Liebe, Verfall, Tod

Das in Cannes ausgezeichnete Werk "Liebe" gilt als Oscar-Favorit. Das Interview.

von
Michael Haneke - Liebe, Verfall, Tod

Mit dem stillen, gleichwohl gewaltigen Kammerspiel um die gnadenlose Vergänglichkeit des Lebens, exzellent besetzt und inszeniert, gelang dem österreichischen Weltregisseur in seinem 70. Jahr Unerhörtes: Zum sechsten Mal nach Cannes eingeladen, errang er nach „Das weiße Band“ abermals die Goldene Palme und gilt in Fachkreisen als hochseriöser Kandidat für den Oscar, mit dessen Erringung ihn die Heimat soeben beauftragt hat. Erst Palme, dann zum Oscar.

Tatsächlich ist das, ungeachtet der internationalen Besetzung mit Jean-Louis Trintignant an der Spitze, auch ein sehr österreichischer Film. Die zu Tode traurige Schicksalsgemeinschaft zweier hochkultivierter pensionierter Klavierlehrer erfüllt sich in einer Wohnung, die jener von Hanekes Eltern nachempfunden ist, wie er im NEWS-Interview sagt. Mit stetig wachsender Erschütterung begleitet man Anne (Emmanuelle Riva), die nach einem Schlaganfall zum Pflegefall wird. Ihr Zustand verschlechtert sich. Georges (Jean-Louis Trintignant) leistet verzweifelt selbstaufopfernden Widerstand gegen das Unabwendbare. Dann soll die geliebte Frau auswärtiger Pflege überantwortet werden. Die im Ausland lebende Tochter (fabelhaft: Isabelle Huppert), ratlos am Rand stehend, wurde das Problem am liebsten durch Hospitalisierung losen.

Haneke zu NEWS: „Jede Generation entwickelt das für sie bestmögliche Lebenskonzept, je nach aktuellen Umstanden. Das Interessante und gleichzeitig Traurige daran ist, dass damit immer mehr Kommunikationsprobleme entstehen, ein permanenter Konfliktherd und immer auch eine Abkehr. Die ältere Generation ist diejenige, die sich aus der Welt zurückzieht, weil sie mit den Veränderungen nicht mehr umgehen kann. Ich persönlich kann natürlich nur einen Film über jene Generation machen, mit der ich selbst vertraut bin.“

Österreichischer Alptraum

Die österreichischen Zustande erklärt er für fatal: „Unsere Gesellschaft ist so strukturiert, dass man ein Millionär sein muss, wenn man zum Pflegefall wird, damit man sich die Pflege leisten kann. Obwohl Osterreich ein sogenannter Sozialstaat ist, sind Personen in so einem Fall meist gezwungen, ihr Zuhause, ihre vertraute Umgebung, wo sie sich sicher und geborgen fühlen, zu verlassen und sich zum Beispiel in ein Heim zu begeben. Das ist ein schrecklicher Prozess, ein Alptraum für jeden.“ Die Schauspieler allerdings sind französisch, ebenso wie das Budget: Nur zehn Prozent wurden in Osterreich generiert, selbst Deutschland trug mehr zur Finanzierung bei. Haneke, dennoch loyal: „In Cannes lief ,Amour‘ dennoch als österreichischer Film. Mir ist das recht, denn ich fühle mich dem hiesigen Kino sehr verpflichtet. Ich verdanke meine Karriere auch der einstmals experimentierfreudigen Austro- Filmforderung. Ich sehe ,Amour‘ als österreichisches Werk.“

Haneke halt neben seinem Wiener Wohnsitz auch ein Appartement in Paris und erwarb kürzlich Schloss Meires im Waldviertel. Seine Filme dreht er, je nach Koproduktionslage, entweder auf Deutsch oder auf Französisch. Schreibt er auch die Drehbücher in der jeweiligen Sprache? „Nein, niemals, ich schreibe immer auf Deutsch und habe meinen langjährigen Übersetzer, mit dem ich das Skript Satz für Satz durchgehe. So viel Französisch kann ich, dass ich beurteilen kann, ob die Übersetzung auch genau das ausdruckt, was ich sagen wollte, auch weil meine Dialoge ja immer einem bestimmten Milieu entstammen, das ebenso in die andere Sprache transportiert werden soll. Aber ich bin nicht in der Lage, einen französischen Dialog zu schreiben.“

Für die Verhältnisse des radikalen Meisters ist „Amour“ ungewohnt sanft geraten, mit mehr Zärtlichkeit und Empathie für die Personen, wie die Kritik anmerkte. Weit weg von den schockierenden Diagnosen der Entmenschung, für die er berühmt wurde. Das weist er zurück: „Nein, in allen meinen Filmen herrscht die gleiche Empathie für die Figuren, und bis auf ,Funny Games‘ habe ich noch nie einen Film gemacht, um zu provozieren. Wenn ich einen Dialog schreibe, muss ich mich in meine Figuren einfühlen können, sonst werde ich sie nicht reden lassen können.“ Zumutungskino. „Amour“ ist dennoch schockierender als Gewaltzelebrationen wie „Funny Games“.

Die bestürzende Wahrhaftigkeit kommt wohl auch aus persönlich Erlebtem. Und selten wurden Tabus derart schonungslos gebrochen wie hier: wenn Anne gewickelt werden muss; wenn Georges zuschlagt, weil sie beim Futtern bockt; bis zum grausamen Ende, als es zum Ausersten kommt. Das Kritikerprädikat „Zumutungskino“ trage er folgerichtig weiterhin mit Stolz: „Dagegen habe ich gar nichts, weil ich glaube, dass Kunst eine Zumutung sein sollte. Kunst versucht, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen – und die Wirklichkeit ist ja eine Zumutung, das tägliche Leben ist auch eine Zumutung. Wenn Kunst den Namen verdient, muss sie eine Zumutung sein. Das heißt ja nicht, dass ich jemandem ununterbrochen auf die Zehen steigen soll, aber wenn ich etwas sagen will, das jemand hören soll, aber bemerke, dass niemand zuhört, dann muss ich eben Mittel finden, dass die Leute zuhören.“

Eigene Schmerzerfahrung

Was brachte ihn dazu, sich dem Tabuthema des Altwerdens zu diesem Zeitpunkt zu nähern? Hanekes nüchterne Replik: „Weil ich, fast wie jeder heutzutage, natürlich auch in meiner Familie mit Leiden konfrontiert war, dem ich hilflos zusehen musste. Das war eine sehr schmerzvolle Erfahrung, und sie hat mich dazu gebracht, mich damit filmisch auseinanderzusetzen. Es gibt niemanden, der nicht von diesem Thema in seinem eigenen Leben betroffen ist. Alt wird jeder, der Verfall im Alter ist ein Thema, das wirklich jeden einmal betrifft. Und trotzdem verbannt die Gesellschaft alles, was mit ,alt‘ zu tun hat, aus dem Gesichtskreis, es findet alles hinter verschlossenen Türen statt, das ist schrecklich. Aber es ist, wie es ist, auch dieser Film wird das nicht ändern.

Die Verhältnisse sind, wie sie sind, die Frage ist nur: Wie gehe ich als Individuum damit um?“ Der Wohnung, in der sich das Kammerspiel erfüllt, wird im Film beinahe eine eigene Rolle zugedacht. Weshalb? „Der Grundriss des Appartements ist die Wohnung meiner Eltern in Wien, den wir nach Paris transferiert und entsprechend französisch eingerichtet haben. Es fällt mir beim Schreiben leichter, einen konkreten Ort vor Augen zu haben. Dadurch fallen mir bestimmte Dinge ein. Wenn ich zum Beispiel weiß, wie lang der Weg von der Küche ins Schlafzimmer dauert, ergeben sich daraus bestimmte Gegebenheiten und damit Ideen. Das ist sehr praktisch.“

Neuer Film übers Internet

Stimmt es, dass sein nächster Film von den Abgründen der virtuellen Kommunikation handeln soll? „Ja, aber nur am Rande. Vor allem wird der Film wieder von Menschen und Moral erzählen. Aber weil das Internet aktuell ja eine entscheidende Kommunikationsrolle spielt, wird es auch darum gehen, allerdings nur um ein kleines Segment dieses riesigen Themas.“ Und wie verfährt der Meister selbst mit den neuen Kommunikationstechniken? „Mir persönlich ist das Internet ein Verkehrsmittel für meine tägliche Post und zur schnellen Informationsgewinnung. Ich misstraue aber dem Wahrheitsgehalt dieser Information. Wie ich übrigens auch den Fernsehnachrichten misstraue. Der einzige Teil der Nachrichten, an den ich halbwegs glauben kann, ist der Wetterbericht.“ Sagt der Herr der grausamen Wahrheiten.

Kommentare