"Wir haben schon mehr gelacht"

Investor Michael Treichl lebt in London und kann den Brexit nachvollziehen

Investor Michael Treichl stammt aus Österreichs bedeutendster Bankerdynastie und lebt schon seit Jahren in Großbritannien. Dass die Briten den Brexit gewählt haben, kann er verstehen. Er selbst wird weder Van der Bellen noch Hofer wählen.

von Investor Michael Treichl © Bild: Ricardo Herrgott

Waren Sie vom britischen Votum gegen die Mitgliedschaft in der EU überrascht?
Ich war sehr überrascht und hätte mit einer knappen Mehrheit für den Verbleib Großbritanniens bei der EU gerechnet. Ich sehe die Ursache dafür aber nicht vordergründig in den Migrationsströmen. Es ist ja keine ausschließlich britische Idee, das Prinzip der Freizügigkeit einzuschränken, auch der österreichische Außenminister Sebastian Kurz teilt dieses Anliegen. Hier geht es viel mehr um wirtschaftliche Gründe.

»Ich hätte als Österreicher gegen den Brexit gestimmt, als Brite aber dafür«

Sie sind österreichischer Staatsbürger. Was hätten Sie gewählt?
Ich hätte als Europäer gegen den Brexit gestimmt, als Brite aber dafür, weil ich glaube, dass es für Großbritannien besser ist, außerhalb der EU unabhängig und selbstständig zu agieren -nicht eingeengt von den Auflagen des EU-Vertrags hinsichtlich Handelsabkommen mit Drittländern. Großbritannien ist eine Handelsnation und braucht die EU nicht. Meine Frau ist Angloamerikanerin und hat für den Verbleib in der EU gestimmt, meine beiden erwachsenen Stiefkinder ebenfalls. Unsere gemeinsamen Kinder durften mit 14 und 16 noch nicht wählen, hätten aber wahrscheinlich dasselbe gewählt.

Investor Michael Treichl
© Ricardo Herrgott

Welche Fehler hat die EU gemacht?
Die EU ist eine relativ protektionistische Organisation, die Einzelhandelsabkommen mit rund 50 Staaten hat, aber leider nicht mit den wirklich wichtigen wie USA, China, Indien, der Golfregion. Die Briten glauben mit einer gewissen Berechtigung, dass sie ohne die Einschränkungen der EU mit diesen für sie traditionellen Handelspartnern relativ schnell günstige Handelsabkommen abschließen könnten. Das wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Australien, China und Neuseeland haben schon Interesse bekundet.

Die Immigration war aber auch ein nicht zu unterschätzendes Motiv für das Votum, sagen viele Experten.
Mag sein, aber Immigration ist absolut wesentlich. Für ein Land mit relativ junger Bevölkerungsstruktur wie Großbritannien vielleicht nicht ganz so sehr wie für Deutschland. Gleichwohl will man sich aussuchen, wen man ins Land lässt. Ein Punktesystem wie in Australien ist keine so schlechte Idee, also dass man Migranten nach Punkten für Ausbildung, Sprachkenntnis etc. auswählt.

Was bringt das Errichten von Zäunen?
Das erscheint mir wenig sinnvoll in einer globalisierten Welt. Aber man muss sich schon fragen, ob man einer Gesellschaft wie in Deutschland oder Österreich wirklich zumuten kann, Millionen von deutlich "anderen" Einwanderern absorbieren zu müssen, die sich -im Gegensatz zu früheren Immigrationsströmen -auch gar nicht integrieren wollen.

»Beim Thema Einwanderung hat sich mein Vater über Jörg Haider lustig gemacht«

Was macht den Unterschied?
Mein Vater hat sich immer über Jörg Haider lustig gemacht, weil der gesagt hat: "Wir sind kein Einwanderungsland." Zugleich fanden sich in der Regierung viele Namen wie Lacina, Vranitzky oder Sinowatz. Die Einwanderung in Österreich kam aber doch in erster Linie aus den Ländern der alten Monarchie, fast durchwegs christlich, mit ähnlichen Werten, kulturellen Interessen. Das kann man von den Muslimen sicher nicht behaupten. In den meisten arabischen Ländern gibt es ja praktisch seit 300 Jahren keine nennenswerte wirtschaftliche, technologische oder soziale Weiterentwicklung. Und dabei zählten die Araber in der Antike zu den fortschrittlichsten Volksgruppen. Ein interessanter Widerspruch. Mit solchen historischen Themen möchte ich mich etwas genauer befassen, wenn ich das Beteiligungsgeschäft einmal an den Nagel hänge.

Drei Viertel der unter 30-Jährigen haben für Europa gestimmt. Die Alten haben entschieden. Ist das richtig?
Sicher sollte die Jugend über ihre Zukunft bestimmen. Die jungen Leute haben sich das Ergebnis aber auch selbst zuzuschreiben, weil nur 32 Prozent von ihnen zur Wahl gegangen sind. Bei den über 60-Jährigen waren es dagegen an die 80 Prozent.

Ist es überhaupt gescheit, in einer für die Zukunft eines Landes so bestimmenden Causa das Volk entscheiden zu lassen?
Das ist eine berechtigte Frage, aber wir haben nun mal die Demokratie. Es ist schon so, wie Winston Churchill einmal gesagt hat: Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, mit Ausnahme aller anderen Alternativen.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon will jetzt ihr Volk noch einmal über die Zugehörigkeit zum United Kingdom abstimmen lassen.
Das sind alles leere Drohungen und typisch für das Verhalten der SNP, der Partei von Frau Sturgeon. Die Mehrheit der Schotten will das nicht, und Schottland könnte sich das gar nicht leisten, jedenfalls nicht bei einem Ölpreis unter 100 Dollar je Barrel (derzeit sind es ca. 40 Dollar, Anm. d. Red.).

Ist das ein Resultat der ökonomischen Ungleichheit, die sich europaweit vergrößert hat?
Die Polarisierung der Bevölkerung hat nichts mit dem Brexit zu tun. Themen wie er bringen das aber ans Tageslicht. Die britische Bevölkerung ist tief gespalten, das trifft aber auch auf andere westliche Demokratien zu. Denken Sie an das Trump-Phänomen, das ja sonst unerklärlich wäre. Vielleicht ist das alles ein Ergebnis der Globalisierung. Es gibt eben viele Menschen, die vom Fortschritt zurückgelassen wurden oder sich zumindest so fühlen, und deren Stimme hören wir jetzt.

Was bedeutet der Brexit für den Finanzplatz London? Da stehen schon andere Börsen wie Frankfurt, Paris, aber auch Wien quasi als Krisengewinnler bereit.
Wäre ich ein amerikanischer Investmentbanker, so würde ich eher nach Wien ziehen, wenn es um die Lebensqualität geht, als nach Frankfurt oder Paris. Aber das ist so einfach nicht. Für internationale Geschäftsbanken -und davon reden wir hier im Wesentlichen - ist London so wichtig, weil es hier die beste Infrastruktur mit Wirtschaftsprüfern, Anwälten, Versicherungsspezialisten und so weiter gibt. Internationale Kredit-und Wertpapierverträge sind vorwiegend nach britischem Recht gestaltet, das wiederum dem des Staates New York sehr ähnlich ist, und das kennen die Amerikaner natürlich. Außerdem hat England wahrscheinlich die besten Schulen der EU, ein großartiges Kulturangebot, gute Restaurants und eine tolle Partyszene. London ist eine Hetz, Frankfurt vergleichsweise eher fad.

Hat sich der Brexit auf Ihre Geschäfte als Investor ausgewirkt?
Unsere Beteiligungsunternehmen werden vom Brexit kaum beeinflusst, allenfalls muss man sich auf den schwachen Pfundkurs einstellen. Wir planen daher auch keine Umschichtungen im Portfolio. Im Fundraising könnte sich der eventuelle Verlust des sogenannten EU-Passports aber negativ auswirken, weil der uns erlaubt, in sämtlichen EU-Ländern wie im Inland zu agieren. Das ginge dann nicht mehr, aber ich denke, der zusätzliche administrative Aufwand wird verkraftbar sein.

Wie laufen die Geschäfte insgesamt?
Wir haben schon mehr gelacht. Wir waren im letzten Jahr und auch in diesem Jahr leicht im Minus, das hat aber mit dem Brexit nichts oder wenig zu tun. Der Hauptgrund dafür war der Verfall der Rohstoffpreise. Aber das operative Geschäft, insbesondere bei den europäischen Beteiligungen, ist stabil.

»Herr Grasser hat die in ihn gesetzten hohen Erwartungen nicht ganz erfüllt«

Sie waren bei der Meinl International Power (MIP) im Aufsichtsrat und halfen mit, Investorengeld für Energieprojekte zu sammeln. Was ist da schiefgelaufen?
Wir haben in einem schwierigen Umfeld 500 Millionen Eu ro von internationalen Anlegern aufgenommen. Ich dachte, dass es ein gutes Anlagekonzept war, und dazu stehe ich auch heute noch. Die Veranlagung dieser Gelder in Energieprojekte verlief dann allerdings etwas schleppend. Dafür war in erster Linie Herr Grasser (Karl-Heinz, Anm. d. Red.) zuständig, und er hat die in ihn gesetzten hohen Erwartungen dann doch nicht ganz erfüllen können.

Und dann haben Sie die MIP verloren.
Der Börsenkurs war unter dem inneren Wert, und das Vermögen der Gesellschaft bestand ja weitgehend aus Barguthaben. Vereinfacht gesagt konnte man 10 Euro Bargeld für 8,50 oder 9 Euro erwerben. Einige Geierfonds haben das spitzgekriegt, eine Art feindliche Übernahme inszeniert und das Unternehmen einfach liquidiert. Ich wurde in einer Hauptversammlung aus dem Aufsichtsrat geworfen, Grasser und Hans Haider aus dem Vorstand. Schade, aber das ist eben Kapitalismus.

Gab es einen anderen Fall, wo Sie sagen: Da ist mir etwas nicht gelungen?
Natürlich gibt es immer wieder Investitionen, die nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hat. Meine Partnerschaft mit Herrn Eliasch in der Firma Head war enttäuschend. Ansonsten bin ich aber ganz zufrieden.

Da waren Sie ja indirekt auch in Österreich tätig. Wollten Sie nie nach Österreich zurück?
Nicht wirklich. Ich bin oft und gerne in Österreich und fühle mich unter anderem auch als Österreicher. Aber ich habe zwei Drittel meines Lebens in der angloamerikanischen Welt verbracht und fühle mich dort auch zu Hause. England ist viel weltoffener als Österreich.

Welchen Kandidaten ziehen Sie bei den österreichischen Präsidentschaftswahlen vor?
Ich habe beim ersten Mal nicht gewählt und werde es auch beim nächsten Mal nicht tun. Vor dieser Entscheidung drücke ich mich. (schmunzelt) Der weniger kontroversielle Kandidat für das Ausland ist sicher Alexander Van der Bellen. Über Norbert Hofer weiß ich zu wenig. Ich glaube nicht, dass ich in wirtschaftlichen oder sozialen Themen mit Herrn Van der Bellen einer Meinung bin, aber seine Ansichten sind wenigstens bekannt. Herr Hofer ist für mich ein total unbeschriebenes Blatt. Alles, was ich über ihn weiß, ist, dass er Kornblumen am Revers trägt -das hat er übrigens mit Prinz Charles gemeinsam -, und ich habe Youtube-Clips gesehen von flammenden Reden mit deutschnationalem Inhalt, die Hofer in Südtirol hält. Das stößt einem sauer auf. Aber ob er als Bundespräsident wirklich so eine Katastrophe wäre und ob man sich jetzt auf die Gefahr einer "Reichskristallnacht" einstellen muss, das weiß ich auch wieder nicht. Für die Zukunft der westlichen Zivilisation ist es wahrscheinlich relativ bedeutungslos, wer in Österreich Bundespräsident wird.

In Brüssel, Berlin und Paris wird diskutiert, ob Italien den in die Krise geratenen Banken helfen darf. Die neue Bankenunion sieht das sogenannte "Bail-in" vor, also müssten die Gläubiger zahlen. Darf man da eine Ausnahme machen? Warum kann man eine Bank nicht in die Pleite schicken?
Das haben die USA ja vorgemacht. In der EU dagegen wäre die Signalwirkung gewaltig. Die faulen Kredite im europäischen Bankensystem, vor allem in Italien, Frankreich und Deutschland, sind gar nicht wirklich erfassbar und quantifizierbar. Daher hätte eine Pleite einer bekannten italienischen Bank einen Dominoeffekt und unabsehbare Konsequenzen. Sie könnte letztendlich auch französische und deutsche Banken mitreißen.

Also doch Sozialisierung der Verluste? Wo bleibt da der Neoliberale?
Es muss eine gewisse Interessenabwägung geben. Die Auswirkungen einer größeren Bankenpleite in einem so wichtigen Land wie Italien sind nicht abzusehen. Das könnte Jobs in ganz Europa gefährden und zu einer Krise führen, die noch tiefer als die Finanzkrise 2008 ginge.

Was ist in Europa zu tun? Was wird die Zentralbank machen?
Pray and delay (Beten und abwarten, Anm. d. Red.). Die Überschuldung in Europa wird an die nächste Generation weitergereicht werden. Viele faule Kredite und die Niedrigzinspolitik der Zentralbank haben zum Auswachsen dieser Schuld geführt. Hinzu kommt, dass die öffentlichen Pensionsvorsorgesysteme etwa in Deutschland und Österreich unterfinanziert sind. Der Euro war grundsätzlich ein Fehler historischen Ausmaßes, und das Festhalten am Euro um jeden Preis ist zwar politisch verständlich, aber sachlich nicht zu rechtfertigen. Ohne eine Fiskal-und Bankenunion wird der Euro langfristig nicht zu halten sein.

Ihr Bruder Andreas, der Chef der Erste Group in Österreich, ist beim Euro allerdings ganz anderer Meinung.
Stimmt. Von dieser Fehleinschätzung abgesehen bin ich aber ein großer Bewunderer meines Bruders. Er hat aus einer losen Vereinigung von österreichischen Sparkassen ein Institut von europäischem Format gemacht. Ich fand es besonders unfair, dass er in der Presse mit den "gierigen Bankern" in einen Topf geworfen wurde. Er ist der Versuchung widerstanden, irgendwann abzuspringen und Vice Chairman irgendeiner Investmentbank zu werden, um dort Millionen zu verdienen. Dabei hätte er sicher mehrere Gelegenheiten dazu gehabt. Aber seine Aufgabe bei der Ersten war ihm wichtiger.

Was halten Sie von dem Expertenvorschlag, den Weg eines Europas der zwei Währungsgeschwindigkeiten einzuschlagen?
Eine EU oder zumindest eine Eurozone mit zwei Geschwindigkeiten macht noch einen gewissen Sinn. Wahrscheinlich bräuchte man sogar ein Europa der drei oder vier Geschwindigkeiten. Das sehen viele Wirtschaftswissenschafter und Politiker auch so, aber der Weg von der Problemerkenntnis zur praktischen Lösung ist weit. Es fehlen der politische Mut und wohl auch die Durchsetzungskraft, wirkliche Veränderungen herbeizuführen -nach dem Motto: Es brennt ja nix, es gibt auch nix zu löschen.

Was bedeutet Geld für Sie?
Geld ist kein Endziel, aber man kann sich damit ein schönes Leben machen. Als professioneller Investor verdiene ich ja nur dann, wenn meine Anleger mit mir Gewinne machen. Und zwar nicht bloß auf dem Papier, sondern realisierte Gewinne, das heißt, die Anleger haben Kassa gemacht. Bloße Kursgewinne reichen nicht - im Gegensatz zu einem Wertpapierhändler, der seinen Bonus einsteckt, wenn seine Positionen zum Jahresende im Wert gestiegen sind, diesen aber nicht zurückgeben muss, wenn sie dann wieder fallen.

Was ist Gerechtigkeit?
Ich bin ein gemäßigter Neoliberaler und finde, ein Moralkodex oder Wertesystem ist absolut essenziell für ein System wie den Kapitalismus. Gerade wenn man gewisse Startprivilegien hatte und das System genutzt hat, um sein Vermögen zu mehren, dann muss man die Anständigkeit haben, etwas zurückzugeben. Das will ich mir aber nicht vom Staat vorschreiben lassen, sondern selber entscheiden.

Michael Treichl
Der 1948 geborene Wiener hat wie sein vier Jahre jüngerer Bruder Andreas die Bankerkarriere eingeschlagen. Damit blieb er in der Familientradition: Vater Heinrich (1913-2014) war unter anderem Vorstandsdirektor der Creditanstalt. Michael schloss sein Studium an der Harvard Business School 1975 ab und arbeitete als Investmentbanker in den USA. Anfang der 1990er- Jahre ging er nach London und Düsseldorf, wo er ins Beteiligungsgeschäft einstieg; unter anderem verwaltet er das Vermögen der US-Stahlindustriellenfamilie Bessemer. Treichl lebt mit Frau Emma und zwei Kindern in London und auf seinem Schloss Parnham House in Dorset.

Kommentare

Gabe Hcuod

Dass Begriffe wie "Bankerdynastie" überhaupt existieren, sollte vielen zu denken geben.

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