Missbrauch im Sport:
Was dahinter steckt

Die Expertin Chris Karl erklärt die Mechanismen und gibt Tipps zur Prävention

Chris Karl ist Sportwissenschaftlerin und forensische Psychologin. Im Rahmen des Plattform "KIMI" in Salzburg klärt sie in Schulen über Präventionsmaßen auf und ist erste Adresse bei Verdachtsfällen im Sport.

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Tabuthema - Missbrauch im Sport:
Was dahinter steckt

Gibt es im Sport eine höhere Missbrauchs-Gefährdung als anderswo?
Chris Karl: Die Gefahr liegt nicht darin, dass es bei Trainern eine besonders hohe Quote an Sexualverbrechern gibt. Im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, dass sich die Täter Betätigungsfelder suchen, die für sie interessant sind. Das sind meistens Orte, an denen man viel Zeit mit Kindern verbringen kann, wo man dazu ein gewisses Autoritätsverhältnis hat. Den Sport unterscheidet dazu eine Gegebenheit extrem von anderen Betätigungsfeldern: Normalweise dauert das Aufbauen eines Vertrauensverhältnisses lange, erst dann kommt es zum Körperkontakt. Im Sport ist Körperkontakt von Anfang an erlaubt, man muss sich also nicht über Tabus hinwegsetzen. Ein Sporttrainer muss ein Kind ja angreifen. Das macht den Sport für Täter zu einem idealen Betätigungsfeld. Darum ist Prävention so wichtig.

Chris Karl
© News/ Christian Maislinger /www.maislinger-christian.at Chris Karl, Sportwissenschaftlerin und forensische Psychologin

Oft ist von einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Trainern und Sportlern die Rede. Können Sie das näher erklären?
Es gibt drei Gründe warum jemand etwas macht, was ein anderer von ihm will. Erstens wegen eines Autoritätsverhältnisses. Jemand gibt mir einen Befehl. Punkt zwei ist Konformität. Man macht, was die Gruppe will um dazu zu gehören. Die dritte Möglichkeit ist freiwilliger Gehorsam. Man tut etwas, das jemand anderer will, weil man ihm einen Gefallen tun will. Im Sport treffen alle drei Faktoren zu. Der Sportler ist also in einer ganz extremen Abhängigkeit, wo alle Faktoren wie eine Kralle sicherstellen, dass er das macht, was der Trainer will. Zu einem Trainer hat ein Kind oder ein Jugendlicher ein ganz anderes Vertrauensverhältnis als zu einem Lehrer in der Schule. Der Trainer ist in Extremsituationen für das Kind da, etwa vor dem Wettkampf, wenn es nervös ist oder er tröstet es danach, wenn es verloren hat. Von einem Lehrer lässt sich ein Kind nicht trösten wenn es einen Fünfer hat, auch vor der Prüfung suchte es bei jemandem anderen Rat. Natürlich gibt es auch von Lehrern Übergriffe, aber da muss das Vertrauensverhältnis viel länger aufgebaut werden. Meistens muss auch das Umfeld gewechselt werden, bevor es zu Körperkontakt kommt.

Wieso brauchen Opfer so lange um sich zu offenbaren?
Da gibt es mehrere Gründe. Sie fürchten die Konsequenzen, die es für sie haben könnte. Das ist bei Kindern aber nicht der schlimmste. Viel schlimmer ist, dass die Täter oft ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern pflegen. Denn das ist ein Teil des Systems der Täter. Sie wissen, dass die Situation für das Kind dadurch erschwert wird, und die Chance höher ist, dass die Eltern dem Kind nicht glauben. Laut einer kanadischen Studie kennen 89 Prozent der Opfer den Täter. Die Angst der Kinder vor den Konsequenzen für den Täter ist groß. Was passiert mit dem Menschen, der ja ein Freund meiner Eltern ist und auch von mir? Denn die Kinder mögen denjenigen oft. Da ist meistens lange ein Vertrauensverhältnis gewachsen. Die Täter erfüllen ja auch Bedürfnisse der Kinder, tun ihnen lange sehr viel Gutes. Doch irgendwann kippt das Verhältnis, dann wird eine Grenze überschritten. Dann tun sich die Kinder schwer zu sagen: Das will ich jetzt nicht mehr. Oft glauben sie ja, selbst daran schuld zu sein. Dann ist es natürlich peinlich über sexuelle Dinge zu reden. Außerdem: Wenn es keine Regeln gibt, können Kinder nicht abschätzen, was dazugehört, was nicht.

Wer sind die Täter?
Mit einem Vorurteil heißt es aufzuräumen: Pädophilie ist eine Diagnose eines abnormen sexuellen Bedürfnisses, kein Straftatbestand. Alleine das Bedürfnis mit einem Kind Sex haben zu wollen, ist abnormal aber nicht strafbar. Manche geben dem Drang nie nach. Strafbar ist die Tat, sobald man dem Drang nachgibt. Nicht jeder Sexualverbrecher ist pädophil und umgekehrt, nicht jeder Pädophile ist ein Sexualverbrecher. In den meisten Fällen, wenn es um Minderjährige geht, nützen Täter schlicht die leichte Gelegenheit.

Präventive Regeln scheinen im Sport keinen großen Stellenwert zu haben. Wie kommt das?
Es gibt keine Präventivregeln, die den körperlichen Umgang oder den Schutz der Intimsphäre zwischen Trainer und Sportlern regeln. Ein großer Punkt ist, dass durch die Ehrenamtlichkeit vieler Trainer die Vereine eher dankbar sein müssen, dass es überhaupt Trainer gibt. Dann ist man weniger kritisch und scheut sich strengere Maßstäbe anzulegen. Bei einem offiziellen Arbeitsverhältnis kann man auch Forderungen besser durchbringen. Als bei einem freiwilligen, wo ich Angst haben muss, dass das vielleicht aufhört, nur weil es jetzt etwas schwieriger wird. Und Österreich hat eher zu wenig Trainer als zu viele. Dann die Garderobensituation in den Sportstätten Österreichs begünstigt – weil es in vielen Fällen keine getrennten Garderoben gibt. Also selbstverständlich Geschlecht getrennt aber auch zwischen Kindern und Trainern. Das hat aber jeder so akzeptiert dass es so ist. In anderen Ländern gibt es doch mehr Präventivmaßnahmen. Aber auf Veränderung wird meist aggressiv reagiert weil es mit Aufwand verbunden ist.

Chris Karl
© News/ Christian Maislinger /www.maislinger-christian.at

Verstehen Sie die Angst vieler Vereine und Verbände, das Thema überhaupt anzusprechen?
Nein. Denn jeder Fall der passiert, wirft ein schlechtes Bild auf den Sport. Es ist ein falsches Denken einfach nicht darüber zu reden und zu hoffen, dass nichts sein wird.

Was wären wichtige Vorsorgemaßnahmen, sozusagen das Minimum?
Es gibt Checklisten von der Landessportorganisation in Salzburg, Poster, die man in den Garderoben und Trainingsräumen aufhängen kann. Regeln müssen transparent sein. Wenn sie nicht alle Beteiligten also Trainer, Eltern, Kinder, Funktionäre kennen, bringen sie nichts. Die Regeln selbst sind nicht wahnsinnig kompliziert. Zum Beispiel hat jedes Kind das Recht auf eine Privatsphäre und das ihm keine Erwachsenen beim Umziehen zuschauen. Natürlich darf deshalb ein Erwachsener die Garderobe betreten. Aber man kann ja auch anklopfen und fragen ob es ok ist. Manche dieser Maßnahmen dienen genauso dem Schutz der Trainer, etwa das Sechs-Augen –Prinzip. Das bedeutet, dass sich immer mindestens drei Personen in einem Raum aufhalten sollen, damit es nie zu einem eins zu eins-Verhältnis mit Kind und Trainer kommt. Man muss sich für ein Gespräch nicht in ein Kämmerchen zurückziehen, man kann sich auch in einen Turnsaal in ein Eck stellen, wo alle sehen, dass geredet wird. Kommunikation ist generell ein wichtiges Thema. So gibt es keinen Grund warum ein Trainer nur dem Kind mitteilt, dass eine Einheit verschoben ist und nicht auch den Eltern. Insgesamt sollte es bei der Kommunikation um sportliche Inhalte gehen, nicht um private, die die Freizeitgestaltung betreffen. Trainer zu sein ist ein Beruf, da geht es nicht um eine private Freundschaft. Bevorzugung bestimmter Kinder ist daher ein Alarmzeichen, zum Beispiel wenn ein Kind vom Trainer ein Geburtstagsgeschenk bekommt, andere aber nicht.

Was könnten die Sportinstitutionen tun?
Bei der Trainerausbildung wird das Thema inzwischen aufgegriffen, da ist etwas im Entstehen. Gesetzlich ist Österreich sehr gut aufgestellt, das ist lückenlos geregelt. Im Präventiven Bereich gibt es nichts. Das ist die Frage, wie man das regelt. Interessant wären Richtlinien, an die man Förderungen von Land und Bund knüpfen könnte. Ein Verein kann nie garantieren, dass sicher nichts passiert. Aber er kann garantieren, dass er Präventivmaßnahmen einhält und die Voraussetzungen dafür erfüllt.

Weiterführender Link:
www.KiMi.co.at

Was tun Politiker und Funktionäre, um dem sexuellen Missbrauch im Spitzensport vorzubeugen? Die große Story zum Tabuthema Missbrauch im Sport lesen Sie im aktuellen News.

Kommentare

pfui. wenn kindesmissbrauch olympiadisziplin wäre, würden wir niemals ohne goldmedaille dastehen wie volltrottel.

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