Nichtstun deluxe in Aguilla: Drehort des Raffaelo-Spots ist in Realität noch schöner

Insel verspricht null Hektik und 30 Grad im Schatten Hier kommen Nichtstuer und Promis auf ihre Kosten

"Watching the Ships roll in…" Samstag nachmittag am kleinen Hafen von Scilly Bay auf Anguilla. Plötzlich ist die Melodie im Kopf: "Sitting on the Dock oft he Bay" von Otis Redding. Kein Wunder: Die Szenerie auf der überschaubaren Karibik-Insel erinnert so sehr an den Song: "Sitting here, resting my bones…" Als wollten sie das Lied umsetzen, lassen drei Einheimische ihre Füße am Anleger baumeln. Keinerlei Hektik bei 30 Grad im Schatten. Nebenan werden fangfrisch Hummer von den Fischern angelandet. Das ist so selbstverständlich wie die Kinder, die auf der anderen Seite des Stegs im Wasser des Hafenbeckens herumtollen – "Sittin' on the dock of the bay, wasting time…"

Keine Ablenkung für Nichtstuer
Nein, Hektiker kommen auf Anguilla nicht auf ihre Kosten. Auch wer landschaftliche Abwechslung sucht, sollte die Insel, die ob ihrer langgestreckten Form auf Spanisch "Aal" heißt, lieber meiden. "Anguilla ist flach wie ein Pfannkuchen", zuckt Merlyn Rogers, die Touristikchefin der Insel, entschuldigend mit den Schultern und lacht. Tatsächlich ist der 65 Meter hohe Crocus Hill kaum mehr als ein besserer Hügel.
Spektakulär ist das Landesinnere der in Deutschland weitgehend unbekannten Karibik-Insel kaum – ab und zu mal ein Supermarkt, hier und da ein Bankgebäude, diverse Kirchen und exakt acht Verkehrsampeln. Auch die "Hauptstadt" des britischen Überseegebietes kann nicht wirklich mit Sehenswürdigkeiten punkten. Ein Zentrum, das den Namen verdient, gibt es im 800-Einwohner-Nest The Valley nicht. "Immerhin – wir haben eine Verkehrsampel…", bemerkt Taxifahrer Accelyn Connor trocken. Irgendwie läuft hier das Leben etwas langsamer als im Rest der Welt – selbst die Inselzeitung The Anguillan erscheint nur einmal wöchentlich; es passiert einfach zu wenig, als dass sich eine tägliche Ausgabe lohnen würde.

Die putzigste "Revolution" der Erde
Drei bis vier Stunden veranschlagt Taxifahrer Connor, um die schönsten Punkte auf dem 25 Kilometer langen und höchstens fünf Kilometer breiten Eiland anzufahren. Wirklich geschichtsträchtig ist eigentlich nur das liebevoll eingerichtete Heritage Collection Museum am Ostende Anguillas, wo der inzwischen von Queen Elizabeth II. geadelte Colville L. Petty allerlei Spannendes über die unscheinbare Insel zusammengetragen hat. Gerne erzählt der ehemalige Richter den Besuchern auch von den Ereignissen, die Anguilla zweimal – wenn auch nur kurz – in die Weltschlagzeilen brachten: Zunächst sagte sich die Insel 1967 von der Koloniegemeinschaft mit den Nachbarn St. Kitts und Nevis los – und schließlich auch vom Mutterland Großbritannien. Das schickte 1969 immerhin 135 Soldaten und bereitete der putzigen "Revolution" ein Ende – kein Wunder bei gerade mal knapp 15.000 Einwohnern. "Jeder kennt hier fast jeden", sagt Accelyn Connor – und wie zum Beweis winken gleich wieder zwei Einheimische dem Taxi entgegen.

Idealer Rückzugsort für Promis
Wenn es auch kaum mondäne Läden gibt (wer sie braucht, kann schnell auf die acht Kilometer entfernte holländisch und französisch geprägte Nachbarinsel Sint Maarten übersetzen), zieht es doch immer wieder Prominente und Reiche nach Anguilla. Die Insel hat – gemessen an der Bevölkerungszahl – wohl die höchste Dichte an Fünf-Sterne-Hotels in der gesamten Karibik.

So wundert es auch nicht, dass der Direktor eines Luxusresorts berichtet: "Harrison Ford, Bruce Willis, Denzel Washington und der niederländische Prinz Willem-Alexander waren unsere Gäste." Auch Entertainer Thomas Gottschalk hat sich schon auf Anguilla entspannt. "Aber schreiben Sie das bloß nicht", diktiert der Hotelboss.
Nein, natürlich nicht. Es wird hier nicht verraten, wo die Promis absteigen – Anguilla soll schließlich auch in Zukunft eine (weitgehend) paparazzifreie Zone bleiben. Freilich ist es nicht nur die Abgeschiedenheit, ja Provinzialität, die die Celebrities, Reichen und Schönen auf die Insel lockt. Es sind vor allem die herrlichen Strände, die zu den schönsten zwischen Florida und Venezuela zählen.

Wassersport deluxe
Stolz erzählt ein Hotelier an der Shoal Bay, dass dieser Strandabschnitt zum drittschönsten überhaupt gewählt wurde – weltweit! Widersprechen wird angesichts des glasklaren, türkisfarbenen Wassers und der fast kitschartigen Bilderbuch-Kulisse wohl niemand. Auch die anderen Buchten Anguillas verdienen das Prädikat "Weltklasse". Schnorchler, Taucher, Surfer, Schwimmer, Segler – wer immer ein Faible für Wassersport hat, wird von der Insel begeistert sein. Und wer einmal bei den fast täglich erreichten 30 Grad auch noch einen Bootsausflug nach Sandy Island macht, erhält eine Vorstellung vom Paradies: Auf einer vielleicht zwei Fussballfelder großen Sandbank stehen ein paar Palmen und eine kleine Bar – sonst nichts. Hier kann man die Seele bei einer Schnorchelrunde über die fischreichen Korallenriffe baumeln lassen.

Es gibt ihn: Den Raffaelo-Drehort
Verständlich also, dass Anguilla die Kulisse für die bekannten Raffaello-Werbespots bildete, in denen schöne Menschen in weißen Kleidern vor herrlich weißen Stränden weiße Süßigkeiten naschen. Wer den Spot sieht, zweifelt, dass es solch einen unwirklich schön erscheinenden Ort tatsächlich geben könnte – aber die Realität auf Anguilla sorgt eher noch für eine Steigerung. Nur die schönen Menschen im weißen Outfit sind nicht allgegenwärtig. Der Raffaello-Drehort, das Cap Juluca-Hotel, ist eines von drei Fünf-Sterne-Häusern, die um die Gunst von zahlungskräftigen Gästen buhlen. Gemeinsam ist allen eine exquisite Küche – im CuisinArt Resort ist dies sogar im Namen dokumentiert.

Selbstverständlich ist auch das Thema Wellness längst in der Karibik angekommen: Alle Spitzenanlagen haben nicht nur in bestens ausgestattete Fitnessstudios, sondern auch Millionen in feine Spa-Bereiche investiert.

Luxus ohne Fernseher
Ein wenig aus dem Rahmen fällt das älteste der Top-Häuser Anguillas, das Malliouhana Hotel: Im edlen Kolonialstil möbliert, lassen die äußerst geräumigen Zimmer und Suiten keine Wünsche offen. Dass zu wahrem Luxus (die Zimmer können ab 350 Euro pro Nacht gebucht werden) auch Understatement gehört, zeigt sich daran, dass man Fernseher in den Malliouhana-Zimmern vergeblich sucht. "Unsere Gäste brauchen das nicht", weiß der aus den Niederlanden stammende Resort-Manager Bart van Deventer. Und wenn doch einmal, steht eine riesige TV-Leinwand an der Bar zur Verfügung.

Ob das ungewöhnliche , manchem etwas altmodisch anmutende Konzept aufgeht, muss sich mehr denn je beweisen, denn just am anderen Ende der feinsandigen Meads Bay entsteht mit den neuen Viceroy Resort eine Konkurrenz, die noch mindestens zwei Plus auf den Fünf-Sterne-Standard draufsetzt. Im Dezember 2009 öffneten Teile des neuen Super-Hotels die Pforten.

100-Euro-Hotels und lukullische Vielfalt
Indes: Man muss nicht unbedingt Millionär sein, um sich auf Anguilla wohl zu fühlen. Einladende Hotels können bei deutschen Reiseveranstaltern auch in der 100-Euro-Klasse gebucht werden. Der Hamburger Reisebürobetreiber Matthias Gerick ist inzwischen zum Fan der vermeintlich unspektakulären Insel geworden: "Es gibt nichts Schöneres, als sich hier einzumieten, und die ganz und gar nicht trubelige Insel mit einem Mietroller zu entdecken." Besonders gefällt ihm das vielfältige lukullische Angebot auf Anguilla, das auch rekordverdächtig groß sein dürfte: Rund 100 Lokale – vom rustikalen Strandgrill bis zum piekfeinen Michelin-prämierten Restaurant bieten alles für jeden Geschmack, für jeden Geldbeutel. Geradezu ein Muss für Feinschmecker sind die Fische und Krustentiere, die auch die Nobelhotels fangfrisch bei den Fischern in Scilly Bay einkaufen.

Gute Erreichbarkeit mit Direktflügen
Anguilla-Anhänger Gerick lobt auch die gute Erreichbarkeit mit täglichen Direktflügen von Paris, London oder Amsterdam zur Nachbarinsel Sint Maarten. Zudem hat Condor mehrere Verbindungen wöchentlich in die Karibik im Flugplan – mit Anschlussflügen nach Sint Maarten oder direkt nach Anguilla. Schließlich ergänzt Gerlinde Hofbauer, die Deutschland-Repräsentantin von Anguilla, dass man Karibik-Feeling zum kleinen Geld ausgerechnet dann genießen kann, wenn es in Europa am teuersten ist: im Sommer. Denn von Mai bis November ist in der Karibik Nebensaison.
Übermütig sollte man freilich auch mit dem Mietroller auf der Insel nicht werden, warnt Taxifahrer Accelyn Connor – denn ab und an machen selbst die wenigen Polizisten mit ihren Radarpistolen Jagd auf Verkehrssünder. Verstöße können dann im sonst so friedlichen Anguilla 200 Euro kosten. Schlimmstenfalls könnte man sogar im kleinen, aber immerhin klimatisierten Insel-Knast landen: "Sitting here, resting my bones…"

(sterz-media/red)