Salzburger Festspiele: Hinterhäuser über Hochkultur in Krisenzeiten

Das Publikum strömt, als gäbe es weder Krise noch Krieg noch Rechtsruck. Aber alle aktuellen Probleme streifen auch die Salzburger Festspiele. Intendant Markus Hinterhäuser gibt Auskunft.

von Markus Hinterhäuser © Bild: imago/Rudolf Gigler

Die Corona-Jahre wurden von den Salzburger Festspielen mit Glanz gemeistert, heuer ist der Vorverkauf auf Vor-Pandemie-Höhe. Ruhe ist indes nicht eingekehrt. Im Land regieren Schwarz und Blau, der vormalige Jedermann Cornelius Obonya forderte Protestaktionen zur Eröffnung ein, Intendant Markus Hinterhäuser entgegnete spitz. Auch dass er sich von Teodor Currentzis, dem Putin-Nähe nachgesagt wird, nicht absetzen will, wird ihm mancherorts verübelt, obwohl der griechische Dirigent nicht mit der russischen Formation MusicAeterna, sondern mit seinem neuen, internationalen Orchester Utopia gastiert.

Programm Salzburger Festspiele:
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Herr Hinterhäuser, Sie haben Cornelius Obonya "Empörungsrituale" und "abgenutzten Aktionismus" vorgeworfen, zumal er seinerzeit unter einer schwarz-blauen Regierung im Burgenland die "Zauberflöte" inszeniert habe. Das wurde Ihnen nicht freundlich vermerkt. Wird da Ihrer Meinung nach mit zweierlei Maß gemessen?
Wir müssen uns wirklich nicht darüber unterhalten, was ich von der FPÖ halte, nämlich gar nichts. Wir haben schon zwei Bundesregierungen in dieser Konstellation erlebt, ich war auch Intendant unter der Regierung Kurz-Strache. Jetzt gibt es in der Landesregierung eine Konstellation, über die ich mich nicht freue, mit der wir aber politisch umgehen müssen. Ich habe meine Ablehnung gegenüber der FPÖ in einem Interview deutlich genug ausgedrückt. Aber man soll wirklich nicht glauben, dass wir mit diesem müde gewordenen, sich selbst auf die Schulter klopfenden Aktionismus weiterkommen.

»Im Jahr 2000 haben am Heldenplatz 200.000 gegen Haider demonstriert. Jetzt in Salzburg kamen 120«

Das ist ein politisches Problem, das nicht nur auf Österreich beschränkt ist. Man muss nur nach Deutschland mit der AfD schauen, nach Schweden, nach Italien, nach Ungarn. Man könnte diese Entwicklung fast als eine europaweite bezeichnen. Wenn wir da keinen intelligenten und auch harten politischen Diskurs führen und uns selber befragen, was da schiefgelaufen ist, dass es zu dieser massiven Änderung in der politischen Logik gekommen ist, dann machen wir einen Fehler. Ich war selber im Jahr 2000 gegen Haiders Ausländervolksbegehren auf dem Heldenplatz. Damals waren 200.000 Menschen dort. Jetzt gab es in Salzburg einen "Trauerzug", dort waren 120.

Aber auch der linke Intellektuelle Franz Schuh hat Sie hart kritisiert. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Natürlich, wobei ich hinzufüge, dass ich Franz Schuh über die Maßen schätze. Seinen Kommentar zu meinem Interview habe ich gern gelesen, weil ich Franz Schuh immer gerne lese. Und zu denken hat es mir auch gegeben.

Und die Klima-Aktivisten? Es ist irgendwie naheliegend, dass sie sich bei den Festspielen bemerkbar machen werden.
Dass wir in einer wirklichen Gefahr sind, weiß mittlerweile jeder. Aber auch da glaube ich, dass dieser Aktionismus, dieses ständige Blockieren durch Klimakleber eher kontraproduktiv ist. Es bedarf einer anderen Auseinandersetzung, und das wird politisch auch sehr stark diskutiert. Ich glaube nicht, dass man mit dieser Form von Protest etwas Wesentliches erreichen kann.

Sie sind einer der letzten, die sich zu Teodor Currentzis bekennen. Selbst vom Wiener Konzerthaus, das von ihm mehr als die meisten Institutionen profitiert hat, wird er nicht mehr eingeladen. Sind Sie diesbezüglich auch schon am Überlegen?
Bei mir hat sich nichts Wesentliches verändert. Der Krieg in der Ukraine ist entsetzlich, grauenvoll, ein Angriffskrieg, der ist mit nichts zu rechtfertigen ist. Aber jemandem, der für eine Kulturinstitution verantwortlich ist, soll es auch gestattet sein, eine Differenzierung vorzunehmen. Currentzis ist in keiner Weise mit einem russischen Propagandaminister oder einem Prigoschin gleichzusetzen. Es gibt von ihm keine einzige Pro-Putin-Äußerung. Er hat viele künstlerische und musikalische Zeichen gesetzt, die nicht so schwer zu dekodieren sind, die man auch respektieren und daraus den einen oder anderen Schluss ziehen könnte.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Spur geraten, wo wir im Grunde mit ähnlichen Mitteln arbeiten wie die Systeme, die wir zu Recht ablehnen. Currentzis hat sich über viele Jahre ein Instrument aufgebaut, das Orchester und den Chor MusicAeterna mit Sitz in St. Petersburg. Die können alle nichts für diesen Krieg. Currentzis ist eine Weltberühmtheit, er könnte das Land verlassen. Aber was passiert dann mit diesen Musikern, die dort ihren Lebensraum, ihre Familien und ein Recht darauf haben, ihren Beruf auszuüben? Ich bin überzeugt davon, dass Currentzis diese Musiker nicht im Stich lässt. Stellen wir uns vor, er würde nicht mehr dirigieren. Glaubt irgendwer im Ernst, dass dieser Krieg dann eine Sekunde kürzer oder weniger grausam, weniger entsetzlich wäre? Ich habe nicht vor, die nächsten Jahre ohne Currentzis zu bestreiten.

Gab es Überlegungen, MusicAeterna nach Salzburg zu holen?
Es gibt Gründe, die das unmöglich machen. Ich habe aber sein neues Orchester Utopia in Wien gehört und finde es großartig,

Denken Sie auch an weitere Opernproduktionen mit Currentzis?
Auch das ist absolut möglich. Teodor Currentzis hat mir als Musiker unsagbar viele Einsichten eröffnet. Man wird sehen, was sich in den nächsten Monaten verändert. Ich weiß schon, dass es bei Currentzis die eine oder andere Frage gibt, und damit beschäftige ich mich auch. Aber ich bin noch nicht zu einem Ergebnis gekommen, das mich dazu aufrufen würde, eine andere Haltung einzunehmen. Es gibt insgesamt sehr viele russische Musiker, die hier immer noch tätig sind, und ich finde das richtig. Jemanden in ein Gesinnungseck zu drängen, wenn er einen russischen Pass hat, das funktioniert nicht.

Markus Hinterhäuser
© IMAGO/SKATA Markus Hinterhäuser
Markus Hinterhäuser wurde am 30. März 1958 in La Spezia, Italien, geboren, als Pianist gastierte er weltweit. Bei den Salzburger Festspielen verantwortete er von 2007 bis 2011 das Konzertprogramm. Von 2014 bis 2016 leitete er die Wiener Festwochen. Seit Oktober 2016 ist er Intendant der Salzburger Festspiele, sein Vertrag wurde bis 2026 verlängert.

Anna Netrebko hat alle Angriffe unbeschadet überwunden. Sie singt in Mailand, Berlin, Paris und Wien. Auch im Konzerthaus übrigens. Wird auch da mit zweierlei Maß gemessen?
Dass muss jeder mit sich ausmachen. Ich weiß auch nicht, welche institutionellen und anderen Finanzierungsmechanismen dahinterstehen.

Kommen wir auf Salzburg zurück. Der unfreiwillig scheidende Burgtheaterdirektor Martin Kusej lehnt Interviews mit österreichischen Zeitungen ab. Glauben Sie, dass überhaupt genügend Distanz vorhanden ist, um seinen bevorstehenden "Figaro" fair zu behandeln?
Ich würde mir das sehr wünschen. "Figaros Hochzeit" mit unfassbar herrlichen Sängern und diesem Dirigenten, das ist die eine Sache. Die andere zu beurteilen, steht mir nicht zu. Aber was Martin in den letzten Wochen mitgemacht hat, ist alles andere als einfach zu bewältigen. Mit dem Künstler Martin Kusej hat das nichts zu tun.

Ist sein Engagement in Salzburg als ein demonstrativer solidarischer Akt zu verstehen?
So kann ich das nicht sehen. Die Planung von "Figaro" liegt schon deutlich länger zurück als das, was jetzt mit ihm und dem Burgtheater passiert ist. Ich habe an Martin Kusej gedacht, weil "Don Giovanni" und "La clemenza di Tito", die er mit Harnoncourt produziert hat, für mich ganz große Erkenntnisse brachten. Was kann man heute durch Mozart erfahren? Musikalisch hat das Harnoncourt, szenisch Kusej beantwortet. Deshalb habe ich mit ihm über den "Figaro" gesprochen. Es wird sicher eine Inszenierung, die den einen oder anderen vielleicht vor die eine oder andere Frage stellen wird, aber das ist richtig so.

Bei den führenden Dirigenten findet derzeit ein großer Wechsel statt. Das sieht man auch bein Opernprogramm in Salzburg. Raphael Pichon und Maxime Pascal, beide noch keine 40, dirigieren zentrale Opernproduktionen. Soll Salzburg einer neuen Generation von Dirigenten den Weg ebnen?
Natürlich, und vielleicht muss Salzburg das auch. Aber für mich ist das nicht einfach, denn es gibt eine Generation von Dirigenten, die wir alle lieben und denen wir unendlich viel zu verdanken haben. Langsam aber sicher geht es mit dieser Generation zu Ende. Jetzt gilt es, eine taktvolle, langsame Veränderung vorzunehmen. Ich muss auch diese jungen, sehr interessanten Dirigenten mit den Wiener Philharmonikern zusammenbringen. Da muss es eine Art von Vertrauen geben, das kann auf Anhieb funktionieren, das kann aber manchmal auch länger dauern. Bei Mozart ist es besonders schwierig, eine dirigentische Lösung zu finden. In einem anderen Repertoire wie bei Martinů, dessen "Griechische Passion" Maxime Pascal dirigiert, ist das weniger problematisch. Aber grundsätzlich ist es für uns existenziell wichtig, dass wir neue Sichtweisen behutsam einführen. Wir können auch gar nicht anders. Von der einen Generation gibt es noch ein paar, die hier immer willkommen sind. Aber viele sind nicht mehr da, und bei vielen ist die persönliche Situation jedoch so, dass man sich fragt, schaffen wir das, und dass man dann sagen muss, eher nicht. Da sind wir auf der Suche. Wobei für mich der Satz von Pablo Picasso wesentlich ist: Ich suche nicht, ich finde. Ich habe ja auch die eine oder andere Sängerin gefunden.

Sie sprechen von Asmik Grigorian.
Ich kann mich noch erinnern, wie man im Jahr vor ihrer Salome meinte, ihre Stimme sei viel zu klein. Ich sagte, wartet doch ab. Heute ist Asmik Grigorian eine Welterscheinung. Natürlich ist Salzburg eine unfassbare Trägerrakete.

Auch die Karriere des heute weltweit gefragtesten Pianisten Igor Levit wurde durch Salzburg beschleunigt, nicht?
Igor Levit ist eine der größten pianistischen Begabungen, die mir je begegnet sind. Er hätte auch ohne Salzburg diese Karriere gemacht. Wie er die 32 Beethoven-Sonaten in diesem herrlichen Jahr 2020 gespielt hat, wo wir die einzigen waren, die Festspiele überhaupt möglich gemacht haben, das war eine unglaubliche pianistische und intellektuelle Leistung. Im Rückspiegel betrachtet waren das die schönsten Festspiele, weil nur musikinteressierte Menschen hier waren. Da ist klar geworden, dass die Salzburger Festspiele ein Festspiel für die Künste sind und nicht für die Reichen und Schönen. Auf Neudeutsch kann man sagen, wir haben eine neue Community gefunden, die uns geblieben ist. Davon profitieren wir jetzt.

Ihr Opernprogramm ist wie ein Spiegel der aktuellen Welt, nicht?
Im großen Festspielhaus erlebt man zwei Welten. Die eine, Verdis frühe Oper "Macbeth", ist eine dunkle Auseinandersetzung mit Macht. Sie kontrastiert mit Verdis letzter Oper "Falstaff". Und wenn man sich vorstellt, dass die Aufführung von Beaumarchais' "Figaro" per kaiserlichem Dekret in Wien verboten war! Da jagt Mozart eine ganze Welt mit ihren Herrschaftsallüren und Hierarchien in die Luft, anmutig, mit den allerfeinsten Mitteln der Intrige. Das ist das kristallinste Aufklärungstheater, das man sich überhaupt vorstellen kann. Das wird man heute nicht mehr so wie früher spielen können, vielleicht auch anders empfinden müssen. Und dann "Die griechische Passion" von Martinů: ein wirkliches Meisterwerk.

Ich bin kein Freund von tagespolitischen Bühnen, aber das hat mit allem zu tun, was uns auch umtreibt, eine Geschichte um Asyl, um Hartherzigkeit, wo wir unsere Zeit lesen können, geschrieben in einem Roman aus dem Jahr 1961, "Der wiedergekreuzigte Christus" von Nikos Kazantzakis. Ich finde, diese vier Opern, wenn ich einen Titel von Daniel Kehlmann benutzen darf, sind wirkliche Vermessungen der Welt.

Ein Blick ins nächste Jahr noch: Die russische Regisseurin Marina Davydowa übernimmt das Schauspiel in Salzburg, sie war schon bei den Festwochen Ihre Schauspielchefin. Ist dieses Engagement ein Akt der Solidarität, nachdem sie wegen ihrer kritischen Haltung zu Putins Regime aus Russland fliehen musste?
Ich schätze Marina Davydowa außerordentlich. Mir war zunächst gar nicht klar, in welcher Form ich sie nach Salzburg holen könnte. Im Hinblick auf eine andere Ausrichting des Schauspiels traf ich dann die Entscheidung, sie als Schauspielchefin zu engagieren. Wir können bei den Festspielen Besucher aus 70 Ländern verbuchen. Aber im Schauspiel schließen wir 66, in denen nicht Deutsch gesprochen wird, aus. Daher möchte ich das Theater neu ausrichten, denn es gibt in den anderen Weltgegenden auch großartiges Theater. Der Versuch, das Theater zu internationalisieren, ohne dass man das deutschsprachige Schauspiel dadurch vergisst oder vernachlässigt, steht uns gut an.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28-29/2023 erschienen.