"Meine Freiheit kommt von innen"

Es war ruhig geworden um Natascha Kampusch. Doch nun wagt sie den Schritt zurück in die Öffentlichkeit. Die Menschen sollen verstehen, weshalb sie sich auch zehn Jahre nach ihrer Flucht noch als Gefangene fühlt - gefangen in einer Opferrolle, die sie endlich abstreifen will.

von Natascha Kampusch © Bild: Sebastian Reich/News

Frau Kampusch, worin besteht der Unterschied zwischen jener Freiheit, die Sie sich während Ihrer Gefangenschaft erhofften, und jener, die Sie nach Ihrer Selbstbefreiung tatsächlich erlebten?
Der Unterschied besteht darin, dass ich nicht so viel Bestätigung und Wohlwollen bekomme, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das ist hart, aber so ist es eben. Ich habe das Gefühl, meine wahre Freiheit kommt nur aus mir selbst, niemals von außen, man muss diese Freiheit in sich tragen. Meine innere Freiheit habe ich mir in achteinhalb Jahren Gefangenschaft erarbeitet – und dann habe ich sie in den darau olgenden Jahren verloren, indem ich mich freiwillig von anderen schlecht behandeln ließ. Aber das mache ich jetzt nicht mehr. Ich habe jetzt Momente, in denen ich sage, ich fühle mich vollkommen frei. Aber wie gesagt: Das sind Momente, die im Inneren entstehen.

Natascha Kampusch
© Sebastian Reich/News

Inwiefern werden Sie schlecht behandelt? Wir würden Sie denn die Opferrolle beschreiben, die Ihnen die Öffentlichkeit zuschreibt?
Also, am besten kommt es an, wenn man emotional und nervlich am Boden ist, zerrüttet, zerstört; wenn man sich nicht ausdrücken kann und nicht weiß, wohin es gehen soll; wenn man keine konkreten Pläne hat, sondern einfach nur traumatisiert ist.

Ein armes Hascherl?
Ja, genau.

Zuerst wurde das "Wunder von Strasshof" gefeiert, dann Schlug die Stimmung um in ...
... Neid, Missgunst, auch unverhohlenen Hass.

Was läuft denn falsch in unserer Gesellschaft, dass das so ist?
Ich vermute, es liegt daran, dass die Gesellschaft viel zu konservativ ist - um es einmal sehr freundlich zu formulieren. Die Menschen werden im Prinzip auf jenen sozialen Status fixiert, den sie von Geburt an haben, und an der Entfaltung ihrer wahren Potenziale, die sie in sich tragen würden, gehindert. Die Menschen sind deshalb so voll Neid und Hass, weil sie nicht die Chancen haben, die sie gerne hätten. Viele hätten ja vielleicht Ideen und Pläne, werden aber immer wieder auf ihre Herkunft oder ihre bescheidenen finanziellen Möglichkeiten zurückgeworfen.

Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe: Die Bekanntheit, die Sie nach Ihrer Selbstbefreiung erlangten, wird als ungerechtfertigter sozialer Aufstieg interpretiert - und um den beneidet man Sie?
Das kann sein - denn die Leute vermuten, dass ich vor meiner Gefangenschaft keine so gute soziale Stellung hatte. Ich habe mich aber schon als Kind immer als etwas Besonderes gefühlt, Kinder fühlen sich ja oft als etwas Besonderes und kriegen dann erst in der Pubertät eine auf den Deckel.

Inwiefern?
Mit 15 Jahren treffen sich der Sohn aus der Arbeiterfamilie und der Sohn eines Hochschulprofessors noch - doch dann geht es auseinander. Der eine macht was aus seinem Leben, weil er getragen wird, und der andere bekommt die Härten des Lebens zu spüren, das unterscheidet sie dann. Aber das blieb mir erspart: Ich konnte mich selbst entwickeln, ich konnte mich und meine Persönlichkeit dorthin führen, wo ich gerne hin wollte, und wurde nicht von der Außenwelt gehindert oder weggemobbt oder eingegrenzt.

Weil Sie gefangen waren - gefangen in einem System aus Belohnung und Strafe, das klar strukturiert war. Gibt es Momente, in denen Sie sich trotz aller Qualen diese klare Strukturiertheit zurückwünschen?
Na ja, ich finde klare Strukturiertheit grundsätzlich einmal gut und hätte mir das schon viel früher in meinem Leben gewünscht - natürlich nicht in dieser persönlichkeitseinschränkenden Form, die der Täter ausüben wollte. Aber der hat seine Forderungen wenigstens explizit ausgesprochen, die Gesellschaft spricht sie ja nicht aus. Die Gesellschaft sagt ja nicht: "Wir geben dir kein Stück vom Kuchen ab, weil wir es dir neidig sind", sondern die tarnt das. Das sind Stiche wie von einer Nadel, die in Seidenpapier eingewickelt ist: Man sieht sie vorerst nicht, doch die Pikser schmerzen.

Weshalb will man Ihnen wehtun, glauben Sie?
Ich vermute, viele denken nach diesem Strickmuster: Ich selbst darf, kann oder will mich nicht entfalten oder traue mich nicht, für mich selbst einzustehen - und deswegen neide ich es einer Person, der es theoretisch ja viel schlechter als mir selbst gehen müsste. Ich hause in einem Schrebergartenhäuschen mit 15 Quadratmetern oder in einer 40-Quadratmeter-Wohnung und lebe von der Sozialhilfe und will nicht, dass es jemandem, der aus einem Kellerverlies kommt, potenziell besser geht als mir. Wenn man sich nun, so wie die Kampusch, außerhalb dieser Norm befindet, empfinden das die Leute als seltsam und irgendwie unrechtmäßig: Sie vermitteln mir, dass ich mir unrechtmäßig etwas angeeignet hätte.

© Video: News

Was denn konkret: das baufällige Haus Priklopils etwa, das in Ihren Besitz überging?
Alles, alle meine Ansätze. Vielleicht bin ich auch ein viel zu kreativer Mensch, und das können viele nicht verkraften, dass ich einfach ... aber ich hole jetzt ja noch weiter aus als in der Psychotherapie (lacht).

Gut, ich schicke Ihnen danach die Rechnung.
90 Euro die Stunde, das wäre ein ganz normales Honorar. Aber jetzt ganz im Ernst: Ich glaube, selbst darum beneiden mich viele, die eigentlich eine Therapie bräuchten, aber unentgeltlich nur die paar Beratungsstellen zur Verfügung haben - nämlich darum, dass ich mir diese 90 Euro leisten kann und nicht einmal von der Krankenkasse zurückverlange. Viele denken sich: "Ich habe so viel Schlimmes erlebt, ich hasse mein Leben und bräuchte eine Therapie - aber der, der wird alles einfach so in den Rachen geschoben."

Der größte Unterschied zwischen Ihnen und Josef Fritzls Opfern ist wohl der, dass Fritzl als Person noch existiert. In Ihrem Fall wird alles nur auf Sie projiziert ...
... weil es in dem Sinne keinen Täter mehr gibt.

Wünschen Sie sich manchmal, dass der Täter seinen Prozess gehabt hätte und verurteilt worden wäre?
Ich bin mir nicht sicher, ob das dann letztendlich nicht dazu geführt hätte, dass man mich und ihn in einen Topf geworfen hätte, weil ich ja immerhin überlebt habe. Ich wäre dann noch stärker in meiner Opferrolle gefangen, weil ich mich noch stärker vom Täter abheben müsste, damit er der Böse ist; und ich weiß nicht, ob ich das von meiner Haltung her hinbekommen hätte, weil ich mich einfach nicht als Opfer sehen möchte.

Wäre es zynisch, zu sagen, Ihre öffentliche Rolle ist jene des Popstars unter den Missbrauchsopfern?
Sie sprechen da nichts Unrichtiges aus, ich wurde von Anfang an so betrachtet und behandelt. Und das hat mich eher vor den Kopf gestoßen, wenn mich Journalisten ein halbes Jahr nach meiner Selbstbefreiung fragten: "Ja, was tragen Sie denn heute für ein Kleid?" Oder: "Ist Ihnen die Beleuchtung so recht?" Oder: "Wir haben Ihnen einen Visagisten organisiert, der sonst nur für die besten Modemagazine arbeitet." Ich habe das zwar interessant gefunden, weil mich diese Welt schon immer interessierte, aber ich habe es gleichzeitig auch als massiv makaber empfunden: Da geht es um ein ernstes Thema, und die setzen mir da so eine Frauenzeitschriften-Tante vor die Nase. Das war schon befremdlich.

Natascha Kampusch
© Markus Deak/News

Sie dachten sich, dass das irgendwie nicht passt, freuten sich aber trotzdem, hofiert zu werden?
Ja, durchaus. Wobei ich früher noch sehr zynisch war, alle mit einem bösen Blick bedachte und mir selbst insgeheim dachte: Ihr seid ja alle ein dekadenter Haufen. Aber heute sehe ich das anders, weil jeder Mensch eben Bedürfnisse und Wünsche hat, und solange es keinem schadet ...

Warum verändern Sie Ihr Aussehen, Ihren Look, nicht, um nicht ständig erkannt zu werden?
Vielleicht wäre dann manches einfacher, aber ich will mich ja nicht umoperieren lassen.

So war das auch nicht gemeint.
Mir ist das irgendwie unsympathisch, zum Friseur zu gehen, mir eine schicke neue Frisur machen zu lassen, mich zu schminken und mir künstliche Wimpern anzuheften - das würde dann viel zu "artificial" aussehen. In der Kunst finde ich das durchaus schön, aber wenn man so an der Kasse im Supermarkt steht, sieht man aus wie eine entlaufene Schaufensterpuppe. Es wäre nicht einmal modelmäßig, denn Models richten sich ja nur ein bisschen überhöht, aber im Grunde genommen natürlich her. Wenn ich mich überhöhen würde, so würde das ja nur dazu führen, dass man mich noch besser erkennt. Und wenn ich mich vom Typ her verändern würde, mit karottenrotem Haar etwa, dann würde ich so nicht auf die Straße gehen wollen. Ich will mich ja selbst entfalten - wie ein Gänseblümchen, das nicht plötzlich zur Orchidee werden will, denn das passt einfach nicht.

Hatte der Gedanke, ganz woanders ein völlig neues Leben zu beginnen, jemals etwas Reizvolles?
Nein, denn im Prinzip empfinde ich ja auch mein jetziges Leben als völlig neu. Ich will mich nicht verdrängen lassen, verstehen Sie? Auch wenn ich nicht gefangen genommen worden wäre, hätte ich versucht, mich im Medienbereich zu betätigen und zu Bekanntheit zu gelangen. Es hätte aber etwas Heroisches sein müssen, wie etwa ein Mittel gegen Krebs zu entwickeln. Meine Selbstbefreiung und das Bekanntwerden danach erschien mir auf eine gewisse Art logisch: Letztendlich habe ich mich ja auch deswegen befreit, damit ich nicht weiter in der Anonymität eines Verlieses hocke und sterbe. Wahrscheinlich hätte der Täter eines Tages einfach das Verlies zugemacht und mich da drinnen liegen lassen oder in einen Sack verladen und dann irgendwo anonym in einen Wald geworfen.

Bereits kurz nach Ihrer Selbstbefreiung kursierten Kampusch-Witze wie folgender: "Alle Kinder spielen Playmobil, außer Natascha, die spielt mit Priklopil." Können Sie nachvollziehen, dass die Leute über so etwas lachen?
Nein, kann ich nicht. Ich kann mich zwar grundsätzlich gut in Leute hineinversetzen – aber es gibt da eine rote Linie, die ich als den gesunden Weg bezeichnen würde, und das ist eine Überschreitung. Kein vernünftiger Mensch kommt auf einen so kranken Gedanken. Es gibt eine große Bandbreite kranker Fantasien und Gedanken – in diesem Rahmen kann ich es nachvollziehen, aber im Rahmen des Normalen, Grundvernünftigen: nein.

"Natascha spielt mit Priklopil" transportiert ja implizit das Bild der dominanten Lolita.
Auf eine gewisse Art ja - und darin besteht auch die eigentliche Gemeinheit. Denn selbst wenn ich solche Persönlichkeitsanteile besitzen würde, hätte das ja rein gar nichts mit der Entführung zu tun.

»Eine misshandelte Frau, die stark ist - nein, das will niemand«

Nein, aber Sie wurden zur Projektionsfläche für merkwürdige Fantasien, und das kulminiert etwa in Witzen wie diesen.
Ja, das stimmt. Und es ist deshalb so entwürdigend, weil ich ja einfach nur leben möchte. Ich möchte, um nochmals das Bild einer Blume zu bemühen, wachsen, die Sonne aufnehmen, Blätter entwickeln, den Dünger verarbeiten. Aber die Leute wollen aus mir Löwenzahnsalat machen oder mich als Unkraut verunglimpfen. Ein Löwenzahn wächst ja auch ab und zu auf einem Feld, wo er nicht sollte, wo man ihn nicht haben will, weil man dort Kartoffeln oder Ähnliches anpflanzt. Man sieht mich als jemanden, der dort Platz greift, wo er eigentlich nicht dürfte. Auch meine Stärke dem Täter gegenüber wird als Anmaßung empfunden, denn eigentlich hätte ich mich ja vor ihm fürchten und Angst haben müssen. Es gibt so viele Leute, die sind mit jemandem zusammen, der sie verprügelt, ihnen die Zähne ausschlägt. Die sind erbost, weil sie sich denken: Was wird um die Kampusch so viel Aufhebens gemacht, mir stünde das viel eher zu. Eine misshandelte Frau, die stark ist - nein, das will niemand. Außerdem habe ich ja nie behauptet, weiß Gott wie misshandelt worden zu sein. Ich wurde entführt, eingesperrt, auch geschlagen - und das reicht eigentlich. Ich muss ja nicht jede Negativerfahrung ausbreiten.

Wenn ein Mann eine Frau gefangen hält, wird sofort eine sexuelle Komponente herausgestrichen. Wäre das auch so, wenn das Opfer ein Mann wäre?
Ich denke schon. Aber vielleicht wollte man das in meinem Fall unbedingt hervorheben, weil ja schon während meiner Gefangenschaft diese Theorien existierten, dass mir meine Verwandten etwas angetan hätten. Und dann war logisch: Wenn es schon nicht die Verwandten waren, dann muss ihr eben jemand anderer etwas sexuell angetan haben, also ist es der Entführer gewesen. Und das wiederum muss daran liegen, dass sie aus einer Familie kommt, die nicht unbedingt gut ist. Aber natürlich gehen die Leute davon aus, dass ein junges Mädchen, wenn es sich in der Gewalt eines Mannes befindet, keine andere Möglichkeit hat, als dem Täter zu Willen zu sein - was ja auch stimmt. Aber es wird mir zum Vorwurf gemacht, und das finde ich nicht gut.

So nach dem Motto: "Na, das Luder wird's schon faustdick hinter den Ohren gehabt haben"?
Genau. Aber was sind all diese Frauen mit fünf Kindern von fünf verschiedenen Typen, die die Kinder verwahrlosen lassen, wo die Fürsorge kommt und die immer noch Kinder kriegen, obwohl sie Kinder eigentlich gar nicht mögen - was sind das für Leute? Die sehe ich immer in Relation zu mir und denke mir dann: Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen und niemandem etwas getan.

Natascha Kampusch
© Sebastian Reich/News

Wenn man vorsätzlich so missverstanden wird wie Sie, so flüchtet man sich als gelernter Österreicher gerne in den Alkohol. Haben Sie jemals versucht, der Realität auf diese Weise zu entkommen?
Nein, denn ich habe als Kind viele Alkoholiker beobachten können, wir hatten ja ein Geschäft mit Kaffeehaus, da gab es diese Stammtischrunden, die haben sich schon am Nachmittag zu Wein oder Bier gesetzt, einige haben auch Hochprozentiges sehr geschätzt. Ich beobachtete, wie sie zu schwitzen begannen oder zu weinen und dann auf der Straße über schnurgerade Wege stolperten, und dachte mir: So will ich nie sein. Alkohol konsumiere ich nur im Tiramisu. Ich brauche keine Suchtmittel zur Realitätsflucht, ich habe so eine große Fantasie, dass ich mir meine Fluchträume auch so erschaffen kann. Außerdem will ich mir die Realität ganz bewusst geben und nicht die Kontrolle abgeben.

Gab es innerhalb der letzten zehn Jahre Phasen, wo Sie sich dachten: Mein Leben ist in dieser Form nicht wert, gelebt zu werden?
Es gab solche Momente, wo ich mir von den Menschen die Zähne ziehen und die Krallen stutzen ließ, weil ich dachte, ich müsse jetzt allen lieb und nett begegnen und ihnen dankbar dafür sein, dass ich in Freiheit bin. Ich würde mir wünschen, dass ich mich in diesen Momenten anders verhalten hätte und mich selbst besser zum Ausdruck gebracht hätte. Aber ich wollte diese Bekanntheit, die ich ohnedies schon hatte, nicht noch durch meine Persönlichkeit unterstreichen. Der Schlüssel wäre gewesen, von vornherein keinen meiner Persönlichkeitsanteile zu verleugnen, aber das sagt sich jetzt so einfach.

Zumal Sie ja keine echten Vertrauten hatten: Nach achteinhalb Jahren Isolation müssen Ihnen ja selbst Ihre eigenen Eltern wie Fremde vorgekommen sein, oder?
Nein, sie waren keine Fremden. Ich hatte schon immer eine enge Bindung zu ihnen, wenn auch nicht immer eine ganz so harmonische. Ich war aber nie mit ihnen zerstritten, sondern habe sie eben manchmal als anstrengend empfunden. Nach meiner Selbstbefreiung wurde ich dann davon eingeholt, dass sie eben so sind, wie sie sind, und das hat mich dann doch ein wenig überrascht, weil ich mir dachte, auch sie hätten einen Prozess durchgemacht.

Doch nach meiner Befreiung gab es wieder einen starken Streit zwischen ihnen, das hätte es wohl nicht unbedingt gebraucht. Sie hätten ja auch sagen können: "Wir haben so etwas Schlimmes erlebt, das eint uns jetzt zumindest so weit, dass wir Ruhe geben und einander akzeptieren." Dazu kommt noch, dass ich mich bereits vor meiner Gefangenschaft von meiner Mutter manchmal unverstanden gefühlt habe, denn sie ist dieser absolut praktische Typ, wofür ich sie einerseits bewundere. Andererseits gibt es für sie in jeder Situation nur eine einzige Methode, die sie dann auch durchzieht. Deswegen bin ich mir als Kind immer wieder minderbemittelt vorgekommen, das hat mich frustriert. Nach meiner Gefangenschaft bin ich dann aber irgendwann draufgekommen: Jetzt kann ich, zumindest in Ansätzen, endlich die Person sein, die ich sein möchte, es war wie ein Coming-out.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie ein intaktes Familienleben aussehen könnte? Ist das etwas, wonach Sie sich sehnen?
Ich weiß es nicht. Ich bewundere Leute, die ihre eigene, intakte Familie haben, und sehne mich auch ein bisschen danach, denn ich mag verantwortungsbewusste Leute irrsinnig gerne. Eine Familie mit sieben, acht Kindern, das wäre schon schön - aber das wäre dann ein komplett anderes Leben: Dafür bedürfte es einer entsprechenden zweiten Person, das ist alles eine Frage der Spiegelung: Wenn ich anders wäre, würde ich anders auf Leute zugehen und auch Leute anziehen, die sich nach einer Familie sehnen. Aber in meinem Umfeld befinden sich eher jene, die unabhängig sein wollen.

»Ich fühle mich wie ein alter Grieche in einem jungen Frauenkörper«

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass Sie sich "aus der Zeit gefallen" und "weder jung noch alt" fühlen. Wie meinen Sie das?
Manchmal mag ich dieses spießig-verantwortungsvolle Erwachsenensein, oft aber auch nicht. Andererseits mag ich auch nicht dieses Kindisch-Verantwortungslose. Früher war das noch auffälliger, da dachte man, wenn man mich reden hörte, ich wäre eine ältere Person, etwa vierzig oder noch älter, in einem jüngeren Körper. Jetzt gleicht sich das langsam an. Aber das Problem ist: Ich weiß nicht, wie ich es jetzt auf die Reihe kriegen soll, meine Jugend zu genießen, denn das muss man ja auch lernen. Ich fühle mich eher wie einer dieser Männer aus der griechischen Antike mit weißem Bart und weißem Haar, aber in einem jungen Frauenkörper - und das ist halt schwierig.

Haben Sie konkrete Zukunftspläne oder konzentrieren Sie sich auf den täglichen Überlebenskampf?
Überlebenskampf? Ja, irgendwie passt das. Aber gleichzeitig habe ich auch Pläne, die eher ins Kreative, Schaffende gehen als ins Private. Wenn ich mich definieren müsste, würde ich mich am ehesten als Künstlerin bezeichnen. Überlebenskünstlerin, dass passt doch gut. Ich mache oft parallel drei bis vier Kurse, helfe Freunden in ihren Geschäften aus oder betätige mich als Goldschmiedin. Ich weiß, wohin es beruflich gehen soll, aber darüber will ich noch nicht sprechen. Irgendwann wird es den richtigen Rahmen für mich geben - und wenn ich ihn mir selbst basteln muss.

Natascha Kampusch
Die am 17. Februar 1988 in Wien geborene Natascha Kampusch wurde 1998 auf dem Schulweg vom Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt und im Keller seines Hauses in Strasshof (NÖ) gefangen gehalten. Nach 3096 Tagen, also rund achteinhalb Jahren, gelang ihr die Flucht, Priklopil nahm sich das Leben. Der weltweit beachtete "Fall Kampusch" wurde von zahlreichen Ermittlungspannen begleitet.

Kommentare

MinION melden

Ihr ist sicher Schreckliches widerfahren was man niemanden wünschen würde, aber muss sie wirklich mehr oder weniger regelmäßig an die Öffentlichkeit?
Es gibt genügend Entführungsopfer die nicht heiß darauf sind, sich ständig erklären,rechtfertigen oder in den Mittelpunkt rücken zu müssen. Die wollen einfach ihre Ruhe um das Ganze zu verarbeiten und ohne Aufsehen fortleben. Ich kenne selbst

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jemanden, der bei einem Urlaub in der Sahara entführt wurde. Klar hat man ihn nach seiner Befreiung interviewt und auch ich habe ihm damals Löcher in den Bauch gefragt. Widerwillig gab er Antwort, da viele sagten, er sei selber schuld wenn er in der Wüste Urlaub machen müsse. Bei einem einzigen Interview blieb es auch mit der Begründung – er wolle einfach seine Ruhe und dass es ihm egal sei,

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was andere von ihm denken würden.
Kampusch ist da wohl ein Ausnahmefall, dass sie ständig der ganzen Welt mitteilen will, wie gekränkt sie über die Meinung der Menschen ist. Wer dauernd in die Öffentlichkeit will, muss natürlich auch mit Negativem rechnen.

Oberon
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Ich wäre mir da nicht so sicher, dass Natascha Kampusch in die Öffentlichkeit drängt. Es könnte genau so gut sein, dass manche Medien deswegen über sie berichten, weil halt Sommer ist, und das Sommerloch gefüllt werden muss. Sonst passiert schließlich nix in Ö?!
Bei diesem Artikel darf man posten, was man will, wobei so manches bei früheren echt schon grenzwertig war. Nur - das interessiert.....

Oberon
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die "werte" Redaktion nicht. Ihre schützende Hand wird einzig und allein über die "Flüchtlinge" gehalten. Da werden vorsorglich Foren gesperrt, und damit den usern ein virtueller Maulkorb verpasst. Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offensichtlich! Aber was erwartet man sich schon.....?

Anm.: Ich habe den Film "3096 Tage", aufgeteilt auf drei Mal, angesehen. Er ist reduziert, ......

Oberon
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.... ohne reißerische Filmmusik, also nur auf das Wesentliche bezogen. Trotzdem, absolut schwere Kost.

Gabe Hcuod
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"Hobbypsychologin" Oberon sollte sich vielleicht professionelle psychologische Hilfe suchen, denn ihre Fixierung auf das Thema Flüchtlinge / Ausländer scheint zwanghaft zu sein. Wenn sie sich nicht über Asylanten beschwert, beschwert sie sich darüber, dass sie sich nicht ausreichend über Asylanten beschweren kann.

Urlauber2620
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Na dann verschonen sie doch endlich die Menschen mit ihrer Anwesenheit in den Medien. Dann können sie frei sein wie sie wollen, sie werden sicher nicht vielen Menschen fehlen denn es gibt Wichtigeres als ihr Leben.

Ivoir
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Stellen Sie sich vor den Spiegel und wiederholen Sie, was Sie gerade geschrieben haben. Ihre Selbsteinschätzung könnte Ihnen gegenüber nicht treffender formuliert werden.

Urlauber2620
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Ich kann mich wenigstens noch vor den Spiegel stellen ohne das mir schlecht wird. Sie hingegen als eingefleischter Gutmensch sollten das lieber nicht machen und welcher Partei sie angehören ist jedem klar. Aber erst durch die Dummen haben die intelligenten was zu lachen. Werden sie sicher nicht verstehen.

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