Das Diktat der Zweisamkeit

Sologamie ist die Heirat mit sich selbst. Viele tun es. Zum Beispiel hat sich Miley Cyrus bei einer „Selbsthochzeit“ die Treue geschworen. So eine Zeremonie im weißen Brautkleid, mit Wind in den Haaren und womöglich am Meeresstrand: Wer würde da nicht „Ja“ sagen. Aber zu wem, wenn kein Partner da ist

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Schon in den Siebzigerjahren gab es eine Heirat mit sich selbst. Keiner gesetzlichen Ehe gleichrangig, aber immerhin. In den Neunzigern wurden von Frauen beim Burning Man Festival ebenso Hochzeiten mit sich selbst gefeiert. Was die Beweggründe sind und was der zunehmende Trend über unsere Gesellschaft aussagt, sehen wir uns im Folgenden genauer an.

1. Bekenntnis zur Autonomie. Überwiegend sind es Single-Frauen in den Dreißigern, die ihren Mitmenschen und sich selbst zeigen möchten: Ja, ich will – und wenn ich will, dann kann ich auch als alleinstehende Person eine Hochzeit feiern. Auf Wunsch mit allem Drum und Dran. Insbesondere in Japan gibt es ganze Hochzeitspackages für allein Heiratende, inklusive einem „Fake-Bräutigam“, der zur Komplettierung mit auf die Hochzeitsfotos kommt. Es handelt sich bei diesen Statisten um Models, die nur der besseren Optik dienen. In so einem Fall fragt man sich: Wo bleibt hier die Selbstbestimmung der Frau, wenn sie sich auf den Hochzeitsfotos ja doch wieder dem traditionellen „Diktat der Zweisamkeit“ unterwirft?

2. Bekenntnis zur Individualität. Mit der Tradition einer herkömmlichen Hochzeit wird bei einer Sologamie gebrochen. Und es wird individuell geheiratet, wie es einem gefällt. Es kann eine Pomp-Hochzeit inszeniert werden mit vielen Gästen oder im engsten Kreis – auf Wunsch auch ganz mit sich allein zu Hause. Womit wir zu einem zunehmenden Motiv kommen:

3. Ausdruck von Narzissmus. In der Epoche der Veröffentlichung einschlägiger Lebensereignisse in den sozialen Medien droht die Selbstheirat hier zum ultimativen Klick-Ereignis zu gereichen: Jede Influencerin, die etwas auf sich hält, postet und teilt dann zumindest einmal im Laufe ihrer Karriere eine Sologamie, was ihr bei entsprechender Choreografie Werbeverträge, kommerziellen Nutzen und jede Menge Follower einbringt. Dass daraus die Kommerzialisierung eines pervertierten Selbstwert-Hypes entsteht, soll hier nur am Rande erwähnt werden.

4. Ausdruck von Heilung. Andererseits kann die Selbstheirat auch einen durchaus positiven, ja therapeutisch wirksamen Effekt haben. Wenn, ja wenn die Selbstheirat in Form eines Versöhnungsrituals stattfindet: Etwa nach einer Selbstwertkrise oder wenn jemand sich lange Zeit die Schuld am Scheitern einer Beziehung gab. Oder über einen langen Zeitraum sein Selbstbewusstsein mit negativen Glaubenssätzen sabotierte. Allerdings hat das dann wenig mit einem rauschenden Fest zu tun und mehr mit dem schlichten Bekenntnis zu sich. Und zu mehr Selbstachtsamkeit und Selbstfürsorge. Und mit der Erkenntnis, nur dann liebesfähig zu sein, wenn man sich zuallererst selbst bedingungslos zu akzeptieren vermag.

5. Ausdruck von Perfektionismus. Was manche zu einer Selbstheirat bringt, ist ein schon grenzwertiges Angst- und Vermeidungsverhalten: Kein potenzieller Partner ist gut genug, niemand entspricht den Vorstellungen – na, dann bleibe wohl nur ich selbst, wenn ich auf das Lebensereignis Hochzeit partout nicht verzichten möchte. Dass es hier nicht um zwischenmenschliche Beziehung und Liebe, sondern nur um Bedürfnisbefriedigung geht, ist augenfällig – nach dem Motto, was Paare haben, steht mir ebenso zu.

Fazit: Die Selbstheirat droht in einer Zeit der Bindungsangst und des Perfektionismus ein Modell der Zukunft zu sein, um ohne Last der Verantwortung zu heiraten. Und ohne das Risiko, verlassen zu werden: Denn mich selbst kann ich schlechterdings vor den Scheidungsrichter zerren. Insgesamt kann eine Heirat mit sich selbst durchaus sinnvoll sein, aber nicht als radikales Gegenmodell zum vermeintlichen Diktat der Zweisamkeit. Sondern eher als therapeutisches Tool, um sich in einem Ritual bewusst zu machen, was man an sich selbst hat – als Bekenntnis gegen den erbarmungslosen inneren Kritiker. Als Booster fürs Selbstwertgefühl. Mit neuen Glaubenssätzen wie: Ab heute stehe ich zu mir. Ich sorge gut für mich. Auch das ist bei vielen, die sich selbst vernachlässigen, eine Feier wert.

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