"Wir alle neigen dazu, unsere Bedeutung zu überschätzen"

Und genau das kann gegen die Macht der Manipulation helfen

Niemand wird gerne manipuliert, dennoch findet Manipulation immer und überall statt: Zwischen Kindern und Eltern, Partnern, Kunden und Verkäufern oder im Job. Doch wie kann man Manipulation enttarnen und sich dagegen schützen? Das erklärt Johannes Steyrer, Autor des Buches "Die Macht der Manipulation".

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Experte klärt auf - "Wir alle neigen dazu, unsere Bedeutung zu überschätzen"
Johannes Steyrer, geboren 1956 in Grillenberg/Niederösterreich, studierte Soziologie und Betriebswirtschaftslehre und absolvierte eine psychotherapeutische Ausbildung. Seit 1997 ist er Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien, an der er die Masterstudien "Management" und "Health Care Management" leitet. Die lebendige Wissensvermittlung ist sein Element - als Vortragender und als Autor.

News.at: Gab es für Sie einen bestimmten Anlass, sich so intensiv mit dem Thema Manipulation zu beschäftigen?
Johannes Steyrer: Ich fuhr mit dem Auto meiner Frau am Randstein an. Der rechte Hinterreifen war aufgeschlitzt. Der Reifenschuster sagte mir, dass am Freitag alle Boxen besetzt seien und ich erst montags kommen könnte. Ich beschwerte mich und aus Kulanz nahm man mich freitags doch noch dran. Man erklärte mir jedoch, dass auf einer Achse zwei Reifen derselben Sorte montieren werden sollten. Die jetzt montierten wären nicht vorrätig und zwei neue Reifen würden 180 Euro kosten. Ich war klarerweise verärgert.

»Gefälligkeiten sind starke Manipulationsmittel«

Dann machte man mir ein Angebot, und zwar vier Winterreifen um 299 Euro. Es waren rumänische Reifen. Ich war skeptisch. Nächstes Angebot - nur mehr diese Woche gültig: vier neue Michelin-Winterreifen, die normalerweise 690 Euro kosten um 490 Euro. Da habe ich zugeschlagen. Stellen Sie sich vor, man hätte mir bei meinem Anruf gesagt, ich könnte gleich vorbei kommen, aber nur dann, wenn ich vier neue Michelin-Reifen kaufen würde. Nach dieser Erfahrung begann ich, mich mit Manipulationstechniken im Verkauf zu beschäftigen.

Welche Formen der Manipulation gibt es?
Im obigen Beispiel wurden einige Manipulationstechniken angewandt. Ich bin schon mit einem schlechten Gewissen hingekommen, weil man für mich am Freitag noch etwas getan hat. Gefälligkeiten und das Gegenseitigkeitsprinzip sind starke Manipulationsmittel. Dabei geht es darum, einen Kreis moralischer Schuldner um sich zu scharen, auf deren Dankbarkeit man im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Networking basiert auf diesem Prinzip. Bei der Reifenmanipulation wurde mit den 180 Euro für zwei Reifen ein Anker gesetzt. Im Kontrast dazu erschienen die 299 Euro für vier Reifen als Kinkerlitzchen. Dem folgte die Angst, einen Blödsinn zu kaufen, was mit der menschlichen Verlustaversion zu tun hat, die besonders stark ist. Zu guter Letzt kam das Lockvogelangebot, das zeitlich limitiert war und auf dem Trick basierte: List high, sell low. Also teuer anschreiben und billig verkaufen. Dann gibt es noch die für unser Sozialleben besonders wichtige Beständigkeits-Manipulation.

Johannes Steyrer
© Alek Kawka
»Man muss es so anlegen, dass sich die Menschen selbst das einreden, was Sie von Ihnen wollen«

Wie funktioniert diese?
Gute Manipulation arbeitet nie mit Überzeugen, da erntet man nur Widerstand. Man muss es so anlegen, dass sich die Menschen selbst das einreden, was Sie von ihnen wollen. Wir glauben, dass Menschen das tun, was sie wollen. Natürlich tun sie das, aber nicht nur: Menschen wollen das, was sie tun. Eine Grundregel der Manipulation lautet: nicht Einstellungen, sondern Handlungen beeinflussen. Wenn wir etwas tun, dann rechtfertigen wir das vor uns selbst. Dann reden wir uns das ein, was andere von uns wollen. Man nennt das zum Beispiel "Fuß in die Tür"-Technik. Beispielsweise verdreifachen sich Spendenraten für die Krebshilfe, wenn Leute zuvor eine Anstecknadel tragen.

» Bis wir erkennen, dass wir in einer Falle gelandet sind, ist es meistens schon zu spät«

Wie kann man erkennen, dass man manipuliert wird?
Wir entscheiden uns für etwas, ohne die wahren Konsequenzen zu kennen, und bleiben dann dabei. Zum Beispiel: Ihr Chef will Sie dazu bringen, die nächsten zwei Jahre in einer neuen Niederlassung in Rumänien zu arbeiten. Er fragt direkt - und erhält eine Abfuhr. Mithilfe der Köder-Technik hätte er so gefragt: "Ich hätte da an Sie gedacht: Stichwort Osteuropa! Wir haben dort in Zukunft einiges vor. Überlege Sie sich einmal, ganz unverbindlich, ob Sie sich zutrauen würden, da eine größere Rolle zu übernehmen?" Je mehr Sie sich selbst Argumente sagen, warum es für Sie von Interesse wäre (mehr Geld, Karriere etc.), desto mehr verbeißen Sie sich in dieses Angebot. Daher sagen Sie zu, ohne zu wissen, was auf Sie zukommt. Erst dann erfahren Sie, dass ein Projekt in Rumänien ansteht. Doch wer A sagt, muss auch B sagen. Somit geraten Sie in eine Beständigkeitsfalle und kommen von dort nicht mehr los. Bis wir erkennen, dass wir in einer Falle gelandet sind, ist es meistens schon zu spät.

Johannes Steyrer: "Die Macht der Manipulation. Wie man sich durchsetzt, wie man sich schützt"*
Ecowin Verlag, 264 Seiten, ISBN: 978-3-7110-0166-5

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Wie reagieren Menschen, wenn sie merken, dass sie manipuliert werden?
Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Gute Manipulation ist so anlegt, dass wir gar nicht merken, dass wir manipuliert werden. Der Trick liegt ja gerade darin, dass wir uns alle dann selbst das einreden, was die anderen wollen. Hinzu kommt, dass wir alle einen unglaublichen Hang dazu haben, uns die Welt schönzureden. Schlussendlich ist es dann eine Frage der Ethik und Moral, ob es überhaupt legitim ist, jemanden nach Rumänien zu bringen, obwohl er das ursprünglich gar nicht wollte.

»Alle Räder stehen still, wenn ein starkes Nein das will. «

Wie kann man sich gegen Manipulation schützen?
Der beste Weg ist ein frühzeitiges und beharrliches Nein. Denn selbst am Arbeitsplatz ist ein abgrenzendes Nein meist nur kurzfristig eine Ungehörigkeit. Es wird schneller verziehen, als man glauben möchte. Warum? Wir alle neigen dazu, unsere Bedeutung zu überschätzen, und zwar sowohl im Positiven als auch im Negativen. Spätestens überübermorgen ist das Nein Schnee von vorvorgestern.
Je länger wir mit einem Nein zuwarten, desto höher werden die psychologischen Kosten und desto schwerer fällt das Nein. Wir müssten dann vor uns selbst eingestehen, ein Dummkopf zu sein, der nicht weiß, was er will. Daher lautet die Quintessenz des Selbstschutzes vor Manipulation: Alle Räder stehen still, wenn ein starkes Nein das will.
Noch was: Trifft man auf Lockvogelangebote, muss man sich fragen, ob man das zum alten Preis auch gekauft hätte. Ist das nicht der Fall, dann kaufen man nur wegen des Rabatts und nicht deshalb, weil man das Produkt haben möchte.

Johannes Steyrer
© Alek Kawka

Muss es immer negativ sein, manipuliert zu werden? Gibt es auch positive Formen?
Wie bringt eine Frau ihren übergewichtigen Mann ins Fitnessstudio? Sicher nicht, indem sie sagt: "Ferdinand, dein Schwimmreifen am Bauch wird immer hässlicher, du solltest mehr Sport treiben, sonst bekommst du noch einen Herzinfarkt!" Das ist verletzend und wird angsterfüllt verdrängt. Besser funktioniert es mit Komplimenten. Zum Beispiel nach seinem ersten Besuch im Fitnessstudio (den ihm die Frau geschenkt hat): "Ferdinand, jedes Mal, wenn du vom Sport kommst, bist du viel vitaler als sonst, und deine Muskeln sind so schön straff. Ich freue mich dann immer ganz besonders auf dich!" Glauben Sie mir, das hilft!

Welche Form der Manipulation ist die hinterhältigste?
Die hinterhältigste Form der Manipulation ist die "Tür vor den Kopf"-Technik. Die geht so: Im ersten Schritt stellen Sie eine überzogene Forderung. Die wird mit einem Nein beantwortet. Im zweiten Schritt geben Sie sich dann bescheidener. Im Vergleich zum Erstanliegen erscheint das zweite dann als Lappalie. Kommt uns jemand entgegen, fällt ein zweites Nein umso schwerer.

»Wir alle manipulieren, auch wenn wir das ungern zugeben«

Wie oft ist man in der Regel Manipulationen ausgeliefert?
Machen wir uns nichts vor: Menschen versuchen ständig, andere Menschen zu beeinflussen, egal ob als Eltern, Partner, Führungskräfte, Mitarbeiter, Ärzte, Therapeuten oder Berater. Da sind immer eigene Interessen im Spiel. Hinzu kommt, dass Menschen prinzipiell nicht beeinflusst werden wollen. Meist reagieren wir darauf mit Widerstand. Manches Mal ist daher Manipulation notwendig, um sich durchzusetzen. Wir alle manipulieren, auch wenn wir das ungern zugeben bzw. unbewusst machen. Je mehr wir aber über Manipulation Bescheid wissen, desto effektiver sind wir im Umgang mit anderen Menschen und desto besser können wir uns vor ihr schützen.

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