Nie mehr Schule

In Österreich gilt die Schulpflicht. Aber nicht für alle

von Sicht auf eine Schultafel
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Den Jugendlichen im Wiener "Uniclub plus" muss niemand sagen, dass Bildung wichtig ist. "Wir haben vor Kurzem eine Party gemacht. Doch etliche wollten gar nicht feiern, die wollten lieber lernen", sagt Karoline Iber. Sie ist Geschäftsführerin im Kinderbüro der Universität Wien. Der spendenfinanzierte "Uniclub plus" ist eine der ganz wenigen Einrichtungen in Österreich, wo jugendliche Flüchtlinge über 15 ein kontinuierliches Bildungsangebot vorfinden. 196 Jugendliche lernen hier Deutsch. Mohammed, Hozan und Astera aus Syrien sind drei von ihnen. In Syrien besuchten sie Gymnasien, später wollen sie Maschinenbau, Medienwissenschaften und Pharmazie studieren, doch in Österreich können sie keine Schule besuchen.

"In Österreich gibt es eine Schulpflicht"

"In Österreich gibt es eine Schulpflicht", heißt es in den Wertekursen, die Flüchtlinge auf das Leben in Österreich vorbereiten sollen. Nicht dazugesagt wird, dass es mit 15 Jahren, nach Ende der Schulpflicht, kein Recht auf Schulbildung mehr gibt. Viele Flüchtlinge sind aber bereits älter, wenn sie nach Österreich kommen. Sie haben Jahre auf der Flucht verbracht. Jahre, die ihnen nun den Schulbesuch verunmöglichen.

Das frühe Ende der Schulpflicht trifft die gut Ausgebildeten besonders hart. Denn Gymnasien sind nicht verpflichtet, Schüler aufzunehmen. Manche, wie Roaa, Israa und Jiyan (siehe Seite 33), hatten Glück und fanden einen Platz. Andere, wie Mohammed, Hozan und Astera (Seiten 30,31), wollen lernen, dürfen aber nicht. Die einen haben Möglichkeiten, sich zu bilden und in die Gesellschaft einzubringen. Die anderen blicken einer sehr viel schwierigeren Zukunft entgegen. Der Bildungsweg ist für Flüchtlinge ein Glücksspiel. Um manche kümmern sich engagierte Lehrer und Direktorinnen. Andere werden vergessen.

Tausende können keine Schule besuchen

Wie viele Jugendliche betroffen sind, weiß niemand genau. 9300 14-bis 18-Jährige waren laut Innenministerium zuletzt in Grundversorgung. Wie viele von ihnen bereits ein abgeschlossenes Asylverfahren haben, ist unbekannt. Klar ist, dass es Tausende Jugendliche gibt, die keine Schule besuchen können. Die einzige Möglichkeit für sie ist die Erwachsenenbildung. Aber auch die steht ihnen nur offen, wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist.

Die geplante Ausbildungspflicht für Jugendliche soll für Asylwerber nicht gelten. Sie ist, dem Vernehmen nach und sehr zum Missfallen des Bildungsministeriums, im Gesetzesentwurf nicht vorgesehen. Terezija Stoisits, die Beauftragte für Flüchtlingskinder in der Schule, sagt: "Mein Eindruck ist, dass die meisten Gymnasien für Flüchtlingskinder sehr offen sind, wenn sie Platz haben." Entscheidend sei, Schulen zu motivieren: "Bei Austauschschülern stört sich auch niemand, dass sie noch nicht Deutsch können." Der Bildungsexperte Daniel Landau meint, dass Gymnasien mehr Flüchtlinge aufnehmen sollten. Dazu bräuchte es Unterstützung und eine Art Drehscheibe. "Es wäre mehr möglich. Einige tausend Jugendliche könnte man unterbringen."

In Wien startet ein Jugend-College

In Wien wird im Herbst ein Jugend-College starten. 1000 Jugendliche sollen ins Bildungssystem abgeholt werden. Alphabetisierung wird ebenso angeboten wie Deutschkurse, die auf das Gymnasium oder die Berufsausbildung vorbereiten. Wien ist dazu gesetzlich nicht verpflichtet, setzte das College aber trotzdem um. Dennoch wird das Bemühen nicht ausreichen. Weiterhin werden Jugendliche auf Bildungsangebote warten müssen. "Diese Jugendlichen sind oft traumatisiert, und gewohnte Strukturen wie die Schule helfen bei der Traumabewältigung", weiß Karoline Iber vom Uniclub plus. "Unsere Jugendlichen wollten vor ihrer Flucht auf die Universität, nun traut man ihnen viel zu wenig zu."

Mit jedem Jahr, das sie verlieren, wird es schwieriger, ins Schulsystem einzusteigen. "Wenn man Jugendliche vom Schulbesuch ausschließt, schafft man die Integrationsprobleme der Zukunft", sagt Iber. Es sei erstaunlich, wie motiviert die Jugendlichen in dieser schwierigen Phase sind. "Ich bin beeindruckt, was sie leisten und wie lange sie durchhalten." Bei Mohammed, Hozan und Astera sind es schon sieben Monate.

Jugendliche Flüchtlinge erzählen

»Ich merke, wie die Jahre sinnlos verstreichen«

Mohammed, 16, seit sieben Monaten in Wien

© Ricardo Herrgott Mohammed, 16, seit sieben Monaten in Wien

Meine Familie musste aus der syrischen Stadt Kobane in den Irak fliehen. Mein Vater arbeitete als Metallhändler, doch im Krieg wurde uns ein voll beladener Lkw gestohlen, und so haben wir alles verloren. Im Irak konnte ich dann nicht mehr zur Schule gehen, sondern musste am Bau arbeiten. Seit sieben Monaten sind wir jetzt zwar in Österreich, aber hier kann ich auch nicht zur Schule gehen. Ich bin nicht mehr schulpflichtig, und bisher hat mich kein Gymnasium aufgenommen. Das frustriert mich sehr, denn ich merke, wie die Jahre sinnlos verstreichen. Ich versuche, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen, vielleicht nimmt mich ja dann eine Schule. Neben dem Sprachkurs übe ich zusätzlich mit dem Laptop und einer App. Mein Traum wäre es, endlich wieder in einem Klassenzimmer zu sitzen, zu lernen und danach Maschinenbau zu studieren. Wenn mir das nicht gelingt, weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich muss dann meinem Vater auf der Tasche liegen, und wenn ich erwachsen bin, habe ich Angst, auf der Straße zu landen. Das macht mich sehr traurig. Ich glaube, dass der Mensch ohne Bildung nicht vollständig ist. Deswegen wünsche ich mir, dass es eine Lösung gibt. Nicht nur für mich, sondern für alle Jugendlichen. Jeder sollte zur Schule gehen können.

»Ohne Bildung kann ich mich in Österreich nicht einbringen«

Astera, 18, seit sieben Monaten in Wien

© Ricardo Herrgott Astera, 18, seit sieben Monaten in Wien

Mir hat in Syrien nur mehr ein Jahr bis zur Matura gefehlt. Danach wollte ich Pharmazie studieren. Alles Medizinische hat mich immer fasziniert, und weil ich kein Blut sehen kann, war Pharmazie naheliegend. Am liebsten würde ich in einem Labor Medikamente entwickeln. Nun leben wir in einer Flüchtlingsunterkunft in Wien. Mein jüngerer Bruder hat eine Anmeldung zur Schule bekommen, aber ich nicht, weil ich schon zu alt bin. Ich habe mich für ihn gefreut, war aber auch sehr traurig. Seit meiner Kindheit liebe ich die Schule, besonders Mathematik, Physik und Chemie. In Syrien ist es ganz normal, sich als Mädchen für Chemie zu begeistern. Ich war auch immer die Klassenbeste. Für mich ist Bildung ganz wichtig. Die Zeit jetzt, das sind verlorene Jahre. Es sollte ein Recht auf Bildung geben, denn mit Bildung kommt man leichter durchs Leben und kann sich eine Zukunft aufbauen. Ohne Bildung kann ich mich hier in Österreich auch nicht einbringen und falle nur zur Last. Ich möchte so schnell wie möglich Deutsch lernen. In zwei Monaten beginne ich mit dem dritten Kurs, und vielleicht nimmt mich dann eine Schule. Ich weiß, dass ich dann mit viel Jüngeren in der Klasse sitzen werde, und das irritiert mich. Aber Hauptsache, endlich wieder Schule.

»Ich war überrascht, dass die Schulpflicht nur bis 15 geht«

Hozan, 18, seit sieben Monaten in Wien

© Ricardo Herrgott Hozan, 18, seit sieben Monaten in Wien

Ich komme aus Damaskus. 2011, als der Krieg anfing, flohen wir in den Norden. Doch dann kam der Islamische Staat und wollte uns Kurden umbringen. Wir flohen in die Türkei nach Istanbul. Mein Vater wollte eigentlich nach Deutschland, aber er ist dann hier gelandet und hat uns nachgeholt. In der Türkei habe ich in einem Handygeschäft gearbeitet und musste mich selbst erhalten. Schule konnte ich keine besuchen. Mir fehlen nur mehr zwei Jahre bis zur Matura, aber seit 2013 habe ich nicht mehr am Unterricht teilgenommen. Ich war überrascht, dass in Österreich die Schulpflicht nur bis 15 geht. Meine Hoffnung war, dass ich bis 18 einsteigen kann. Ich habe zwar bei Gymnasien angefragt, aber keines hat mich genommen. Wenn es endlich klappt mit der Schule, will ich danach Medienwissenschaften studieren. Am liebsten würde ich im Filmbereich arbeiten und mich zum Regisseur hocharbeiten. Mir fehlen die Freunde, der Austausch und die Gespräche. Seit einem Monat kann ich im Uniclub in Wien Deutsch lernen und habe endlich wieder Kontakt zu anderen Jugendlichen. Vor Kurzem waren wir im Parlament, das hat mich fasziniert. So lerne ich Österreich kennen. Jetzt hoffe ich nur, dass ich wieder zur Schule gehen kann und meine Ausbildung abschließen darf.

»Es ist sehr schwierig für uns, hier eine Schule zu finden«

Roaa, 18, und Israa, 16, seit zehn Monaten in Österreich; Jiyan, 19, seit acht Monaten in Österreich

© Matt Observe Roaa, 18, und Israa, 16, seit zehn Monaten in Österreich; Jiyan, 19, seit acht Monaten in Österreich

Die letzten vier Jahre haben wir in der Türkei gelebt. Dort konnten wir nur phasenweise zur Schule gehen und mussten in einer Schneiderei arbeiten. Roaa und Israa sind mit unserem Vater nach Europa gekommen, Jiyan ist später nachgekommen. Es ist sehr schwierig für uns, hier eine Schule zu finden. Israa hat lange nach einer Schule gesucht, vergangene Woche hat endlich eine zugesagt. Jetzt möchte sie die Übergangsklasse besuchen, um besser Deutsch zu lernen. Roaa besucht seit Kurzem eine libysche Schule in Wien, in der auf Arabisch unterrichtet wird. Lieber wäre sie in eine Schule gegangen, in der Deutsch gesprochen wird. Aber in der einzigen Schule, in der sie aufgenommen worden wäre, hätte man sie drei Jahre zurückgestuft. Jiyan hat die Matura schon in der Türkei gemacht, aber es ist sehr kompliziert, sich das hier anrechnen zu lassen. Ende April schließt sie den Deutschkurs auf B2 ab, dann kann sie hoffentlich Technische Chemie studieren, um später mit erneuerbaren Energien zu arbeiten. Eigentlich wollte sie Pharmazie studieren, aber das dauert zu lange, wir haben viel Zeit verloren und wollen bald auf eigenen Beinen stehen.

Kommentare

Klárca Vencová

Auf der einen Seite, würden sie auch die Möglichkeit haben, sich selbst zu erziehen. Schauen Sie, wie viele österreichische Schulen besuchen konnten, auch hier: www.schulverzeichnis.eu... einige von ihnen kann wirklich erfolgreich und ehren Menschen, die anderen helfen wird.

im übrigen: man kann sich SEEEHR WOHLL!!! selber organisieren. wenn man WILL. warum soll immer alles hergerichtet sein? wenn ich D lernen will dann TU ich es. dann organisier ich mir eine lehrerin, mit anderen gemeinsam. wen ich WILL...

immerwieder melden

ach soooo.. ich dachte bisher immer, dass die die kommen professoren, apotheker, ärzte, astronomen, dentisten etc sind.. so habens uns das ja ewig verkauft ??? wie DAS jetzt ?? ooch ... lässt sich da jetzt nix mehr verheimlichen ????? jeder der welcome geschrien hat, mindestens VIER leute aufnehmen und D lernen mit ihnen!! immer sollen es dann die anderen richten. idioten

higgs70
higgs70 melden

Naja, das rührende ist ja, als man vermutete
dass da mehr Höherqualifizierte kommen würden,brüllten dieselben Verdächtigen
"Die nehmen uns die Arbeitsplätze" weg, die jetzt aufgrund der Tatsache dass die zu 70% keine abgeschlossene Ausbildung haben, schreien "Die kriegen ja nie a Arbeit". Und man kommt sich dabei offenbar überhaupt nicht blöd vor. Aber ein Urteil das den Beurteilten verurteilt, egal was der tut oder ist, weist schon auf einen gravierenden Mangel im eigenen Kopferl hin.
Und wenn wer unter Fremden lebt versucht der schon im eigenen Interesse sich zumindest im öffentlich sozialen Bereich anzugleichen, denjenigen der dann die Fremdsprache nicht zumindest zum täglichen Gebrauch lernen will, wirds nicht geben, denn wennst Dir kein Semmerl kaufen kannst, verhungerst. Und natürlich haben die auch Eigenverantwortung, aber Leute,denen die Eltern nichtmal ansatzweise helfen können starten halt von einer schlechteren Position aus und wir haben ja auch bei den Einheimischen genug funktionale Analphabeten, da muss man sich dann allseits Lösungen überlegen. Aber daraus zu schließen,dass die das gar nicht wollen, ist ein Spagat bei dems stolpern werden. Und schäbig ists auch noch.

"Refugees welcome" schreien kann jeder.Aber eine sinnvolle,nachhaltige Integration erfolgt dann nicht.Damit steigen Unzufriedenheit (bei Asylanten UND Bürgern) und teilweises Abdriften in die Kriminalität.Weitere unkontrollierte Massenzuwanderung schafft nur unbewältigbare Probleme.Das können Grüne+Sozis schönreden und verdrehen wie sie wollen.

Oberon
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Noch was. Ich kann mich nicht erinnern, auf NEWS je einen Artikel über einheimische Jugendliche gelesen zu haben, die durch "das System" gefallen sind. Ich frage jetzt nicht, warum...

Oberon
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Warum, bezogen auf den nicht geschriebenen Artikel. Nur, damit kein absichtliches Missverständnis aufkommt!

Oberon
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"Ich merke, wie die Jahre sinnlos verstreichen." Und das soll ein 16-Jähriger gesagt haben? In diesem Alter rechnet man kaum in Jahren. Die nachfolgenden Texte wurden offensichtlich entsprechend bearbeitet(!).

Im Artikel zeigt man Jugendliche, die lernwillig sind. Ich habe noch nie abgestritten, dass es diese gibt. Aber - was ist mit den anderen? Vor kurzem habe ich im TV eine Reportage ......

Oberon
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.... über junge Flüchtlinge gesehen, und eine Flüchtlingshelferin hat erzählt, dass bereits nach ein paar Tagen mindestens(!) 2/3 der Schüler nicht mehr zum Unterricht erschienen sind.

Falls eine Eingliederung in Gymnasien möglich ist, dann aber bitte nicht nur in den Schulen der üblichen Bezirke, sondern auch in den sogenannten Nobelbezirken.

Bzgl. Austauschschüler, die nicht ........

Oberon
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.... Deutsch sprechen. Wie viele sind das im Vergleich zu den doch recht zahlreich auftretenden Flüchtlingen? Da keine Angaben dazu gemacht werden, fasse ich das als reine Manipulation auf!

christian95 melden

So kann es nicht mehr weiter gehen!
So wie einst der Kommunismus im Osten oder bei der SED in der DDR liegt bei uns auch alles im Argen.
Die Wirtschaft liegt danieder, immer höhere Arbeitslosen, die Staatsschulden steigen, durch das Desaster in der Bildungspolitik wird der Jugend die Zukunft verbaut, immer mehr Bürokratie... (Doskozil versucht das kaputt gesparte Heer wieder zu sanieren)

Gabe Hcuod
Gabe Hcuod melden

Nun, wenn die Arbeitslosen weiter höher werden, können sie eine eigene Profi-Basketball-Liga gründen.

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