Die Angst vor dem „Shitstorm“

Der Chefredakteur der NZZ Österreich über die Stromlinienschwimmer in der Politik.

von Michael Fleischhacker © Bild: Profil/Walter Wobrazek

Das Personalproblem, das wir in der österreichischen Politik haben, ist nicht neu. Neu sind von Zeit zu Zeit die Versuche, zu erklären, wie es dazu kam. Zu den gängigen Narrativen gehört die Vermutung, dass es mit der Abschaffung der Politikerprivilegien begann: Das Lebenseinkommen, das man als Politiker erzielen kann, hat sich vor allem durch die Abschaffung der Politikerpensionen so radikal verringert, dass die Begabten sich für Karrieren im privaten Sektor entscheiden.

Jetzt gibt es einen neuen Erklärungsversuch: Wer heutzutage in die Politik gehe, müsse jederzeit mit einem „Shitstorm“ rechnen, also damit, in den digitalen Medien wegen jeder beliebigen Kleinigkeit durch die Mangel gedreht zu werden. Man dürfe sich also nicht wundern, dass der politische Nachwuchs zunehmend im Pool der Stromlinienschwimmer rekrutiert werde. Soll heißen: Inzwischen ist das politische Personal nicht mehr nur unbegabt, sondern auch feig, und das haben wir uns selbst zuzuschreiben.

Es erscheint mir wenig plausibel, dass die innere Dynamik der digitalen/sozialen Medien zur negativen Selektion des politischen Personals beiträgt. Im Gegenteil: Wer sich vor dem „Shitstorm“ fürchtet, wird einfach zu Hause bleiben, wer die Hitze nicht verträgt, wird die Küche meiden.

Das angepasste Verhalten des Politnachwuchses hat weniger mit der „Shitstorm“-Dynamik von Twitter, Facebook und Poster- Communities zu tun, als mit der Übermacht der Parteien in unserem politischen System. „Shitstorms“ können österreichischen Politikern vollkommen egal sein: Ihre Existenz hängt ja Gott sei Dank nicht vom Wähler ab, sondern von der Partei.

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