Rapid & Austria auf UEFA-Watchlist

Gewalt in Stadien gehört im Spitzenfußball noch immer zum Alltag, weil viele Landesverbände zu milde strafen.

von Michael Kuhn © Bild: NEWS / Thomas Jantzen

Der Zugang zu diesem brisanten Thema kam mir leicht vor. Irrtum. Gewalt im Fußball hat so viele Facetten. Lust an Prügeleien, nationalistische Motive. Ein gemeinsamer Nenner springt ins Auge: Sport mit dem Multiplikator Fernsehen ist die ideale Bühne für internationale Aufmerksamkeit. Das hatte schon seinerzeit die DDR vorexerziert, als sie über Sporterfolge nach staatlicher Anerkennung gierte. Politische Extremisten mischen sich immer frecher unter Naiv-Gewalttätige.

Im langen Reporterleben hab ich, weiß Gott, schon viel Verrücktes erlebt. Den Fußballkrieg Honduras gegen El Salvador. Auslöser war die Qualifikation zur WM 1970. Aus Krawallen wurde Krieg mit 1.100 Toten. Wahrer Grund: wirtschaftliche Spannungen. Fußball als Vorwand. Anders als im Drama von Brüssel, als 39 Menschen, größtenteils Juventus-Tifosi, auf der Flucht von Liverpool-Fans erdrückt wurden. Die „Krone“ titelte damals: „Sie töteten im Drogenrausch“. Die Droge hieß Gemeinschaftserlebnis der übelsten Art.

Belgrad aber war quasi Fortsetzung des Balkankriegs, der Zerstückelung Ex-Jugoslawiens. Der Serbe Ivan Bogdanov, genannt Ivan, der Schreckliche, Gewalttäter und Nationalist, hatte schon am 12. Oktober 2010 in Genua den Abbruch des Spiels Italien gegen Serbien provoziert. 39 Monate saß er in Italien im Knast. Jetzt zeigen Videos, wie er in Belgrad auf dem Spielfeld mitmischte. Wie war dieser Unmensch ins Stadion gekommen? Die Exekutive versagte. Mit Absicht?

Nationalisten haben sich des Fußballs bemächtigt – auch des Klubfußballs und nicht nur auf dem Balkan. Lazio Roms berüchtigte „Curva nord“ ist verschrien für Rassismus und Antisemitismus. ZSKA Moskau musste kürzlich aus ähnlichen Gründen gegen FC Bayern die Tribünen geschlossen halten. Auch Österreich ist keine Insel der Seligen. Rapid (Fankrawalle 2012 in Saloniki) und Austria (Platzsturm 2009 in Wien gegen Bilbao) stehen auf der UEFA-Watchlist. Kernübel: Manche Vereine und Verbände reagieren lax. Akzeptieren Geldstrafen und setzen bestenfalls Alibihandlungen. Aus Angst, durch harte Maßnahmen Fans zu vergrämen.

Doch es geht auch anders. Im Fußballmutterland sind Gitter zwischen Tribünen und Rasen Vergangenheit. England, seinerzeit in Geiselhaft der Hooligans, hat aus drei Katastrophen Lehren gezogen: In Bradford 1985 verbrannten 56 Fans. In Brüssel wurden 39 auf der Flucht von Liverpool-Rowdies erdrückt, 1989 in Sheffield 96 niedergetrampelt. Folge: Strategie „zero tolerance“. Lord-Richter Taylor, Sonderbeauftragter zur Rettung des britischen Fußballs, legte 76 Thesen vor, die beinhart durchgezogen wurden. Darunter: keine Stehplätze mehr, kein Alkohol, Videoüberwachung, aber kaum noch Polizei in den Stadien. Fans müssen sich registrieren lassen, werden nur beschränkt zu Auslandsspielen zugelassen. Eine neue soziale Fanstruktur bildete sich. Sitzplätze wurden zu teuer für Ex-Hooligans, Zusammenrottungen unmöglich. Allerdings, anders als zur Zeit in Ex-Jugoslawien, hatte die Gewalt keine nationalistischen Motive, sondern reine Rauflust.

Die Zukunft? Körperkontrollen vor den Stadien wie auf Flugplätzen? Entwürdigend, aber nötig, solange kein Bewusstsein für Anstand geschaffen wird. So ist das Gerücht durchaus glaubwürdig, Red-Bull-Boss Mateschitz spiele mit dem Gedanken, eine eigene familienfreundliche, gewaltfreie Fußballliga zu schaffen.

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