"Lear" krönt den Festspielsommer

Simon Stone ist der richtige Regisseur für diese Aufgabe

Shakespeare-Oper „Lear“: Die Salzburger Festspiele 2017 enden mit einem beeindruckenden, nachhaltigen Musiktheater.

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Salzburger Festspiele - "Lear" krönt den Festspielsommer

Unter normalen Umständen pflegen die Salzburger Festspiele um diese Zeit im Wohlklang der letzten Konzerte zu verenden. Aber normal ist nichts in diesem Sommer, dessen Opernangebot zum Besten seit sehr vielen Jahren zählt. Und so setzt Intendant Markus Hinterhäuser einer ereignishaften Saison mit Aribert Reimanns Shakespeare-Oper „Lear“ ihren eigentlichen Höhepunkt auf.

Der 1978 unter Tumulten in München uraufgeführte „Lear“ hat sich als Schlüsselwerk der Moderne etabliert. Die Partitur ist wuchtig, verstörend, elementar, zugleich hoch kompliziert und an ihren Ruhepunkten von betörender Schönheit. Frappant ist Reimanns Umgang mit der menschlichen Stimme und dem Text nach der alten Prosa-Übersetzung von Eschenburg: Auch halsbrecherisch virtuose Passagen bleiben stets singbar und verständlich. Die Wiener Philharmoniker und Franz Welser-Möst haben sich in einem fordernden Sommer das Werk von Grund auf erarbeitet, und das Resultat ist atemberaubend: Reimanns archaische Gewaltausbrüche korrespondieren frappant mit der Schönheit und Raffinesse des Orchesterklangs. Henzes „Bassariden“ im nächsten Jahr, einem weiteren Klassiker der Moderne, kann man mit Begier entgegenblicken.

Dazu haben die Festspiele eine nahezu ideale Besetzung aufgeboten: Um den gesanglich und darstellerisch elementaren Gerald Finley, der Unglaubliches an Emotion und Kondition mobilisiert, ordnet sich ein Ensemble bestausgewogener Stimmen. Charles Workman, Matthias Klink und Derek Welton repräsentieren glänzend das Tenor-Fach, dazu kommt der intensive Countertenor Kai Wessel als Edgar. Evelyn Herlitzius und Gun-Brit Barkmin stehen überzeugend auf der Seite des Bösen, Anna Prohaska als Cordelia produziert den einen oder anderen Engelston, auch Lauri Vasar und Michael Colvin ist nichts Abträgliches nachzusagen. Michael Maertens ist ein charismatischer, präsenter Narr.

Simon Stone ist der richtige Regisseur für diese Aufgabe. Ins unmenschliche Heute transferiert, geht hier eine große Shakespeare-Aufführung in Szene. Ein breiter Bühnenstreifen der Felsenreitschule ist in ein Blumenmeer verwandelt (Bühne: Bob Cousins), das sich in Dreck und Schlamm verwandelt, wenn der alte König Lear sei Reich zwischen seinen Töchtern aufgeteilt und damit den Weltuntergang durch Gier und Machtwahn entfesselt hat. Im Bühnenhintergrund scheint Publikum zu sitzen, doch in Wahrheit sind das 147 Statisten, die auf dem Höhepunkt der Entmenschung von einer Polizeieinheit nach vorn gezerrt und einem Schlachtungsritual unterzogen werden.

Nachdrückliches, nachhaltiges Musiktheater, das einen großen Festspielsommer abschließt und krönt.

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