesprächen packte und würgte, war der Schlusspunkt erreicht. Verena schnappte ihre Kinder und verabschiedete sich für immer. "Heute bin ich fast dankbar, dass alles so dramatisch verlaufen ist. Ich weiß nicht, ob ich den Absprung sonst geschafft hätte. Aber in dieser Situation hatte ich gar keine Wahl. Ich wusste, ich schade den Kindern, wenn ich bleibe."

Ist Durchhalten genug?

Dazu kam noch etwas anderes. Erst durch die Therapie wurde ihr bewusst, dass es mehr gibt, als zu funktionieren und sich zu arrangieren. So stellte sie sich die Frage: "Will ich am Ende meines Lebens sagen können: Ich habe durchgehalten? Oder will ich irgendwann wirklich lieben und geliebt werden?" Verena entschied sich für die Liebe. Das war, sagt sie heute, eine der besten Entscheidungen ihres Lebens.

Obwohl Scheidungen längst kein gesellschaftliches Tabu mehr sind, fällt es vielen unglücklichen Paaren schwer, loszulassen. Selbst wenn sie insgeheim ahnen, dass sie getrennt voneinander zufriedener und freier sein könnten. Ein wesentlicher Grund für Nicht-Scheidungen ist Geld, sagt Anwältin Braun. Zu ihr kommen Klienten mit der festen Absicht, die Trennung durchzuziehen. Aber wenn sie dann erfahren, wie wenig ihnen nach der Scheidung bleibt, verlassen sie geschockt die Kanzlei und werden nie wieder gesehen. "Für manche, und zwar nicht nur für Frauen, ist die Scheidung eine Existenzfrage."

Viele Paare bleiben der Kinder wegen zusammen und tun ihnen damit selten einen Gefallen. "Bemitleidenswert sind die Nicht-Scheidungskinder, die in dem Bewusstsein aufwachsen, Schuld am Unglück der Eltern zu sein", sagt Braun. Psychologin Waldenmair meint, wenn Kinder als Ansporn verstanden werden, um gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten, dann sei das gut. Wenn sie aber der Kitt dafür sein sollen, dass man durchhält und in der Depression verharrt, dann sei das kein vorbildliches Verhalten. "Und Vorbild sollte man den Kindern ja sein."

Ein anderer Grund sei, dass man sich ans Unglück gewöhnt und die Ungewissheit scheut, sagt Braun. Denn instinktiv haben wir vor der Ankunft des Neuen mehr Angst als vor dem Bestehenbleiben des Alten, auch wenn das unglücklich macht.

»Manche gewöhnen sich ans Unglücklichsein. Sie ziehen das Unglück der Ungewissheit vor.«

Dass es Mut braucht, sich ins Ungewisse zu wagen, vor allem als Mutter eines kleinen Kindes, weiß Sandra Haider. Sie war 33, als sie sich nach acht Jahren Ehe von ihrem Mann scheiden ließ. Ihre gemeinsame Tochter war damals sechs. Das Ehepaar hatte sich im Lauf der Jahre ganz klassisch auseinandergelebt. Als Sandra die Kleinkinderjahre hinter sich gebracht hatte und neu durchstarten wollte, merkte sie, dass ihre Vorstellungen, Träume und Ansprüche ans Leben mit denen ihres Mannes nicht mehr vereinbar waren.

Sie wollte wieder arbeiten gehen, er wollte auf die Annehmlichkeiten einer Hausfrau und Mutter, die ihm den Rücken frei hielt, nicht verzichten. Er träumte von einem Häuschen auf dem Land, sie von einem abwechslungsreichen Leben im Stadtzentrum. Er wollte weitere Kinder, sie wollte ihr Leben wieder selbstbestimmter gestalten. Die Kluft zwischen den beiden wurde größer und entlud sich in erbitterten Streitereien um Belanglosigkeiten.

An ihrem 33. Geburtstag beschloss Sandra, dass es so nicht weitergehen kann.

Das Paar versuchte es noch einmal mit einem Liebesurlaub in der Karibik, bei dem nur noch klarer wurde, was Sandra schon lange ahnte: "Es funktioniert nicht. Wir finden keinen gemeinsamen Weg."

Sandra zog aus dem gemeinsamen Eigenheim aus, suchte für sich und ihre Tochter eine winzige Wohnung und nahm einen geringfügigen Job an. "Leicht war das nicht, plötzlich alleinerziehend und für mich selbst verantwortlich zu sein. Es war schwer, mit meinem Minigehalt überhaupt eine Wohnung zu finden, und alle rieten mir von dem Schritt ab. Meine Eltern prophezeiten mir, ich werde schon bald wieder bei ihnen einziehen müssen." Aber Sandra ließ sich nicht beirren. Sie nahm ihr Leben in die eigene Hand und sagt rückblickend: "Es hat sich gelohnt. Endlich konnte ich wieder ich sein. Statt auf unlösbare Streitereien konnte ich mich auf mein Kind, meine Arbeit und auf mich selbst konzentrieren. Ich konnte mich entwickeln, und ich wäre heute nicht die, die ich bin, wäre ich bei ihm geblieben."

Heute, fast acht Jahre nach der Scheidung, ist Sandra beruflich erfolgreich, hat ein inniges Verhältnis zu ihrer Tochter und zieht gerade mit ihrem neuen Partner und dessen Kind in einen Patchwork-Haushalt. Sie ist "zufrieden geschieden". Auch ihr Exmann kann das heute von sich behaupten. Er führt das Leben, von dem er geträumt hat, am Land, mit Ehefrau und einem weiteren Kind. Um ihre Tochter kümmern sich Sandra und ihr Ex gemeinsam. Ihre Beziehung ist heute, Jahre nach der Trennung, entspannt und unverkrampft.

Übernimm Verantwortung!

"Wem es gelingt, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, die Vergangenheit zu reflektieren und auch seinen Anteil am Scheitern einer Beziehung anzuerkennen, für den kann sich die Scheidung als Chance erweisen. Als Chance, das eigene Leben neu in die Hand zu nehmen und positiv zu gestalten", sagt Familienpsychologin Waldenmair. Eine gut bewältigte Trennung kann zu innerem Wachstum führen und neue Energien freisetzen. Das gilt nicht nur für den, der verlässt, sondern auch für den Verlassenen. Wichtig ist es, möglichst rasch aus der Opferrolle herauszufinden, die Kontrolle über das eigene Leben zu übernehmen und dem "traurigen Schicksal" etwas entgegenzusetzen. Leider wird das von der Gesellschaft oft verhindert. Gemeinschaftliches Schimpfen über den, der die Scheidung eingereicht hat, ist ein beliebter Volkssport. Die Verantwortung für das Scheitern der Beziehung abzuwälzen und alle Schuld dem Partner zuzuschieben, ist zwar eine bequeme Lösung, sagt die Psychologin. Ziel sollte aber sein, mit der Vergangenheit abzuschließen und konstruktiv nach vorne zu sehen.

"Sind Kinder im Spiel, ist es besonders wichtig, den Expartner nicht abzuwerten und die eigene Enttäuschung nicht auf ihn als Elternteil zu übertragen", sagt Waldenmair. Ihren vier Kindern zu vermitteln, dass ihr Vater trotz seiner Alkoholsucht kein schlechter Mensch ist, war auch für Verena Rudolf immer wichtig. Sie ist davon überzeugt: "Wer den Ex abwertet, wertet die Kinder ab, denn sie sind zur Hälfte er." Wie Sandra Haider hat Verena heute eine gute Beziehung zu ihrem Exmann. Das Sorgerecht für die Kinder teilen sie sich. Und für beide gab es nach der Scheidung ein Happy End. Für Verenas Exmann war die Trennung der absolute Tiefpunkt, den er vermutlich gebraucht hat, um sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Er unterzog sich erfolgreich einem Entzug, fand ins Berufsleben zurück, verliebte sich neu und ist heute wieder verheiratet.

Verena ist seit ihrer Scheidung ein anderer Mensch geworden, sagt sie. Selbstbewusster und mit sich im Reinen. Vor einigen Jahren hat sie dann endlich auch das Gefühl kennengelernt, nach dem sie sich gesehnt hatte, das Gefühl, für einen anderen sterben zu können. Sie hat einen Mann gefunden, der bereit ist, mit ihr gemeinsam über sich hinauszuwachsen. Einen, mit dem sie sich vorstellen kann, die Hürden des Lebens verantwortungsvoll und in Liebe zu meistern. Im Vorjahr hat Verena erneut Ja gesagt -in einer selbst komponierten Zeremonie auf freiem Feld. Die Worte "für immer" hat das Paar dabei bewusst ausgespart. Auch wenn Verena überzeugt ist, dass es diesmal möglich ist.

Scheidungen in Zahlen

  • 16.351 Ehescheidungen gab es voriges Jahr in Österreich. Zum Vergleich: 44.502 Ehen wurden 2015 geschlossen.
  • 18.686 Scheidungskinder: Rund 20 Prozent der Kinder, die in einer Ehe geboren werden, werden zu Scheidungskindern.
  • Das Risiko für eine Scheidung ist in den ersten sechs Jahren statistisch am höchsten und sinkt dann kontinuierlich. Die meisten Ehen halten zehn bis 25 Jahre.
  • Im Schnitt lassen sich Männer im Alter von 45 Jahren scheiden. Geheiratet wird mit 30.
  • Frauen heiraten im Schnitt mit 27 Jahren. Bei ihrer ersten Scheidung sind sie 42.

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