Michael Spindelegger tritt zurück

Überraschende Pressekonferenz: Vizekanzler legt alle Ämter nieder

von
Regierung - Michael Spindelegger tritt zurück

In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Finanzministerium begründete Vizekanzler Michael Spindelegger seinen Rücktritt mit der aktuellen Steuerreformdebatte. Hier habe er Loyalität und Paktfähigkeit vermisst. "Loyalität und Paktfähigkeit fordere ich von allen ein, auch vom Regierungspartner." "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo ich mir schuldig bin, diesen Schritt zu setzen", begründete Spindelegger seinen Rücktritt. Die Entlastung der Steuerzahler sei nötig, aber "zum richtigen Zeitpunkt", so der Finanzminister mit Verweis auf den nach wie vor hohen Staatsschuldenstand.

Kollegen auf "Populismuszug"

Die unterschiedlichen Standpunkte zur Steuerreform mit dem Koalitionspartner hätte er noch durchgestanden, erklärte der scheidende Vizekanzler, aber auch aus der eigenen Partei würden nun jene die Oberhand gewinnen, die "auf den Populismuszug" aufspringen. "Wenn der Zusammenhalt nicht mehr da ist, ist auch der Moment gekommen, das Ruder zu übergeben", meinte Spindelegger bei der Pressekonferenz.

Eine Steuerreform jetzt wäre nur mit neuen Schulden oder neuen Steuern möglich, das sei für ihn nicht gangbar, betonte Spindelegger. Alle Regierungsmitglieder, Landeshauptleute und Abgeordnete würden die Zahlen zum Schuldenstand kennen. "Ehrlichkeit gegenüber den Menschen ist mir besonders wichtig."

"Sicher keine einfachen" Jahre

Über seine Jahre an der Parteispitze resümierte Spindelegger, dass diese "sicher keine einfachen" waren. Er hob allerdings u.a. ein respektables Ergebnis bei der Nationalratswahl und die Bestätigung des ersten Platzes bei der EU-Wahl unter seiner Führung hervor. Auch mit seinen Leistungen im Finanzressort ist Spindelegger "durchaus zufrieden".

© Profil Walter Wobrazek Wahlplakat Nationalratswahl 2013

Er habe sicher Fehler gemacht und den einen oder anderen vielleicht beleidigt, gekränkt oder verletzt, dafür wolle er sich entschuldigen. Dies sei sein letzter Auftritt vor den Medien, sagte Spindelegger, bevor er sich - ohne Fragen zuzulassen - verabschiedete. Seine Nachfolge blieb damit vorerst offen. Erhard Busek brachte aber sofort Erwin Pröll ins Gespräch. "In der Situation müsste der Pröll übernehmen, vom 'Standing' her die gewachsene Figur, der eine gewisse Stärke repräsentiert", so Busek. "Im Krisenmanagement muss man eine starke Figur nehmen und nicht einen, der von der einen Ecke in die andere geschupst wird", so der ehemalige ÖVP-Bundesobmann und Vizekanzler. Erwin Pröll sei "für diese Übergangssituation die beste Lösung. Er sollte "für eine gewisse Zeit die Dinge neu ordnen". Die Neuausrichtung der ÖVP könne einer am besten einleiten, "der nicht mehr so den großen Ehrgeiz hat".

Faymann nimmt Stellung

Bundeskanzler Werner Faymann wurde nach Angaben seiner Sprecherin Dienstagfrüh von Michael Spindelegger über dessen bevorstehenden Rücktritt informiert. Er sieht die Koalition durch den Rücktritt von Vizekanzler Spindelegger nicht gefährdet. "Ich gehe davon aus, dass die Koalition bis 2018 hält", so Faymann. Dennoch gibt sich der Kanzler überrascht: "Ich habe schon immer wieder bemerkt, dass der Vizekanzler und Finanzminister sehr belastet war von den schwierigen Aufgaben, die er zu bewältigen hat".

Die Regierung habe das Land gut durch die Wirtschaftskrise geführt, die Anstrengungen aus der Krise herauszukommen, seien aber "ganz besondere". "In dieser Situation hatte Michael Spindelegger eine harte Arbeit zu leisten", sagte Faymann. Er lobte Spindelegger dafür, dass er "sehr beharrlich" bei der Budgetstabilität, der Erreichung der Budgetziele oder der Diskussion über das Bankenwesen viele Maßnahmen gewagt habe, die Österreich auf den Weg der Stabilität gesetzt hätten.

Die parteiinterne Kritik an Spindelegger war in den vergangenen Wochen immer lauter geworden. Mehrere schwarze Landeshauptleute hatten den Kurs der Bundespartei kritisiert und mehr Tempo bei der Steuerreform gefordert. Am Vortag des Rücktritts hatte etwa der Tiroler Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl medial dezidiert den Rücktritt von Parteichef Michael Spindelegger gefordert.

Verständnis von Pröll

Die Entscheidung von Michael Spindelegger komme "nicht überraschend, ich verstehe sie und respektiere sie", meinte Erwin Pröll. Spindelegger habe unter schwierigen Bedingungen im April 2011 die Verantwortung als ÖVP-Obmann übernommen. "Vor allem aber hat er schwierige Probleme im Finanzressort übernommen und dabei für vieles den Kopf hingehalten, wofür er aber schon gar nichts konnte", betonte Pröll. Spindelegger habe sich mit ganzer Kraft und Persönlichkeit für Österreich eingebracht und in einem schwierigen finanziellen Umfeld die Republik auf Kurs gehalten. "Die Volkspartei Niederösterreich dankt ihm für seine ehrliche Arbeit", so Pröll.

Der oberösterreichische ÖVP-Obmann Landeshauptmann Josef Pühringer bedauerte in einer ersten Reaktion den Rücktritt von Spindelegger und zeigte sich "betroffen", denn dieser sei ein "exzellenter Sachpolitiker" gewesen. "Das ist keine einfache Situation, aber wir werden sie meistern müssen", kommentierte Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl den überraschenden Rücktritt. Verständnis für den Rücktritt hat der burgenländische ÖVP-Obmann Franz Steindl geäußert. Steindl sprach von "schlechtem Stil" und einer "scheibchenweisen Demontage" Spindeleggers durch "einige Persönlichkeiten in der ÖVP, die es eigentlich besser wissen sollten." Wiens ÖVP-Landesparteiobmann Manfred Juraczka hat sich für Spindeleggers Arbeit und "seinen großen Einsatz für unser Land" bedankt. Spindelegger habe bis zuletzt für seine Überzeugungen gekämpft und sei sich immer treu geblieben, so Juraczka.

"Na Schreck!"

Zu großer Verwunderung hat die Entscheidung von Michael Spindelegger bei NEOS-Chef Matthias Strolz geführt. "Na, schreck, ich bin völlig überrascht". "Ich hoffe, die ÖVP schafft eine geordnete Übergabe, das wäre für das Land wichtig und begreift es als Chance zur Erneuerung", so Strolz. Für die Übergabe sei ein "solider Prozess" notwendig. Grünen-Chefin Eva Glawischnig sieht nun die Chance, dass die ÖVP ihren "Kurs als Hauptblockierer" korrigiert. Spindelegger habe gerade bei der Steuer- sowie Bildungsreform "extrem konservative Hardliner-Positionen" bezogen. Anzurechnen sei Spindelegger, dass er nach der Nationalratswahl neue, interessante Persönlichkeiten in die Regierung geholt habe, mit wenig Rücksicht auf die Proporzwünsche - dafür zahle er jetzt auch sicher den politischen Preis, ist Glawischnig überzeugt.

ÖVP.at nach Spindelegger Rücktritt
© Screenshot oevp.at Die Onlineseite der ÖVP-Seite

Wer nach dem Rücktritt einen Blick auf die Seite der ÖVP warf, entdeckte nur einen Hinweis, die Seite wäre überlastet. Interessantes Detail: Wählte man direkt die Unterkanäle der Internetseite an, funktionierte diese jedoch problemlos.

SPÖ hofft auf baldige Nachbesetzung

Regierungsmitglieder der SPÖ hoffen auf eine baldige Nachbesetzung. Sowohl Sozialminister Rudolf Hundstorfer, als auch der neue Infrastrukturminister Alois Stöger und Staatssekretärin Sonja Steßl zeigten sich vor dem Ministerrat überrascht über die plötzliche Personalentscheidung beim Koalitionspartner. Stöger hofft, dass vor allem der wichtige Posten des Finanzministers rasch nachbesetzt wird. "Ich gehe davon aus, dass das bald abgeschlossen ist", setzt er auf den internen Prozess bei der ÖVP.

"Ich hoffe auf eine rasche Nachbesetzung", meinte auch Staatssekretärin Steßl. Auf das Finanzministerium kämen mit der von der SPÖ forcierten Steuerreform "sehr große Herausforderungen" zu. Dies sei eines der Leitprojekte der Koalition. Den Schritt Spindeleggers wollte Steßl nicht näher kommentieren. Es handle sich dabei um eine "persönliche Entscheidung des Herrn Vizekanzlers". "Es ist eine Entscheidung und er wird die Gründe dafür haben", kommentierte Hundstorfer den Rücktritt. "Ich nehme an, er hat es sich nicht leicht gemacht." Ein drohendes Ende der Koalition sieht der Sozialminister nach wie vor nicht. Es gebe lediglich Auseinandersetzungen in Sachfragen, wie zuletzt beim Thema Steuerreform.

© News Herrgott Ricardo Schifffahrt im Salzkammergut 2012

Laut Faymann will man sich bei der Nachfolge aber nicht einmischen: "So wie die ÖVP völlig fair gesagt hat, das ist Sache des Koalitionspartners (bei der Nominierung der neuen SP-Minister, Anm.), sage auch ich natürlich, die Nominierung eines Vizekanzlers und Finanzministers ist Sache des Regierungspartners, die von mir zu akzeptieren ist." Er gehe prinzipiell davon, dass es der Regierung gelingen werde, wichtige Fragestellungen in der Zukunft zu bewältigen, "wenn es geht, besser".

Schnelle Nachfolge wirtschaftlich notwendig

Die Märkte und Ratingagenturen dürften jedenfalls kaum reagieren, wenn die Nachfolge rasch geregelt wird, sagte IHS-Chef Christian Keuschnigg in einer ersten Reaktion. Dem Nachfolger Spindeleggers wünscht Keuschnigg "einen klaren wirtschaftspolitischen Kompass".

Der jetzige Finanzminister hatte "zwei Probleme" und musste einen "Vielfrontenkrieg" zwischen wirtschaftlichen Sachentscheidungen und politischen Querelen führen. Wobei die Schwierigkeiten innerhalb der ÖVP, "die müssten ja nicht sein", meint Keuschnigg. "Vielleicht hat die ÖVP ein spezielles Problem", aber in der SPÖ sei der Bundeskanzler auch Parteivorsitzender und das funktioniere. Grundsätzlich fände es Keuschnigg gut, wenn der nächste ÖVP-Chef auch in einem Schlüsselministerium sitzt.

ÖVP tagt ab 19:00

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat nach dem Rücktritt von Vizekanzler und Parteichef Michael Spindelegger auf eine rasche Klärung des weiteren Vorgehens gedrängt. Dies sei nötig, um "die Handlungsfähigkeit der Regierung sicherzustellen", sagte Mitterlehner vor dem Ministerrat, wo er als Sprecher des verbleibenden ÖVP-Regierungsteams fungierte. Der Parteivorstand wird laut Mitterlehner noch am Dienstag zusammentreten, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Besprechen wird man dabei laut Mitterlehner auch die weitere Vorgehensweise in der Steuerreform, also die Frage, ob man einen "Sparkurs" oder einen "Offensivkurs" fahren wolle. Die Umsetzung werde dann Sache des neuen Finanzministers sein, betonte Mitterlehner: "Wir werden das in den nächsten Stunden präzisieren." Zurückhaltend zeigte sich der Wirtschaftsminister auf die Frage, ob er selbst Parteiobmann werden könnte: "Bei uns ist üblich, dass wir das intern diskutieren."

Spindelegger war seit 2011 Vizekanzler und ÖVP-Obmann. Dem Finanzministerium stand er seit Dezember 2013 vor.

Kommentare

Ein weiteres Bauernopfer einer Partei die ohnehin dem Untergang geweiht ist. Kanonenfutter nannte man das früher.

Ja Scherbenhaufen ala Hypo hinterlassen und dann davonrennen, bravo! So hat es Schüssel und Josef Pröll auch gemacht. Schnell die Hypo zurückkaufen, die haben wir ja gebraucht, dank Josef Pröll!
Spindi wird schnell einen Posten bei Raiffeisen bekommen und
wir erben den Scherbenhaufen! Wann werden diese Politiker endlich
haftbar gemacht für ihr Tun!

10 Jahre ohne tiefgreifende Reform in der Verwaltung und wir sind pleite wie Griechenland! 80% Verschuldung von BIP sagt eh alles aus!

melden

Überraschend ists jedenfalls sicher nicht. Aber er geht von selbst, Steine nachzuwerfen steht hier nicht dafür und Reisende soll man nicht aufhalten.

Nudlsupp melden

Ne, weder überraschend, aber eigentlich auch egal. Die Rot-Schwarzen Strukturen sind so manifestiert daß sich nichts ändert. Außer der gefährliche Aufstieg von rechts außen, der das nächste Mal wohl wirklich ernsthaft um das Kanzleramt kämpfen wird.... mittlerweile müsste man wohl sagen...tu infelix austria....

melden

Ah, auch wieder mal im Lande, schön;-)

Ja schon richtig, Strache kriegts zugetrieben. Ich denke Rote wie Schwarze haben sich zu lange von Populisten vor sich hertreiben lassen und wer nur mehr auf Meinungsumfragen schaut und keine eigenen Ideen mehr präsentiert ist ausgebrannt, das ist keine Frage einzelner Personen und der Kopf am Pfahl hat auch den Konservativen nie wirklich geholfen. Und auch wenn einst ein Zurückdrängen von Ideologie gefordert wurde, eine neue Beliebigkeit des heute so, morgen anders hat sich wohl niemand gewünscht. Und eine Position darf man durchaus aufgeben, wenn das Gegenüber bessere Argumente hat aber nicht, weil der Wind einem gerade umfragetechnisch ins Gesicht bläst. Denn ein Handeln auf solcher Basis lässt sich durch einen Computer und ein paar Sozialforscher auch exekutieren, dazu brauchts keine Politiker.

Naja, schau ma mal was wird.

Ist doch völlig egal wer von denen ob überraschend oder auch nicht zurücktritt. Die sind alle samt und sonders ohne Mühe ersetzbar. Und nun wird wieder das Gedränge um den Trog losgehen! Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser!

Für Faymann wäre es eine gute Gelegenheit auch einmal über einen Rücktritt nachzudenken.

xillomirko melden

Für mich ist das keine Politbombe sondern eher ein Rohrkrepierer oder besser noch ein BLINDGÄNGER:

christian95 melden

Sollte wirklich Mitterlehner kommen, der ist ein noch größerer "Rohrkrepierer". (Blindgänger)
So wie einmal bei Gusenbauer, da jubelten auch viele Menschen, danach kam Faymann, nun lacht niemand mehr über Gusenbauer. (Hätten wir heute nur einen "kleinen" Gusenbauer!)

amnesix melden

So habe ich das gern, zuerst groß die Goschen aufreißen, dann nichts zusammenbringen und wenn der Hut in Flammen steht, abhauen und sich aus allen Ämtern schleichen !
Typisches Politikverhalten eines ÖVP-Politikers, wie man es ja weiß ...
Armes Österreich - und die nächste Niete wird folgen .....

christian95 melden

Nun steht im eine fürstliche Ministerpension zu. Vielleicht folgt er seiner Frau nach Brüssel um noch mehr Steuergeld zu scheffeln. Die Gier solcher Leute ist manchmal grenzenlos.

Das sollen unsere Volksvertreter sein? Schulden, Hypo und davonlaufen! Pfui Teufel Spindi, Josef Pröll und Konsorten!

Endlich haben Sie die prekäre Budgetlage einmal aufgeklärt. Mit Ehrlichkeit kommt man scheinbar in der Politik nicht weiter. Bravo Herr Ex-VK, dass Sie zurückgetreten sind, denn bei solchen Parteifreunden wäre ich schon lange gegangen. Wünsche das Beste für Ihre Zukunft!

Seite 1 von 3