"Legal nach Österreich
nur mit dem Fallschirm"

Journalistin Livia Klingl kritisiert in einem Buch die aktuelle Zuwanderungsdebatte

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Zuwanderung - "Legal nach Österreich
nur mit dem Fallschirm"

NEWS.AT : Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Livia Klingl: Ich ärgere mich schon sehr lange über die Art, wie mit Zuwanderung umgegangen wird. Weil wir die brauchen. Und das wird leider nicht dazu gesagt.

NEWS.AT : Der Titel ist ja „Wir können doch nicht alle nehmen!“ – sollten wir denn alle aufnehmen, egal ob Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge?
Klingl: Die Frage stellt sich nicht, weil ja gar nicht alle kommen wollen. 87 Prozent derer, die derzeit weltweit auf der Flucht sind - das sind 56,7 Mio. Menschen - bleiben in der Nähe ihrer ursprünglichen Heimat. Voriges Jahr gab es zahlreiche Kriege rundherum und in die EU kamen 600.000 Menschen als Asylwerber. Das sind etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung.

Es gibt in der gesamten EU Gesetze, aufgrund derer die Menschen, die Sie Wirtschaftsflüchtlinge nennen, wieder heimgeschickt werden. In Österreich sorgen sich viele wegen weniger als 29.000 Asylwerbern im Vorjahr. Nachdem nicht einmal 30 Prozent anerkannt werden, können Sie sich ausrechnen, was übrig bleibt - in einem Land, das nur 1,4 Kinder pro Paar fabriziert.

NEWS.AT : Wie sollten denn die Eckpfeiler einer zeitgemäßen Asyl- und Zuwanderungspolitik aussehen?
Klingl: Ich plädiere dafür, dass die EU endlich eine gemeinsame Flüchtlingspolitik einführt. Dass man nicht armen Ländern wie Griechenland und Italien, nur weil sie eine Küste haben und damit am leichtesten erreichbar sind, nach der Dublin-Verordnung diese Bürde der Hunderttausenden Flüchtlinge umhängt.

NEWS.AT : Sie sprechen von Quoten?
Klingl: Ich spreche von einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik. Wenn die EU eine gemeinsame Einrichtung ist, dann hat sie mit den sogenannten Problemen auch gemeinsam umzugehen. Nach Österreich können Sie als Flüchtling legal eigentlich nur mit dem Fallschirm kommen. Sonst sind Sie immer schon in einem sogenannten Drittland gewesen. Daher hat Österreich eine komfortable Position im Vergleich zu Italien, Griechenland oder Malta.

»Wer unter sich bleibt, stirbt aus«

Wenn man sich außerdem die Geburtenraten, egal in welchem EU-Land, ansieht, wird man sehr schnell feststellen, dass man, wenn man unter sich bleibt, „ausstirbt“. Dann frage ich mich: Wer zahlt in die Pensionskassen ein, wer pflegt uns, wenn wir alt sind, wer schält die Erdäpfel, wer putzt die Klos, wer baut die Häuser? Wenn man unter sich bleiben will, muss man wissen, dass das so aussehen wird wie in den „neuen Bundesländern“ in Deutschland. Zuerst sperrt das Kino zu, dann der Supermarkt, dann kommt die Müllabfuhr nur mehr ganz selten und dann kommt die Abrissbirne, weil ganze Gebäude leer stehen. Denn die Wahrheit ist, wir Europäer vermehren uns einfach nicht ausreichend.

Variante zwei wäre zu sagen: das will ich nicht. Dann muss ich Zuzug zulassen. Dann muss man sich daran gewöhnen, dass da fremde Leute kommen, die uns die Arbeit machen.

NEWS.AT : Stichwort Erreichbarkeit: Momentan sterben jährlich Tausende Menschen im Mittelmeer, weil es für sie aus Afrika kommend keine andere Möglichkeit gibt, die letzte Etappe Ihrer Flucht zu bestreiten. Was müsste getan werden, um dieses Massensterben zu beenden?
Klingl: Nur das, was es früher bereits gegeben hat: Dass Asylwerber in ihrem Heimatland oder dem nächstgelegenen Land, in dem es europäische Botschaften gibt, ihren Antrag stellen können. Und das wird in der EU auch tatsächlich wieder überlegt.

NEWS.AT : Für wie realistisch halten Sie das in Zeiten, in denen in immer mehr Mitgliedsstaaten rechte Parteien erstarken?
Klingl: Es wird sicher nicht morgen passieren. Aber vorige Woche hat es ein Treffen auf europäischer Ebene gegeben, in dem das angebracht wurde.

»Frontex lässt die Leute ersaufen«

So wie jetzt kann es jedenfalls nicht weitergehen. Bis vorigen Herbst hat Italien im Rahmen des „Mare Nostrum“-Programms, das lächerliche neun Millionen Euro im Monat gekostet hat, einen Großteil der Menschen, die am absaufen waren, aus dem Wasser gefischt. Weil die EU unsolidarisch war, hat Italien dieses Programm eingestellt. Jetzt ist wieder die Grenzschutzorganisation Frontex am Ruder, über die man nicht ganz zu Unrecht sagt, sie schützt Europas Grenzen vor den Flüchtlingen. Die lässt die Leute schlicht ersaufen. Und es ist meiner Ansicht nach für eine Union, die den Friedensnobelpreis erhalten hat, unglaublich, dass man Menschen einfach absaufen lässt.

Außerdem kommt wieder das zu tragen, was ich schon eingangs gesagt habe: Diejenigen, die von diesen Booten gerettet werden und nicht asylwürdig sind, werden ja sowieso nicht anerkannt. Das heißt, Österreich und die EU müssten nur die eigenen Gesetze einhalten. Ich plädiere nicht dafür, alle Grenzen aufzumachen und jeder, der Lust hat, kommt. Das ist illusorisch. Ich plädiere nur dafür, dass man als Rechtsstaat die eigenen Gesetze einhält. Und das aus Eigennutz. Deutschland sucht bereits fünf Millionen Fachkräfte. Na, wo wird man die finden? Das ist in Österreich auch nicht anders.

NEWS.AT : Einer der in Ihrem Buch porträtierten Zuwanderer sagt, „Wer Österreichs Sitten akzeptiert, soll einer von uns sein.“ Wie schafft man es, diese örtlichen Gepflogenheiten zu vermitteln?
Klingl: Es sollte in den Erstauffanglagern wie Traiskirchen tatsächlich Kurse geben. Wenn Sie nach Israel auswandern, bekommen Sie als erstes eine Art Heimatkunde und einen Hebräisch-Kurs. Man sollte diesen neu angekommen Menschen tatsächlich erklären, dass bei uns der Freitag der Sonntag ist, dass wir es gerne leise haben, dass wir gerne Müll trennen. Diese Punkte erklären, die vielen Leuten bei uns – aus meiner Sicht auch zu Recht – bei Zuwanderern auf die Nerven gehen.

»Die Wenigsten wollen nach Österreich«

Wenn ich nach Somalia auswandere, habe ich auch keine Ahnung, wie es dort ist. Die meisten Flüchtlinge kommen ja nicht nach Österreich, weil sie es sich ausgesucht haben. Die kommen, weil die Schlepper sie hier aus dem Lastwagen fallen lassen. Die wenigsten, mit denen ich gesprochen habe, wollten nach Österreich. Tschetschenen, Somalier, Pakistani – die wissen oft nicht einmal, dass es Österreich gibt. Deswegen wäre es vernünftig, eine Art kleinen Erziehungskurs zu machen. Was geht den Leuten hier auf die Nerven, was führt zu Konflikten und was kann man leicht ändern? Man kann einem Menschen nicht in vier Wochen die Sprache beibringen, aber man kann ihm beibringen, dass man einem älteren Menschen die Türe aufhält, dass man grüßt, dass man den Müll trennt. Solche Sachen.

NEWS.AT : Was ist denn das größte Problem für Flüchtlinge, wenn sie einmal da sind?
Klingl: In Traiskirchen treffen sie auf andere Flüchtlinge und natürlich ist ein ordentlicher Teil dieser Menschen männlich und traumatisiert und aus Kriegsgebieten. Das macht junge Männer nicht friedfertiger und nicht unbedingt angenehm im Umgang. Ein anderes Problem ist, dass sie sich auch nicht auskennen und dass sie zu Recht das Gefühl haben, dass sie nicht willkommen sind. Das ist ein riesiges Problem.

»Man kann nicht jeden integrieren«

Oder umgekehrt: Diejenigen, die sich relativ gut zurechtgefunden haben, haben alle kleine Hilfestellungen von Freiwilligen gehabt. Es geht nicht darum, dass man jemanden adoptieren muss. Ein bisschen wie einen Menschen behandeln, das ist meistens schon genug. Alle meiner Interviewten, die erfolgreich sind, sind es deshalb, weil sie irgendwen gehabt haben, der oder die ein bisschen weitergeholfen hat. Meistens ist das ausreichend. Ich rede jetzt von der Mehrheit. Natürlich kann man nicht jeden Fremden integrieren, so wie man auch nicht jeden Österreicher in die Gesellschaft integrieren kann.

Livia Klingl
© Tanja Trojan Im Buch porträtiert Livia Klingl auch 16 unterschiedliche Zuwanderer

NEWS.AT : Es gibt, das belegen ja auch die Zahlen in Ihrem Buch, beileibe keinen dramatischen Anstieg der Asylwerberzahlen in Österreich. Warum haben die Menschen trotzdem Angst vor Flüchtlingen?
Klingl: Ich glaube, es gibt zwei Punkte. Das eine ist eine Verwechslung zwischen Flüchtling und Leuten, die schon hier sind, einen Aufenthaltstitel haben und einem auf die Nerven gehen. Wenn Sie wollen, ist das das Malheur, das in den siebziger und achtziger Jahren mit den Gastarbeitern passiert ist. Weder haben die Gastarbeiter geglaubt, dass sie hier bleiben werden, noch die Österreicher. Die wollten Geld verdienen und wieder heimfahren und sich ein Häusl bauen. Die haben nicht Deutsch gelernt, die haben sich sozusagen nicht integrieren müssen, weil sie ja nicht gedacht haben, dass sie bleiben. Genau das gleiche ist mit den Österreichern passiert. Weil man gedacht hat, die Gastarbeiter gehen eh bald wieder, hat man sich nicht um sie gekümmert. Und das Ergebnis ist das, was heute viele Leute ärgert.

»Die österreichische Putzfrau möchte ich sehen«

NEWS.AT : Und der andere Punkt?
Klingl: Der andere Punkt ist, dass die Leute es irgendwann glauben, wenn sie in nicht gerade niveauvollen Medien ausreichend oft die Ausländerhetze lesen. Deswegen versuche ich im Buch ja zu sagen: Dreh es um. Schau, was nützt Dir in Deinem Leben. Denn die österreichische Putzfrau, die möchte ich gerne sehen. Mein Installateur ist türkischstämmig, mein Bauträger ist iranischstämmig, mein Fliesenleger ist rumänischstämmig, mein Bodenleger ungarischstämmig. Mein ganzes Leben ist aufgebaut auf Menschen, die nicht hier geboren sind. Und mein Leben ist nicht speziell. Wenn sie ins Krankenhaus gehen, so wahnsinnig viele ur-österreichische Krankenschwestern und Ärzte haben wir schon seit Jahrzehnten nicht mehr.

Ein türkisch-kurdisch-stämmiger Installateur sagt es auch im Buch: „Die Gescheiten denken eh nach, bevor sie reden, aber die Dummen möchte ich sehen, wenn alle die weg sind, die man nicht haben will.“

Wie gesagt, ich bin nicht romantisch. Ich lebe im 15. Bezirk, dem Bezirk mit dem höchsten Ausländeranteil und der niedrigsten Kaufkraft in Wien. Ich behaupte auch nicht, dass alle Ausländer reizend sind. Auch nicht alle Flüchtlinge sind pünktlich, fleißig und charmant. Das ist so. Aber ich will pragmatisch sein: Wollen wir aussterben oder wollen wir weitermachen? Wollen wir jemanden, der in die Pensionskassen einzahlt, der die Erdäpfel schält, der die Teller wäscht, der all diese Dinge tut, die unser normales Alltagsleben lebenswert machen? Wir sollten froh sein, dass irgendjemand die Drecksarbeit macht. Man muss sie nicht lieben. Nicht giftig und gallig zu sein, das würde genügen.

Das Buchcover
© Kremayr & Scheriau

Livia Klingl
Wir können doch nicht alle nehmen!
Europa zwischen „Das Boot ist voll“ und „Wir sterben aus“
Verlag Kremayr & Scheriau
ISBN 978-3-218-00968-3
Auch als E-Book erhältlich

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