Game, Set, Match, Mafia

Wettbetrug: Im Tennis gibt es bereits mehr Verdachtsfälle als im Fußball.

von Fakten - Game, Set, Match, Mafia © Bild: iStock Photo / Steve Collender Foristell Missouri

Wenn der ehemalige Tennisprofi Daniel Köllerer über die Mafia spricht, dann meint er nicht nur die organisierte Wettkriminalität, sondern auch die ATP, die Vereinigung männlicher Tennisprofis, die ihn wegen mutmaßlicher Spielmanipulation von den Courts verbannte. Köllerer war einmal die Nummer 55 der Welt, aber vor allem war der Mann, der sich auf der Innenseite des linken Oberarms den roten Schriftzug "Nr. 1“ eintätowieren ließ, "Crazy Dani“, ein Heißsporn, ein Wutbürger auf dem Tennisplatz, Little John McEnroe aus Oberösterreich, ein wenig extremer in der Wahl der Mittel. Er hat Schläger zertrümmert, Gegner insultiert, Ballbuben beschimpft. Er hat im Kabinengang die Faust sprechen lassen, kaum noch Trainingspartner gefunden und einen Gegner einmal so lange provoziert, bis ihn dieser in den Würgegriff nahm und disqualifiziert wurde. Auch so kann man Spiele gewinnen.

"Aber ein Betrüger bin ich nicht“, sagt der im Jahr 2011 vor einem Sportgericht in einem Indizienprozess lebenslang gesperrte Köllerer. Er sieht sich als Bauernopfer. "Ich bin ihnen nicht zu Gesicht gestanden.“ Die Topstars würden von der ATP geschützt. "Wäre es anders, müssten einige aus den Top 50 aus dem Verkehr gezogen werden.“

Vier Jahre lang war es relativ ruhig um Daniel Köllerer, ab und an tauchte er im TV auf, als Protagonist in einem Big-Brother-Container. Seit Mitte Jänner macht auch er wieder internationale Schlagzeilen, es geht allerdings um die Schattenseite des weißen Sports. Pünktlich zum Start der Australian Open ließen die BBC und der Onlinedienst "Buzzfeed“ mit einer Reportage über Wettbetrug im Tennis aufhorchen. 16 Spieler aus den Top 50 der Welt sollen über Jahre Matches manipuliert und sich und der Wettmafia mit Betrügereien hohe Einnahmen verschafft haben.

Gerüchte hatte es immer wieder gegeben, Namen wurden auch jetzt noch nicht genannt. Köllerer berichtet nun offen von drei unmoralischen Angeboten, die er vor Jahren, in seiner Zeit als Profi, erhalten, jedoch allesamt abgelehnt und der ATP gemeldet habe. Auch im News-Gespräch sagt er: "Ich selbst kenne ein halbes Dutzend Spieler, die etwas gedreht haben.“ Namen? "Nein. Von mir nicht. No way.“

Neue Dimension

Spielmanipulation und Wettbetrug haben im Tennis eine Dimension erreicht, die bei großen offiziellen Wettkonzernen sprichwörtlich alle Alarmglocken schrillen lässt. Schon seit Jahren melden Anbieter wie Interwetten, William Hill oder Bwin Auffälligkeiten an die eigens gegründete Organisation ESSA, eine Art Frühwarnsystem, mit dem Korruption aufgespürt und bekämpft werden soll. Noch im Jahr 2013 waren vornehmlich Fußballplätze Schauplätze geschobener Partien, doch vor etwa eineinhalb Jahren wendete sich das Blatt. Tennis ist eine Klasse für sich - freilich in einem zweifelhaften Ranking. Der jüngste Integritätsreport - die Daten stammen aus dem dritten Quartal 2015 - bestätigt erneut den Trend: Zwei Drittel der Verdachtsfälle betreffen das Spiel mit der kleinen Filzkugel. "Tennis geht seit eineinhalb Jahren komplett durch die Decke“, erklärt Werner Becher, Vorstandssprecher von Interwetten. "Dabei schlagen bei uns ja nur kleine Fische und Trittbrettfahrer auf. Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. Das Gros spielt sich in Asien ab. An den Wettbörsen, bei denen es kein Einsatzlimit gibt.“

Wenn Werner Becher über Spielmanipulation und Wettbetrug spricht, dann findet er deutliche Worte. Dann sagt er Sätze wie: "Das Problem ist im Tennis so exorbitant gewachsen, dass man von einer Epidemie sprechen kann. Das ist kein angeblicher, sondern ein wirklicher Skandal.“ Oder: "Man kann nicht immer verhindern, dass uns Leute berauben. Doch im Tennis hat das Ausmaße angenommen, dass wir gesagt haben: ‚Darauf haben wir keine Lust mehr.‘“

Auf der Blacklist

In kaum einem Sport ist es einfacher, ein Spiel zu verschieben, als im Tennis. Game, Set, Match - Mafia! Der logische Grund: Es braucht - zumindest im Einzel - keine Mitwisser. Greift die organisierte Kriminalität auf den Fußball zu, sind drei oder vier Schlüsselspieler einer Elf vonnöten, die nicht gut genug verteidigen, um den gewünschten Spielausgang sicherzustellen. Im Tennis muss der angefixte Spieler nicht einmal die Bälle wahllos ins Out dreschen; es reicht schon, wenn der Favorit plötzlich w. o. gibt. Dann siegt der Außenseiter. Dann casht die Wettmafia, die hohe Summen auf ebendiesen gesetzt hat, ab.

Gerne wird in der Sportszene kolportiert, es handle sich vornehmlich um osteuropäische Spieler, die geneigt wären, Matches nicht mit vollem Einsatz auszutragen. Wettexperte Becher aber sagt: "Es gibt auch den einen oder anderen Österreicher oder Deutschen, den wir nicht mehr im Wettprogramm anbieten.“ Auf der Blacklist von Interwetten scheinen mehr als 50 verhaltensoriginelle Tennisspieler auf, auf die keine Wetten mehr abgegeben werden können, 80 weitere stehen auf der Watchlist der Buchmacher, sind also unter permanenter Beobachtung. Fallen hohe Einsätze auf den glasklaren Außenseiter auf, werden die Spiele flugs aus dem Programm genommen. Die meisten dieser Spieler sind in der Weltrangliste zwischen Platz 100 und 500 klassiert, verdingen sich in der Regel also bei kleineren Turnieren, wo der Preisgeldkuchen lediglich Brosamen abwirft.

"Tendenziell ist das Problem bei den Challenger- oder Future-Turnieren am größten“, erklärt Werner Becher. "Wenn ein junger Spieler für einen Erstrundensieg nur 85 Dollar Preisgeld erhält, obwohl er Flug und Hotel für sich und seinen Coach bezahlen muss, dann muss er sich permanent überlegen, ob und wie er sich die nächsten Turniere leisten kann. Wenn dann jemand kommt, der ein paar tausend Euro für eine verschobene Partie bietet, können Spieler empfänglich sein. Und in weiterer Folge dann erpressbar.“ Ex-Profi Daniel Köllerer plaudert aus dem Nähkästchen: "Vielen Spielern geht das Geld aus.“ Er habe einmal ein Future-Turnier in der Türkei gespielt, den Singlebewerb gewonnen und im Doppel immerhin das Finale erreicht; dennoch stand - abzüglich der Kosten für Flug, Hotel und den Trainer - nach der Turnierwoche ein Minus von 700 Euro auf dem Konto. Gottlob, sagt Köllerer, sei er von Eltern und kleinen Sponsoren großzügig unterstützt worden.

Unter ganz besonderer Beobachtung stand zuletzt ein österreichischer Tennisspieler, aus dessen Umfeld bei einem österreichischen Wettanbieter mehrfach auf Niederlagen gesetzt wurde. Der Einsatz? Ein paar hundert Euro, aber immerhin. Der Inhaber des Wettkontos - ein Athlet aus einer anderen Sportart - ist mit dem Tennisspieler nicht nur via Facebook bekannt.

Hoher Umsatzdruck

Schlechte Bezahlung ist im Sport stets der Nährboden für Betrug, das kennt man beim "Match Fixing“ aus dem Fußball. Doch warum werden kleine Tennisturniere überhaupt angeboten? Warum setzen Wettanbieter auf Spieler aus der zweiten, dritten, vierten Reihe? Weil der Umsatzdruck enorm ist, hört man aus der Wettbranche, in der es auch kritische Stimmen gibt, wonach "nicht jeder chinesische Entenwatschler zur Wette angeboten werden sollte“. Doch die meisten müssen mit. Interwetten-Manager Becher gesteht ein: "Wir verlieren sonst große Teile des Umsatzes. All jene Kunden, die ein bissel Spaß haben wollen und mit dem Smartphone ein paar Euro wetten.“

Es drehe sich leider alles um Geld. "Wo Geld im Spiel ist, wird betrogen“, sagt Martin Führer. Er war einmal Buchmacher, hat dann, in den frühen 2000er-Jahren, den Tenniszirkus begleitet, war viel in der Players Lounge, mit den Stars auf Du und Du, hat viel gewettet und ist heute Pokerprofi. Damals, sagt Führer, konnte sein Jahresumsatz schon einmal in den siebenstelligen Bereich klettern. Martin Führer kennt Spieler, die sich null für das Wetten interessiert haben, und Spieler oder Betreuer, die selbst ein Konto hatten. Einer verwendete den Usernamen "Kohle 1“.

Führer hatte Insiderinformationen, einigen ist er bewusst "ausgewichen“, wie er sagt: Vor allem einem ehemaligen Spitzenspieler, dessen Name so ähnlich klingt wie ein russisches Sturmgewehr. Der habe in Kitzbühel bereits aus dem Hotel ausgecheckt und sei dann zum Centre-Court gefahren, um sein Spiel in knapp einer Stunde negativ zu absolvieren. Das generelle Problem liegt in der Beweisbarkeit: Wurde ein Spieler gekauft, oder hatte er bloß keine Lust mehr? Wurde er von jemandem angestochen, oder wollte er lediglich sein Startgeld kassieren und rasch heim zur Freundin? Oder sich auf das nächste, wichtigere Turnier vorbereiten? "Es gibt viele Spieler, die irgendwann auffällig waren“, meint Führer. "Durch Onlinewetten hat sich das Problem noch einmal verstärkt.“

Offenes Geheimnis

Daniel Köllerer hat sich in seiner Wohnung inzwischen wieder beruhigt. Er will, dass sich etwas bewegt, alles aufbricht, wohl auch deshalb muss er noch ein "offenes Geheimnis“ loswerden: Es gebe Spieler, sagt Köllerer, die sind im Sommer in der deutschen Bundesliga engagiert. "Die haben Fixverträge, kriegen 18.000 Euro pro Partie, Spieltage sind Freitag und Sonntag. Wenn die also am Montag bei einem ATP-Turnier starten, dann müssen sie spätestens in der zweiten Runde ausscheiden, um am Freitag Bundesliga spielen zu können. Wenn die dann noch ihre Partie verschieben, haben sie in einer Woche 80.000 Euro verdient.“

Doch was tun? Wie das vielschichtige Problem in den Griff bekommen, wenn doch selbst Köllerer sagt, dass er nach einem unmoralischen 100.000-Euro-Angebot der Wettmafia in Paris, das er ausgeschlagen hatte, "im Schädel trotzdem so blockiert war, dass ich keine Kugel mehr getroffen habe“. Köllerers Forderung wirkt ein wenig naiv: "Die ATP sollte Wetten verbieten.“ Interwetten-Vorstand Becher meint, es wäre ein wichtiger Schritt, würden sich Kriminalisten von Scotland Yard oder dem Bundeskriminalamt international noch stärker vernetzen, um an die Drahtzieher und Hintermänner zu kommen.

Am wichtigsten ist freilich die Prävention, die bei Sportlern nicht früh genug ansetzen kann, schon bei der Jugend. Die gemeinnützige Organisation "Play Fair Code“ wurde in Österreich gegründet, um Schulungen durchzuführen, Ski- und Fußballbund sind mit an Bord, im Fußball werden schon Nachwuchsspieler sensibilisiert.

Österreichs Tennisverband verweigerte sich bisher der Teilnahme.

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