Blauer Sturm, türkisgrüne Starrheit, roter Stillstand

Der Stiftungsrat des ORF setzt einen einmaligen Schritt zur Selbsthygiene gegen immer dreistere FPÖ-Attacken. Nur vier von SPÖ-Gnaden agierende Rundfunkhüter machen nicht mit. Doch Abwarten ist die falsche Taktik gegen Frontalangriffe

von Medien & Menschen - Blauer Sturm, türkisgrüne Starrheit, roter Stillstand © Bild: Gleissfoto

Einer gegen alle, alle gegen einen? Nein. Nicht der gesamte Rest-Stiftungsrat ruft sein lautestes, aber kaum gesellschaftsfähiges Mitglied zur Ordnung. Auf einem Brief des obersten ORF-Organs an FPÖ-Vertreter Peter Westenthaler fehlen vier Unterschriften. Ausgerechnet ein Quartett, das von SPÖ-Gnaden über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wacht, verweigert sich dem überfälligen Aufraffen gegen den blauen Misfit, der vor einem Vierteljahrhundert schon im Vorgängergremium des Stiftungsrats, dem Kuratorium, unangenehm aufgefallen war. Neben dem direkten Partei-Gesandten und einstigen roten Kommunikationschef Heinz Lederer glänzen die Vertreter der sozialdemokratisch regierten Länder Wien, Burgenland und Kärnten durch Abwesenheit: Norbert Kettner, der in Tirol aufgewachsene hauptstädtische Tourismusdirektor und frühere Sprecher von Stadtrat Sepp Rieder; Christian Kolonovitz, der von Hans Peter Doskozil beauftragte Komponist, Dirigent und Produzent; Siggi Neuschitzer, der von Peter Kaiser belassene ehemalige Baby- und Kinderhotelier – ein rühriger Restbestand aus der BZÖ- und FPK-Ära. Sie empfinden diese Art, Westenthaler an den legalen Rahmen seines Auftrags zu erinnern, als falsch. Alternative Vorgangsweisen von ihnen sind allerdings so wenig bekannt wie visionäre Vorstellungen von einem besseren öffentlich-rechtlichen Medium.

Im ORF-Gesetz steht, Stiftungsräte hätten „dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft“. In der Geschäftsordnung des Gremiums heißt es: „Mitglieder des Stiftungsrats haben im Kontakt mit der Öffentlichkeit und den Medien darauf zu achten, dass Nachteile für das Ansehen des ORF und seine wirtschaftlichen Interessen vermieden werden.“ Die 30 Unterzeichner des Schreibens führen gleich mehrere Beispiele an, mit denen der seit März amtierende Westenthaler gegen diese Bestimmungen verstoßen hat. Er nutzt ausgerechnet seine Auftritte im schrillen Boulevardsender oe24 für Attacken auf ORF-Vertreter und -Zustände. Dieses gemeinsame Disput-Ausgedinge mit SPÖ-Routinier Josef Cap moderieren Wolfgang und Niki Fellner, deren Medien überproportional von öffentlichen Inseraten und Förderungen profitieren.

Eine derart massive Kritik an einem seiner Mitglieder gab es bisher weder vom Stiftungsrat noch in früheren Phasen vom Kuratorium. In Sachen Selbsthygiene ist es also die bisher höchste Eskalationsstufe des obersten Aufsichtsgremiums in der gesamten Geschichte des größten österreichischen Medienunternehmens. Just am gleichen Donnerstag vor Pfingsten deponierte der Redaktionsausschuss des Hauses: „Der ORF darf nicht zerstört werden. Ein neues ORF-Gesetz muss politische Unabhängigkeit sicherstellen – im Sinne des VfGH-Erkenntnisses.“ Ein Doppelschlag der einmaligen Art. Denn auch die Journalisten protestieren massiv vor allem gegen FPÖ-Kampagnen zur Reduktion auf einen „Grundfunk“. Unter Federführung von Dieter Bornemann verweisen sie auf die Gefährdung der öffentlich-rechtlichen Sender in der Slowakei, der Schweiz, Großbritannien, Italien, Malta, Griechenland und Ungarn. Es folgt ein Appell an die aktuelle Bundesregierung, die vom Verfassungsgerichtshof verlangte Reparatur des ORF-Gesetzes umzusetzen – „mit einer echten Entpolitisierung der Gremien“.

Dieser Wunschtraum wird sich kaum erfüllen. Denn in sieben Wochen, der Mindestdauer für eine Novellierung, beginnen die Parlamentsferien. Danach ist Nationalratswahlkampf, dann folgen die Koalitionsverhandlungen. Falls die nächste Regierung bis Jahreswechsel steht, hat sie noch drei Monate, um das Ultimatum des VfGH bis 1. April zu erfüllen. Wenn in ihr die FPÖ vertreten ist, geht es dem ORF umgehend an den Kragen. Doch Türkisgrün macht keine Anstalten, durch ein rasch erstelltes, aber langfristig kluges Gesetz den trimedialen Nachrichtenmedien-Marktführer gegen eine solche Gefährdung abzusichern. Und die stärkste Oppositionspartei SPÖ wartet bloß ab. Diese demokratiepolitisch gefährlich sorglose Art disqualifi ziert einen staatstragenden Gesamtanspruch.