Glaub, schau, wem!

Wir werden alle nicht glaubwürdiger, wenn wir uns an der Politik abputzen

von Julia Ortner © Bild: News

Bring mir den Kopf von Maria Vassilakou – die überzogene Debatte rund um Rücktritt oder Nichtrücktritt der Grünen-Chefin nach der Wien-Wahl wird uns allen die Glaubwürdigkeit auch nicht zurückbringen. Natürlich war Vassilakous Ankündigung, bei Verlusten zurückzutreten, nicht schlau. Natürlich ist eine Diskussion über die nicht existente Rücktrittskultur in der heimischen Politik legitim. Doch das Glaubwürdigkeitsproblem haben jetzt nicht nur Politikerinnen und Meinungsforscher, sondern auch wir Medien.

Wir alle haben uns mehr oder weniger auf das „Duell“ zwischen SPÖ und FPÖ im Wiener Wahlkampf eingelassen, manche haben ein bisschen zugespitzt und Ängste geschürt, manche haben immer wieder alarmierende Umfrageergebnisse auf ihre Titelseiten gehievt – es geht um die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die Quote und Auflage bringt. Und nach der Wahl, als sich fast alle Umfragen und Behauptungen als nicht korrekt erwiesen haben, würden sich manche wohl etwas besser fühlen, wenn zumindest die Vassilakou zurücktritt. Eine für alle, quasi.

Die Meinungsforscher haben die allgemeine Kritik auch verdient. Aber man muss zugeben, dass ihr Geschäft schwierig geworden ist, weil man die Haltungen der Menschen nicht mehr in Partei-Schubladen einteilen kann. Alles im Fluss, alles unsicher, alles geht – da kommt auch jede Prognose an ihre Grenzen. Es gibt keine einbetonierten Lager mehr, hier die Roten, hier die Schwarzen, es gibt kaum Stammwähler mehr. Diese Dynamik in der Gesellschaft hat ihr Gutes. Die Leute wählen nicht automatisch immer dasselbe, auch weil sie mündiger sind. Liebe SPÖ, man muss echt nicht aus Dankbarkeit rot wählen, weil man im schönen, neuen Genossenschaftsbau wohnen darf; und liebe Grüne, es gibt einfach keine „Leihstimmen“ von euch, die jetzt bei der SPÖ gelandet sind. Alle Stimmen sind Leihstimmen, ihr habt kein Naturrecht auf irgendwas. Eure Hybris, euer Hochmut gegenüber den Wählern ist weitaus ärgerlicher als der Doch-nicht-Rücktritt Vassilakous.

Die Politik- und Medienwelt kann auch wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn man die Tatsachen präziser benennt. Der im Fall von Verlusten angedrohte Rücktritt Maria Vassilakous ist eben kein „Wahlversprechen“ der Politikerin, sondern ein völlig missglücktes Taktikspiel. Ein Nulldefizit, eine neue Schule, ein neues Wahlrecht, das sind Wahlversprechen. An ihnen können wir Politiker messen. Wenn sie diese Versprechen nicht einhalten, können wir uns zu Recht darüber aufregen.

In Wien-Währing möchte jetzt zum Beispiel die neue grüne Bezirksvorsteherin das Parkpickerl einführen – die Grünen, sonst ganz verliebt in Bürgerbeteiligung, wollen auf einmal keine Anwohnerbefragung mehr durchführen; im Rathaus strebt der Wiener FPÖ-Klubobmann den Titel „Vizebürgermeister“ an, der ihm laut Wahlrecht zusteht, aber null Befugnisse hat – die Blauen, immer gegen den gemeinen Proporz und Postenschacher, möchten auch ihr Stück vom Kuchen, wenn der Kuchen schon einmal herumsteht. Glaubwürdig ist das alles nicht. Und darauf, dass die Bürger das großmütig übersehen, sollte man lieber nicht mehr zählen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: ortner.julia@news.at

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