Aida: Eine Quadratur des Kreises

Heinz Sichrovsky über Anna Netrebkos Rollendebüt

Man kann eine Aufführung skandalisieren, man kann sie aber auch sensationalisieren und sie so mit uneinlösbaren Erwartungen überladen. So erging es dieser „Aida" der Salzburger Festspiele: Anna Netrebkos Rollendebüt unter dem zusehends opernrestriktiven Riccardo Muti, der in einer Zeit der Dirigentenkrise den imperialen Glanz verwichener Karajan-Zeiten repräsentiert: Das konnte in der Vorauswahrnehmung nur ein Ereignis singulären Zuschnitts werden. Es wurde eine festspielwürdige, aber nicht überragende Aufführung, die für viele Besucher dennoch ihren Zweck erfüllte.

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Denn die Netrebko, für die man Preise selbst jenseits aller Schwarzmarktgepflogenheiten entrichtete, fügt ihrem Portfolio eine weitere ideale Rolle hinzu. Wie schon anlässlich ihrer „Troubadour"-Leonore hinterlässt sie im opernkundigen Besucher die Gewissheit, die Rolle nie besser auf der Bühne erlebt zu haben. Die Stimme blüht in Schönheit und dramatischer Kraft, und die rätselhafte Bühnen-Aura der (im Leben höchst bodenständigen) Netrebko schafft eine zutiefst menschliche und bewegende Schmerzensgestalt, deren Leiden gleichwohl exemplarische Größe erreicht. Ihr zur Seite ein erfreulich nobler, lyrischer Radames (Francesco Meli), ein sehr guter Amonasro (Luca Salsi), eine respektable Amneris (Ekaterina Semenchuk) und zwei ordentliche Bässe: Hier ist nichts auszusetzen.

Die Philharmoniker brauchen eine Zeit, ehe sie unter Mutis Führung das beiderseits obligate Format erreichen. Nach etwas hektisch poliertem Beginn gelangt man dann allerdings zu starker Wirkung mit avantgardistisch dosierten Klangmischungen der Holzbläser im Nil-Akt und einem apotheotischen Finale.

Bleibt das Szenische, und hier musste quasi der Kreis quadriert werden: nämlich dem allen Experimenten abgeneigten Muti dennoch eine Inszenierung jenseits der Routine entgegenzusetzen. Und die namhafte iranische Filmerin und Konzeptkünstlerin Shirin Neshat wählte einen prinzipiell spannenden Weg: den der Konzentration und Reduktion, um das missverstandene Werk aus dem Bannkreis der Freiluftarenen zu erlösen. Hier wird kein Monumentalkitsch aus dem ägyptischen Andenkenladen feilgeboten, und der gefürchtete Triumph-Akt ist kein Elefantenaufmarsch. Vielmehr zelebriert da eine unheimliche Priesterkaste von einer Tribüne aus den Triumph der Unmenschlichkeit eines barbarischen Krieges. Um die Schrecken der Religion als Machtinstrument ist es der Regie in erster Linie zu tun.

Christian Schmidts Szene wird von zwei bühnenhohen Kuben eingenommen. Hier erfüllen sich die Schicksale in beinahe oratorienhafter Klarheit. Eine suggestive Filmprojektion – bedrängte Menschen auf der Flucht – offenbart alle Qualitäten der Regisseurin. Allerdings fehlt es am Bühnenhandwerk, insbesondere an der Personenführung. Inmitten dieses Konzepts erfüllen sich doch menschliche Schicksale. Und die Netrebko ausgenommen, die mit ihrer Aura eine großartige Gestalt schafft, verharren alle in abgebrauchten Operngesten, und auch die Bühne dreht sich bisweilen zur Unzeit.

Das Publikum wirkte mehrheitlich glücklich, aber nicht überwältigt.