St. Wolfgang: Mit blauem
See und blauem Auge

Die News gingen um die Welt: St. Wolfgang - ja, das von der Kitschpostkarte -ist die neue Corona-Hölle. Wie gehen Hoteliers und andere Betroffene damit um? Und kann Urlaub, selbst in Österreich, überhaupt sicher sein? Ein Ausflug zum schönen Wolfgangsee.

von Tourismus - St. Wolfgang: Mit blauem
See und blauem Auge © Bild: www.neumayr.cc/Chris Hofer

Es ist wie eine Szene aus einem Felix-Mitterer-Film. Die Sonne scheint, der See glitzert Postkarten-türkis, vor den Souvenirläden stapelt sich kunstvoll aufgebauter Ramsch -und der Ortskern von St. Wolfgang ist so gut wie leer. Seitdem das böse Wort vom "Sommer-Ischgl" durch die internationalen Medien geistert, bleibt das Publikum aus, bestätigen Mitarbeiter, die sich an diesem schönen Sommertag ratlos und gelangweilt die Beine in den Bauch stehen. In einem Laden mischt sich das Ticken von gut hundert Kuckucksuhren mit leiser Schlagermusik zu einer surrealen Geräuschkulisse. Kein "Horst-Dieter, sieh mal das hübsche Schnapsglas mit Sisi-Motiv" übertönt den eintönigen Sound of Corona. Hier steht, im Augenblick, alles still.

Im Hintergrund kurbeln die tüchtigen Touristiker vom Wolfgangsee schon wieder kräftig am Neustart. Motto: volle Aufklärung und retten, was zu retten ist.

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Keine dreihundert Meter entfernt vom menschenleeren Platzl vor dem Weißen Rössl räkeln sich im Garten des Hotels Cortisen unerschrockene Urlauber auf Sonnenliegen. Ein Idyll. Als wäre nie was gewesen. Angst vor Ansteckung? Ach was. Ein Paar aus Wien hat seinen Aufenthalt sogar verlängert, das Wetter verspricht schön zu bleiben. Man fühlt sich sicher. Es hilft, dass das Cortisen keine Corona-Fälle zu vermelden hatte. "Wir hatten nur eine einzige vorzeitige Abreise", berichtet Hotelier Roland Ballner. "Aber es gibt natürlich gewaltig viele Stornos, keine Frage. Kurioserweise auch für Mitte September." Ballners Hotel hat derzeit freie Zimmer, ungewöhnlich für die Hochsaison. Aber die Buchungslage ist gut. Schwieriger ist es für Betriebe, die von Corona-Fällen betroffen waren. Das Hotel Peter, in dem der Corona-Cluster mit vier infizierten Praktikanten seinen Ausgang nahm, musste diese Woche ein Minus von 70 Prozent hinnehmen, sagt Pächter Dominik Erbele. "Es kommen aber auch wieder Buchungen herein. Es ist derzeit ein Hin und Her."

Verseuchtes Eldorado

Die Story vom Corona-verseuchten Fremdenverkehrs-Eldorado St. Wolfgang beschäftigt die sensationshungrige Medienwelt, nicht zuletzt die deutsche. Aber neben der schnellen Schlagzeile bietet die Causa auch Anlass, grundsätzliche Fragen zu stellen: Hält das Versprechen vom unbeschwerten Österreich-Urlaub trotz Corona-Pandemie? Reichen die verfügbaren Containment-Strategien aus? Hätte man den Ausbruch irgendwie verhindern können? Die letzte Frage zumindest ist leicht zu beantworten, finden die St. Wolfganger Hoteliers: Nein.

Zunächst lagen 62 Fälle vor, darunter 56 Mitarbeiter, drei Gäste eines Hauses im Ort und drei Jugendliche aus der Umgebung. Bei dem Großteil der positiv getesteten Mitarbeiter handelt es sich um Praktikanten. 15-oder 16-jährige Hotelfachschüler, die hier ihre Ausbildung absolvieren. Drei Monate, Zehnstundenschichten, 1.200 Euro Lohn, so lautet der Ausbildungsdeal. Die jungen Leute wohnen in Apartments oder Zimmern eng zusammen. Und verbringen die Abende, wen wundert's, nicht gerne in Einzelhaft vor dem Fernseher, sondern in geselliger Runde.

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St. Wolfgang verfügt über kein nennenswertes Nachtleben. Zwei Bar-Cafés im Ort sind abends länger geöffnet und ein beliebter Treffpunkt für die Praktikanten. In seinem Lokal, sagt der Betreiber des derzeit freiwillig geschlossenen Cafés 13er Haus, hätten keine wilden Corona-Partys stattgefunden, nur ganz normaler Barbetrieb. Auch Marvin Laimer von der St. Gilgener 12er Alm Bar, in früheren Jahren ein Party-Hotspot am See, versichert, heuer keine zügellosen Mitarbeiterfeste veranstaltet und das Lokal Corona-gerecht adaptiert zu haben. "Das könnten wir uns gar nicht leisten."

Dennoch, in einer der beiden St. Wolfganger Bars sollen sich die jungen Praktikanten bei Geburtstagsfeierlichkeiten angesteckt haben, wird zumindest vermutet. Die ersten Fälle betrafen drei in einem Dreibettzimmer untergebrachte Mitarbeiterinnen von Dominik Erbele. Hätte man ihnen von Lokalbesuchen abraten, sie anders unterbringen müssen? "Man kann den Mitarbeitern nicht jeglichen sozialen Kontakt verbieten. Man kann sie nicht einsperren und nur zum Arbeiten rauslassen", argumentiert der Hotelchef. Die Frage nach anderen Unterbringungsmöglichkeiten stelle sich ebenfalls nicht: "Ich sehe keine Alternative dazu. Wir haben kein zweites Mitarbeiterhaus."

Pech gehabt

Schicksal also, dass es zufällig eine St. Wolfganger Praktikantin erwischte? Ja, meint auch Hotelier Ballner: "Wir müssen damit leben. Es passiert und wird wiederkommen. Wir haben das Pech gehabt, dass es nicht am 24. September, sondern am 24. Juli passiert ist. Andererseits sind wir froh, dass es nicht der 24. Juni war. Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir nicht entsprechend reagiert haben." Nachsatz: "Man darf die Praktikanten nicht an den Pranger stellen. Die haben den ganzen Tag Stress und wollen auch einmal Spaß haben. Wir waren früher auch so."

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Am vergangenen Freitag wurden die Corona-Fälle in St. Wolfgang bekannt. Alle Praktikanten, sagt Hotel-Peter-Chef Dominik Erbele, wurden sofort unter Quarantäne gestellt und am nächsten Tag aus Sicherheitsgründen von ihren Eltern abgeholt. Eine Betriebstestung habe keine weiteren positiven Fälle ergeben. Am Samstag und Sonntag konnten sich Gäste, Mitarbeiter und Einheimische in St. Wolfgang auch ohne Symptome testen lassen. Insgesamt wurde so der Corona-Status von rund zwei Drittel der am Wochenende in St. Wolfgang aufhältigen Personen (insgesamt ungefähr 500 Einheimische und 1.000 Gäste) überprüft. Zudem wurde beschlossen, rückwirkend bis 15. Juli alle Gäste zu kontaktieren und über die aktuellen Entwicklungen zu informieren.

In St. Wolfgang ist man sich sicher: Der Cluster ist eingegrenzt. Wir haben alles richtig gemacht.

Aber es gibt auch kritische Stimmen.

Schlechte Information

Der Niederösterreicher Markus Senn, im Hauptberuf Marketingverantwortlicher, im Nebenberuf SPÖ-Gemeinderat in Trumau, verbrachte letzte Woche einige Tage in St. Wolfgang. Er erfuhr aus den Medien von den Corona-Fällen in seinem Urlaubsort. "Es gab keine Hinweise in der Unterkunft oder zum Beispiel in der Fußgängerzone. Wir wurden weder über das Auftreten der Fälle noch über die Testmöglichkeiten informiert. Ich habe dann selber beim Roten Kreuz angerufen." Über das St. Wolfganger Krisenmanagement sagt Senn: "Gut war sicher, dass die Mitarbeiter schnell getestet wurden, im Unterschied zu Ischgl, und dass freiwillige Tests auch für Personen ohne Symptome angeboten wurden. Aber die Kommunikation hat nicht funktioniert. Die freiwilligen Tests wurden zum Beispiel erst ab Samstagnachmittag angeboten, da waren viele Urlauber schon abgereist, ohne von den Testmöglichkeiten zu wissen. Die Informationen sind schlecht aufbereitet, gerade auch in Hinblick auf Mehrsprachigkeit und Touristen aus dem Ausland. Und man muss sich alles selber zusammensuchen."

Eine Person aus Senns Reisegruppe wurde positiv getestet. Die Information, in welchem St. Wolfganger Hotel sie abgestiegen war, wurde übrigens 48 Stunden lang nicht veröffentlicht -das Hotel galt bis Mittwoch offiziell als Corona-frei. Wie es überhaupt zu der Ansteckung kam, sagt Senn, könne er sich nicht erklären. "Wir waren in der Gruppe extrem vorsichtig. Wir hatten keinen Kontakt mit anderen und sind nur draußen gesessen. Die Abstände zu den anderen Tischen waren groß. Die Kellner haben die Maskenpflicht überwiegend eingehalten. Einmal waren wir im 13er Haus, aber auch da im Freien und ohne Kontakt zu anderen Personen."

Ist das Learning aus St. Wolfgang, dass es keine Garantie gibt, Corona-frei aus dem Urlaub zurückzukommen -selbst wenn sich alle Beteiligten brav an die Regeln halten? Doch lieber zu Hause bleiben, als sich an einem Touristen-Hotspot, egal ob italienisch, spanisch oder österreichisch, anzustecken? Es ist ein schmaler Grat zwischen Vorsicht und Alarmismus.

Troubleshooter

Der PR-Profi Arno Perfaller arbeitet seit einigen Tagen als Troubleshooter für die St. Wolfganger Hoteliers. Und er ist, dem ständigen Klingeln seines Handys nach zu schließen, gut ausgelastet. Die Sache sei im Griff, beteuert er. Die Stimmung im Ort gefasst und zuversichtlich. Die ständigen Vergleiche mit Ischgl? "Eine Themenverfehlung. Es würde den einen oder anderen Mitarbeiter sicher freuen, wenn er so viele Ausgehmöglichkeiten hätte wie in Ischgl. Haben wir aber nicht."

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Den Vorwurf, zu zögerlich informiert zu haben, weist er zurück. "Es wurde in kürzestmöglicher Zeit reagiert und zwischen Panik und belastbaren Daten abgewogen. Hätte man wegen eines unbestätigten Verdachts Unruhe stiften sollen? Es gibt Orte, wo es zehn Tage gedauert hat, bis etwas passiert ist, in St. Wolfgang hat man das in zehn Stunden gemacht. Es wäre absolut fatal für die Betriebe und für den Standort, wenn man -im Wissen um das Problem von Wintersportorten -auf Verheimlichung gesetzt hätte. Unmöglich."

Ein Problem ist aber auch mit solch vollmundigen Ansagen nicht aus der Welt. Es gibt Betriebe, die an den freiwilligen Testprogrammen von Regierung und Wirtschaftskammer nicht teilnehmen -aus Angst vor den negativen wirtschaftlichen Folgen, sollte ein Test positiv ausfallen. Oder frei nach Donald Trump: Wenn ich nicht teste, habe ich auch kein Corona. Eine Angst, die nachvollziehbar ist, wenn man an die Stornierungswelle im Hotel Peter denkt. Andererseits: Ein echtes zweites Ischgl wäre der absolute Super-GAU. Das hat man in St. Wolfgang, stolzer Fremdenverkehrsort seit 500 Jahren, Inbegriff der unternehmerisch perfekt inszenierten Sommerfrische und Pilgerort für Trachtenpuppen-Liebhaber, begriffen.

Alpen-Zombies

Wie hätte ein Mitterer die Geschichte gesponnen? Ein Rudel hungriger Alpen-Zombies stieg vom Schafberg herab und fraß alle zwischen Weißem und Schwarzem Rössl herumirrenden Touristen auf? Im echten Leben ist's, Pandemie hin oder her, weit weniger dramatisch. Das Ticken der Kuckucksuhren wird bald nicht mehr so penetrant zu hören sein und das Sisi- Schnapsglas einen warmen Platz in einem deutschen Küchenschrank finden. Selbst Dominik Erbele, Chef des vom Corona-Cluster stark betroffenen Hotels Peter, ist optimistisch. "Der Ort ist jetzt besonders sicher. Die Sorgsamkeit im Umgang mit dem Thema ist jetzt wieder ganz oben, was vielleicht auch notwendig war. Die Saison ist gut angelaufen und war in den letzten Wochen rekordverdächtig. Jetzt gibt es einen Einbruch, aber das Geschäft ist nicht schlecht." Auch Roland Ballner vom Seehotel Cortisen glaubt, dass die Saison noch nicht gelaufen ist und "wir mit einem blauen Auge davonkommen können". Ein sehr blauer See ist manchmal halt auch ein sehr großer Vorteil.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 31/2020) erschienen!