Oberhausers Kampf gegen Krebs:
"Überlebenswille ist das Wichtigste"

Die verstorbene Gesundheitsministerin im berührenden Interview vom Dezember 2015

Anfang 2015 bekam Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser die Diagnose Unterleibskrebs. Sie machte ihre Krankheit öffentlich. Im Sommer 2016 wurden bei einer Operation wieder Krebszellen gefunden. Am 23. Februar 2016 verlor Oberhauser den Kampf gegen den Krebs. Im News-Interview vom Dezember 2015 sprach sie über ihren Kampf gegen den Krebs.

von Sabine Oberhauser © Bild: www.sebastianreich.com

Frau Ministerin, welche Momente waren heuer, im auslaufenden Jahr 2015 für Sie die glücklichsten?
Immer, wenn ich nach dem Spital, nach einer Chemo oder einer Operation auf der Couch gesessen bin. Da war ich glücklich, wieder zu Hause sein zu dürfen.

Wie geht es Ihnen jetzt gesundheitlich?
Gut. Soll mir nie schlechter gehen als heute. Die letzte Operation hat sich noch ziemlich reingezogen, mehr als ich gedacht hatte, und die Antikörpertherapie macht mich sehr müde. Aber meine Tumorwerte sind hervorragend - all time low, so niedrig wie nie.

Verändert eine Krebsdiagnose den Blick auf das eigene Leben?
Die ersten zwei, drei Tage, da schaust du nur, dass du funktionierst. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich es meinen Kindern gesagt habe, wann ich mit meiner Mutter telefoniert habe. Dann folgt eine Woche im Spital, wo nicht viel passiert. Da hat man Zeit nachzudenken: Würde ich jetzt, im Nachhinein etwas anders machen? Anderer Lebenspartner, anderer Beruf, anderer Wohnort? Meine Antwort: Nein, ich genieße mein Leben und bin heilfroh, dass es so war, wie es war, dass es so ist, wie es ist. Job und Wohnung passt und mein Mann - ohne ihn hätte ich das alles nicht geschafft, er war eine Riesenstütze.

Es heißt, wenn man seine Endlichkeit spürt, bereut man nicht, was man gemacht hat, sondern das, was man nicht gemacht hat.
Nein, ich habe alles gemacht.

Was hat die Krankheit Sie über das Leben gelehrt?
Wie wichtig eine funktionierende Beziehung ist. Mein Mann und ich, wir sind seit 30 Jahren zusammen, seit 28 verheiratet, das bekommt natürlich eine gewisse Routine. Heuer sind wir über diese Selbstverständlichkeit hinausgewachsen. Wir leben unsere Beziehung viel bewusster, dafür bin ich dankbar.

Sabine Oberhauser
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Wussten Sie vor der Diagnose, dass Sie sich auf Ihren Mann so verlassen können?
Von Anfang an. Wir lernten uns vor dreißig Jahren im Februar kennen, im Juli fuhren wir mit dem Campingbus auf Urlaub in die Türkei. Die Reise endete in einer Maschine der Ärzteflugambulanz. In der Nacht, in den Bergen, fern jeder Zivilisation, war ein Spiritusbrenner explodiert und ich hatte schwere Verbrennungen am halben Körper. Als ich in Wien im Spital lag, sagten meine Freundinnen: "Du darfst nicht enttäuscht sein, wenn er sich verdrückt, ihr seid ja noch nicht lange zusammen. Das ist normal." Aber er holte mich vom Spital ab, wechselte meine Verbände und weckte mich einen Monat lang jede Nacht auf, wenn ich Albträume hatte.

Es gibt diejenigen, die gegen den Krebs mit aller Kraft ankämpfen und diejenigen, die ihn annehmen. Sie sind eine Kämpferin, oder?
Genau. Ich möchte aber betonen, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss, ich will da keine Ratschläge geben, es muss stimmig sein.

Die Opernsängerin Montserrat Caballé nannte ihren Gehirntumor in der "Zeit" einmal "meinen Freund", in einem anderen Interview "meinen Untermieter".
Ich hätte ihn delogiert. Meine Einstellung: Weg mit dem Dreck! Mein Bild dazu gleicht der Werbung für WC-Reiniger, wo die Bakterien weggespült werden. Ich kann nicht sagen, welcher Weg der bessere ist, aber ich bin sicher, die Chancen steigen, wenn man das für sich Stimmige macht.

Kann der Wille Berge versetzen? Also: Wie wichtig ist der Überlebenswille?
Der Wille zu Leben speist die Kraft, gegen den Krebs zu kämpfen. Der Überlebenswille ist das Wichtigste. Also, das war meine Hoffnung: Wenn mein Wille stark genug ist, kann ich nicht sterben. Ich habe Kurt Kuch sehr bewundert für seinen unbändigen Überlebenswillen. Wir haben im Herbst des Vorjahres über Facebook hin- und hergeschrieben, wollten uns treffen, auch, weil er beim Thema Nichtraucherschutz so viel bewirkt hat. Leider ist es sich nicht mehr ausgegangen. Trotzdem hoffe ich, dass der Wille Berge versetzt. Nein, ich glaube fest daran.

Sind Sie eigentlich ein spiritueller Mensch? Glauben Sie an einen Gott, der Ihnen Halt gibt? Oder ist es absurd, eine Ärztin und Sozialdemokratin danach zu fragen?
Ich bin überhaupt nicht spirituell veranlagt. Was mich aber sehr berührt hat, war, dass mir irrsinnig viele Menschen und auch offizielle Vertreter fast aller Religionsgemeinschaften geschrieben und mich gefragt haben, ob sie für mich beten dürfen. Viele zündeten Kerzen für mich an. Das war tröstlich. Also ich sammle Buddhas, aber ich bin keine Buddhistin. Mir gefällt nur der kleine, dicke, zufriedene Mann, wie er da sitzt. Das ist meine Sehnsucht nach Ruhe und Gelassenheit.

In der westlichen Interpretation des Buddhismus geht es auch darum, im Hier und Jetzt zu leben, nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft, sondern in der Gegenwart. Wie ist das bei Ihnen? Nach allem, was Sie erzählt haben, sind Sie wohl in die Zukunft orientiert.
Das stimmt. Meine Freunde sagen, ich hake Erfolge immer schnell ab, auch ohne sie zu feiern. Das war so bei meinem Nationalratsmandat, bei meinen Erfolgen im ÖGB, auch mit dem Ministeramt. Ich schaue immer nach vorne und frage mich: Was ist als nächstes zu tun? Was kommt jetzt?

Sabine Oberhauser
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Hat sich durch die Krankheit in dieser Hinsicht etwas verschoben?
Schon, mein Leben ist mehr ins Heute gerückt. Vor einem Jahr noch, habe ich, wenn ich langfristig Termine ausgemachte oder einen Urlaub plante, oft im Spaß gesagt: "Hoffentlich leb' ich dann noch." Jetzt denke ich mir das auch, aber es hat eine ganz andere Bedeutung. Ich genieße schöne Momente intensiver. Ich will jetzt nicht pathetisch klingen, aber zum Beispiel, wenn ich in der Früh mit meinem Hund meine Runde gehe und das Licht im Morgengrauen im Wald besonders ist, dann denke ich: Die Welt ist schön, es geht mir gut. Das richtet mich auf. Ich halte diese Momente fest und poste die Fotos auf Facebook.

Und warum wählen Sie Facebook als Plattform, um die Menschen über Ihre Fortschritte auf dem Laufenden zu halten?
Ich war vorher schon sehr aktiv auf Facebook. Ich wollte zeigen, dass Politiker Menschen sind, wie alle anderen auch. Menschen, die viel arbeiten, aber auch privat Dinge unternehmen, die mit dem Hund spazieren gehen und sich über schönes Wetter freuen. Das ist auch ein Grund, warum ich meine Krankheit öffentlich gemacht habe: Politiker sind normale Menschen, sie sind krank und manchmal schwach, wie alle anderen auch.

Gibt es Ihnen Kraft, wenn viele Leute bei Ihren Statusmeldungen drücken: "Gefällt mir"?
Das gibt mir viel Kraft.

Obwohl Sie die allermeisten gar nicht persönlich kennen?
Ja. Ich hatte zuvor in der Früh regelmäßig einen Wetterbericht gepostet. Als ich das dann nicht selbst machen konnte, haben andere das übernommen. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das einen stärkt.

Apropos, Sie haben Ihre Erkrankung damals sehr rasch via Facebook öffentlich gemacht. Warum?
Ich wollte die Herrin meiner Diagnose sein. Ich wollte selbst kommunizieren und nicht, dass jemand anderer, auch kein Primararzt darüber spricht. Ich weiß retrospektiv, dass es damals schon hinaus ging, als ich zur ersten Abklärung im Spital war. Weil mir das eben klar war, dass ich es als Ministerin gar nicht verhindern kann, dass geredet wird, war ich sehr offensiv. Ich wollte keine Gerüchte. Deshalb habe ich auch auf eine Perücke verzichtet und bin mit Glatze ins Parlament und ins Fernsehen gegangen.

Früher war das in der Politik nicht üblich, da wurden Krankheiten jahrelang klein geredet, auch, um keine Schwäche zu zeigen.
Ich finde, die Menschen, die mich in den Nationalrat gewählt haben, haben ein Recht darauf, zu erfahren, ob ich krank bin oder nicht und ob ich imstande bin, meine Arbeit zu machen.

Wie waren die Reaktionen aus der Politik?
Extrem menschlich. Ich habe von Politikern aller Fraktionen SMS oder sogar sehr berührende, persönliche Geschenke bekommen. Unlängst war ich im Bundesrat, als ein neuer Kollege von der FPÖ, dem ich noch nie begegnet war, am Rednerpult sprach: Er sagte, wie froh er sei, dass ich wieder da sei und wie sehr er meine Kraft bewundern würde. Und dann hat er mir so richtig eine aufgelegt wegen der elektronischen Krankenakte Elga. Es gibt einen Unterschied zwischen persönlicher Anteilnahme und politischen Differenzen -und das passt so. Inhaltlich muss du deinen Mann, deine Frau stehen.

Gab es auch unangenehme Erfahrungen?
Dass sie mich an der Gerüchtebörse vor der Wien-Wahl haben sterben lassen, das war nicht so - okay. Es wurde erzählt, ich sei todkrank und würde das erst nach der Wahl bekannt geben. Das war frei erfunden.

Und die Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger? Gab es von dieser Seite auch negative Reaktionen?
Ja, manche Mails sind hart. Leute, die behaupten, ich sei "besser krank". Also, dass ich die besseren Ärzte habe, bessere Medikamente, schneller einen OP-Termin bekomme. Das kränkt mich schon. Die positiven Reaktionen überwiegen aber bei Weitem: Ich bekomme in Geschäften Rosenkränze geschenkt und aus Autos heraus Heiligenbilder überreicht, obwohl ich gar nicht religiös bin. Ein Busfahrer blieb stehen und rief mir zu: "Sie schaffen das!" Fremde Leute umarmen mich. Mein Mann sagt immer: "Du hast dem Begriff ,Politiker zum Anfassen' eine neue Bedeutung gegeben."

Was gibt es Wildfremden, Sie zu umarmen: Ist das eine nette Geste oder wollen sich diese selbst Kraft holen?
Beides. Ich werde viel angesprochen, vor allem von Frauen, sie selbst krank sind oder waren und sich austauschen wollen. Das ist berührend und schön, aber teilweise natürlich auch belastend.

Sie haben das ganze Jahr über gearbeitet, verbreiten auch in diesem Interview wieder positive Energie. Haben Sie Sorge, dass sich andere Kranke durch Ihr Vorbild unter Druck gesetzt fühlen, auch so funktionieren zu müssen?
Ich bin mir dieser Verantwortung bewusst. Deshalb sage ich immer: Ja, ich bin privilegiert. Ich habe ein Auto, das mich abholt. Wenn ich nicht einmal das schaffe, bringen mir meine Mitarbeiterinnen die Arbeit nach Hause. Hier im Büro habe ich eine Liege, für den Fall, dass ich mich ausruhen muss. Die ganz große Mehrheit der Betroffenen hat diese Möglichkeiten nicht. Und viele wollen wieder in die Arbeit kommen, hören aber von ihrem Chef: "Ganz oder gar nicht." Deshalb verhandeln die Sozialpartner über den "Teilzeitkrankenstand", also suchen einen Weg, Menschen nach längerer Erkrankung - Krebs, Herzinfarkt, Burnout - einen langsamen Wiedereinstieg zu ermöglichen.

Hollywood-Star Angelina Jolie ließ sich nach einer DNA-Analyse, die ihr ein sehr hohes Krebsrisiko ausgewiesen hatte, Brüste und Gebärmutter entfernen. Viele Frauen weltweit machten es ihr nach. Wie beurteilen Sie als Ärztin und Gesundheitspolitikerin diesen "Jolie-Effekt"?
Ich habe großen Respekt vor Angelina Jolie, weil sie sich als wunderschöne, sexy Frau öffentlich zu diesen Operationen bekennt. Das macht vielen Frauen Mut, dass man seine Weiblichkeit nicht verliert, wenn man eine Brust amputieren muss. Diese Gen-Analyse ist eine sehr neue Methode und man muss vorsichtig damit umgehen. Sie ist nur in sehr wenigen Fällen sinnvoll. Wenn Angelina Jolie das Bewusstsein für normale Vorsorgeuntersuchungen gehoben hat, dann freut mich das sehr.

Können solche öffentlichen Aktionen nicht auch den Druck auf andere Kranke erhöhen? Nach dem Motto: Selber schuld, hättest du dich halt rechtzeitig einer Gen-Analyse unterzogen.
Die Gefahr besteht, da müssen wir aufpassen.

ZUR PERSON

Sabine Oberhauser wurde 1963 in Wien geboren. Die Ärztin für Kinder- und Jugendheilkunde absolvierte zusätzlich eine Ausbildung zur Krankenhausmanagerin. Seit 1998 war sie als Personalvertreterin freigestellt. 2008 wurde sie erstmals in den Nationalrat gewählt, 2009 zur Vizepräsidentin des ÖGB. Seit September 2014 war Oberhauser Gesundheitsministerin. Am 23. Februar 2016 erlag Oberhauser ihrer Krebserkrankung.

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