Alternder Travestiekünstler:
Lilo Wanders wird 60

Gab für das TV-Format "Wa(h)re Liebe" zehn Jahre die "Aufklärerin der Nation"

Lilo Wanders spricht - aus Ernie Reinhardt. "Ich habe keine Ahnung, dass ich nicht existiere, aber das geht ja vielen so." Der Travestiekünstler Reinhardt erfand vor mehr als 25 Jahren die Figur Lilo Wanders und vermeidet daher seit langem "privates öffentliches Auftreten". Die Bühne ist für Lilo, der Bauernhof für Ernie. Am Dienstag, den 22. September, wird Reinhardt 60 Jahre alt.

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Lilo Wanders wird 60

Der Hof liegt mehr als eine Stunde Autofahrt von St. Pauli, dem Arbeitsort von Lilo, entfernt. Abgeschieden und inmitten von Obstbäumen sitzt Ernie dort gerne in Jeans und Pullover. "Ab jetzt spricht Lilo", sagt er. "Aber ich bin deckungsgleich mit mir selber." Die Geburtsstunde von Lilo schlug im Schmidt Theater auf St. Pauli Ende der 80er Jahre, als sie als Persiflage auf Schauspielerin Evelyn Künneke (1921-2001) als alternde und allürenhafte Theaterdiva die Bühne betrat. Danach kamen die "Schmidt Mitternachtsshow" im NDR und ab 1994 das TV-Erotikmagazins "Wa(h)re Liebe" auf Vox. Immerhin zehn Jahre lang war die "Aufklärerin der Nation" in 545 Ausgaben zu sehen.

So kam sie zu "Wa(h)re Liebe"

"Die Sendung habe ich von einem Tag auf den anderen übernommen", erzählt sie. "Erst habe ich 'Nein' gesagt. Aber dann hat mich Stefan Aust höchstpersönlich mit Champagner abgefüllt und ich sagte 'Ja'." Der spätere "Spiegel"-Chefredakteur Aust war damals noch Chef der Firma "Spiegel TV", die das Format produzierte. Die Kunstfigur Lilo Wanders musste nun zum Menschen werden - "sonst hätte ich mich nicht glaubhaft mit Menschen über Gefühle, Liebe und Sexualität unterhalten können". Ein anderes Geburtsjahr war nötig: 1946. Die Idee dazu ganz simpel: die Zahl vom damaligen Autokennzeichen.

Dreifacher Vaters mit Ehefrau und Freund

Aber inzwischen könne Lilos Alter mit seinem eigenen deckungsgleich sein, schaltet sich für einen kurzen Augenblick wieder Ernie in das Interview ein, lacht das bekannte tiefe Lilo-Lachen, tätschelt Hund "Choko", nimmt einen Schluck Kaffee und raucht - nicht lange nach der vorherigen - die nächste Zigarette. Ab und an gab es Berichte über ihn, auch über das Privatleben. Darüber, dass der Junge aus der niedersächsischen Provinz vom 16. Geburtstag an offen mit seiner Homosexualität umgegangen sei, und auch über das Zusammenleben des dreifachen Vaters mit Ehefrau und Freund.

Interessante Familiengeschichte

"Ich habe eine so interessante Familiengeschichte und so viele skurrile Sachen zu erzählen", sagt Kult-Diva Wanders, "daraus würde ich irgendwann mal gern einen großen Roman machen." Doch noch bleibe keine Zeit dafür. Ein neues Bühnenprogramm ist in Arbeit, im Sommer warten Touristen auf ihre speziellen Führungen über St. Pauli. "Das Viertel ist im Umbruch. Gentrifizierung, Las-Vegaisierung überall", sagt sie. "Zum Gelde drängt's, am Gelde hängt's."

Vom Schrillen in die Stille geht es, wenn Lilo Wanders trotz Wohnung auf dem Kiez immer öfter raus aufs Land fährt. Ein langer Weg führt durch Obsthöfe zu dem Gatter, hinter dem das ursprünglich einmal nur als Wochenendziel gedachte, idyllisch gelegene Häuschen steht. Hier sollten eigentlich auch Flüchtlinge einziehen. "Doch mit meinem Angebot, Flüchtlinge aufzunehmen, bin ich leider gescheitert. Ich wohne zu weit weg von jeder Zivilisation, und es wäre eine Zumutung für andere Menschen, von hier aus zum Einkaufen, zur Schule oder Sprachförderung zu fahren."

Angst vor dem 60. Geburtstag?

Und Lilo Wanders ist dafür zu oft unterwegs, etwa mit dem Programm "Sex ist ihr Hobby". Aufklärung wie in "Wa(h)re Liebe" bräuchten junge Leute nach wie vor. "Es kursieren viele Legenden über Sexualität: Mädchen teilen sich die Pille, um zu verhüten. Jungs meinen, wenn man im Stehen Sex hat, kann das Mädchen nicht schwanger werden." Manchmal denke sie über ein Format auf YouTube nach, dann verwerfe sie es wieder. Konsequenter ist sie da bei ihrer Diät. "17 Kilo sind bereits runter!" Angst vor dem 60. Geburtstag? "Nö, das habe ich alles schon mit 50 hinter mir. Aber dass 60 das neue 40 sein soll, ist auch totaler Quatsch."

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