Putin warnt vor Nuklearkonflikt mit dem Westen

von Putin warnt vor Nuklearkonflikt mit dem Westen © Bild: APA/APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV

Putin hält Rede zur Lage der Nation

Russlands Präsident Wladimir Putin hat dem Westen vorgeworfen, die Gefahr eines Nuklearkonflikts heraufzubeschwören. "Alles, was der Westen sich einfallen lässt, womit sie die Welt erschrecken, schafft die reale Gefahr eines Konflikts mit dem Einsatz von Atomwaffen, was die Auslöschung der Zivilisation bedeutet", sagte er am Donnerstag in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation.

Er wies den Westen zudem auf das Potenzial des russischen Militärs hin: "Sie sollten endlich begreifen, dass auch wir über Waffen verfügen, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können."

Konkret warnte er auch die NATO-Staaten davor, Militärkontingente in die Ukraine zu entsenden, um gegen russische Truppen zu kämpfen. Die Folgen eines solchen Schrittes könnten tragisch sein, sagte er. Den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine hatte zuletzt der französische Staatschef Emmanuel Macron aufgeworfen.

Zugleich wies Putin Behauptungen, dass Russland den Westen angreifen wolle, als "Blödsinn" zurück. Das Land werde vielmehr für seine eigene Sicherheit den Rüstungskomplex hochfahren und auch die westliche Flanke des Riesenreichs weiter stärken wegen der Gefahr, die von der NATO-Erweiterung ausgehe.

Den USA bot Putin erneut einen Dialog an zur strategischen Sicherheit in der Welt. Russland und die USA hatten im Zuge ihres Konflikts mehrere Abrüstungsverträge ausgesetzt oder aufgekündigt. Russland sei bereit zu neuen Gesprächen, wenn die USA aufhörten, es auf eine strategische Niederlage Moskaus abzusehen.

Eine starke globale Ordnung sei ohne ein starkes Russland nicht möglich, sagte der Präsident weiter. Er sei bereit, über eine "eurasische Sicherheitsarchitektur" zu sprechen. Die USA hätten die Sicherheit in Europa demontiert. Der Westen versuche, Russland in einen Rüstungswettlauf zu ziehen. Putin kritisierte in diesem Zusammenhang die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO.

Russland werde nicht den Fehler begehen, sich wie die Sowjetunion in einen ruinösen Rüstungswettlauf mit dem Westen einzulassen, sagte Putin. Das Wettrüsten mit den USA im Kalten Krieg gilt als einer der Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang der Sowjetunion, deren Auflösung Putin als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hatte. "Unsere Aufgabe ist es, den militärisch-industriellen Komplex derart zu entwickeln, dass das wissenschaftliche, technologische und industrielle Potenzial des Landes erhöht wird", sagte Putin.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird nach Darstellung des Präsidenten von der "absoluten Mehrheit der Bevölkerung" Russlands unterstützt. Er dankte in seiner Ansprache den Bürgern und den Unternehmern für die Unterstützung bei der "militärischen Spezialoperation". Das Volk arbeite "in drei Schichten", um die Bedürfnisse der Front zu decken, sagte der Präsident weiter. Für die Gefallenen rief er eine Schweigeminute aus.

Putin erinnerte auch an den 10. Jahrestag der Krim-Annexion, als sich Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel einverleibte. Das Land schaue "mit Stolz" auf das Ereignis und das Erreichte. "Zusammen können wir alles schaffen", sagte er. Russland werde niemandem erlauben, sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen.

Die russische Wirtschaft hatte sich bisher unerwartet robust erwiesen, nachdem westliche und weitere internationale Staaten beispiellose Sanktionen wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängt hatten. Zudem hatten zahlreiche Fachkräfte das Land nach Kriegsbeginn verlassen. Dass die Konjunktur sich im vergangenen Jahr deutlich von dem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2022 erholt hatte, lag auch an umfassenden Ausgaben für Rüstung. Putin sagte, die Russland solle gemessen an Kaufkraftparitäten bald die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sein. Als Herausforderungen nannte er Mangel an Arbeitskräften und Technologie. "Wir müssen hier proaktiv sein", sagte er.

Putin verwies gleichzeitig auf die verbreitete Armut in Russland und kündigte weitere Schritte zur Unterstützung von Familien an. Neun Prozent der gesamten Bevölkerung und mehr als 30 Prozent der kinderreichen Familien lebten in Armut, sagte der Präsident. Bis 2030 sollten diese Anteile auf weniger als sieben beziehungsweise zwölf Prozent gesenkt werden. Angesichts der schrumpfenden Bevölkerung kündigte Putin Steuervorteile für Familien und ein umgerechnet 825 Milliarden Dollar schweres Programm für Regionen mit niedrigen Geburtenraten an.

Es ist Putins 19. Rede zur Lage der Nation. Zuletzt hatte der Präsident im Februar 2023 die Rede gehalten und dabei die Aussetzung des Atom-Abrüstungsvertrags "New Start" erklärt. Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte er die Rede zur Lage der Nation ausfallen lassen.

Es gilt als sicher, dass der 71-Jährige bei der vom 15. bis 17. März angesetzten Präsidentenwahl zum fünften Mal im Amt bestätigt wird. Die Opposition ist nicht zugelassen. Putins Mitbewerber unterstützen die Politik des Kremlchefs und gelten aus Sicht von Regierungskritikern als reine Staffage. Kremlgegner sprechen von einer Scheinwahl.

Als "völlige Verkehrung der Tatsachen" wies Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) die Vorwürfe Putins zurück. "Wenn ein Staat einen anderen überfällt, dann ist es einfach eine Verletzung aller Prinzipien der UN-Charta", betonte er am Rande seiner Nahost-Reise in Beirut vor österreichischen Journalisten. "Es ist immer wieder erstaunlich, welche Art der Realitätsverweigerung, des Geschichtsrevisionismus zu sehen ist, wenn der Präsident der Russischen Föderation Putin das Wort ergreift", kommentierte Schallenberg die "stundenlange Pressekonferenz" Putins.