Wie es euch gefällt

Vier Beispiele dafür, wie Liebe außerhalb der Norm glücklich machen kann

von Ungewöhnliche Liebe © Bild: (C)Kurt Prinz Kurt Prinz

Als Paul Sarah zum ersten Mal sah, wusste er, dass er dieser Frau nah sein, dass er zu ihr gehören wollte. Während man in der Wiener Staatsoper Verdis "Rigoletto" zum Besten gab, schmiedete der damals 14-Jährige Pläne, wie er Sarah wiedersehen könnte. Sarah war damals 35, eine gemeinsame Bekannte hatte ihr den jungen Mann vorgestellt. Fünf Jahre vergingen, in denen der Teenager jede Gelegenheit nutzte, die Nähe der Frau zu suchen, und das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden wuchs. Daran, dass Sarah die Richtige für ihn war, zweifelte Paul in all den Jahren keine Sekunde lang, Sarah ahnte von alldem nichts. "Mit einem um 21 Jahre jüngeren Mann zusammen zu sein war in meiner Gedankenwelt völlig ausgeschlossen", sagt sie heute. Als Paul 19 war, nahm er an einem feuchtfröhlichen Abend all seinen Mut zusammen und küsste die damals 40-jährige Sarah. Seither sind mehr als 18 Jahre vergangen.

Bis heute sind die beiden ein Paar, und ihre Liebe ist mit jedem weiteren Jahr gewachsen. "Aber es hat lange gedauert, bis ich in diese Liebe vertrauen, mich von den Warnrufen in meinem Kopf und von meiner Umgebung losmachen konnte", sagt die heute 58-Jährige. "Wie stellst du dir das vor? Du wirst alt und er wird weg sein! Was, wenn er Kinder will?", waren Sätze, die Sarah immer wieder verunsicherten. "Aber damals wie heute hat Paul mich durch seine Ernsthaftigkeit und seinen starken Willen beeindruckt. Wer uns sieht, weiß, dass das passt und zusammengehört", sagt Sarah. Heute ist sie glücklich und dankbar, dass sie sich nicht von ihren Ängsten hat leiten lassen. "Jeder Tag, an dem ich mit diesem Menschen zusammen bin, ist für mich ein Geschenk. Es wäre unerträglich, wenn ich diese Liebe nicht gelebt hätte, aus Angst, dass sie schiefgeht." Aber auch nach fast 20 Jahren stößt ihre Beziehung nicht überall auf Akzeptanz. Ihre vollen Namen wollen sie daher lieber nicht in der Zeitung lesen.

Mythos freie Partnerwahl

Frauen mit jüngeren Partnern, Paare in Mehrfachbeziehungen, Liebende, die nicht zusammenziehen wollen, oder kinderlose Geliebte, die sich in ihrer Rolle wohlfühlen - sie alle verstoßen gegen die ungeschriebenen Gesetze der sozialen Erwartung und damit gegen die Norm. Denn auch wenn die Zeiten lange vorbei sind, in denen Standesgrenzen und soziale Regeln die Partnerwahl diktierten, folgt die Liebe noch immer starren, sozial erwünschten Mustern. "Die freie Partnerwahl ist ein Mythos", sagt die deutsche Soziologin Stephanie Bethmann, die eine Doktorarbeit zum Thema verfasst hat. Noch immer heiraten wir Menschen, die "zu uns passen".

In der durchschnittlichen Beziehungsschablone weisen österreichische Paare einen Altersunterschied von zwei Jahren auf, lernen sich mit 24 (sie) beziehungsweise 26 (er) Jahren kennen, ziehen zwei Jahre später zusammen und bekommen drei Jahre darauf ein Kind. Im Jahr nach der Geburt des ersten Kindes wird geheiratet. Das hat Ulrike Zartler, Soziologin an der Universität Wien, vor einigen Jahren erhoben. Auch wenn sich dieses Muster hartnäckig hält, ist es nicht immer von lebenslangem Erfolg gekrönt. Laut Statistik Austria werden von hundert im Jahr 2014 geschlossenen Ehen 42 früher oder später geschieden werden. Die Scheidung erfolgt nach durchschnittlich zehn Ehejahren. Die Mehrheit heiratet aber nochmals oder lebt in einer neuen Beziehung: "Junge Frauen, die heute ihre Beziehungsbiografie beginnen, werden im Lauf ihres Lebens mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Ehepartner als Kinder haben", sagt Zartler.

Auf der ewigen Suche nach der großen Liebe leben wir "meist eine serielle Monogamie", sagt der Psychotherapeut Wolfgang Pale. Dafür, dass wir gar nicht über alternative Formen nachdenken, sorgen Idealbilder und Moral. "Alles ist von dem Ideal durchzogen, das da heißt: die große Liebe, gemeinsamer Haushalt, zwei Erwachsene, zwei Kinder. Diese Zweierkonstellation begegnet einem überall, in Filmen, Büchern und Liedern. Der moderne Wohnungsbau ist darauf ebenso ausgerichtet wie Versicherungen, Pensionsvorsorgen oder Reiseangebote", sagt Zartler. "Das wird nicht hinterfragt, sondern schwingt als Selbstverständlichkeit überall mit."

"Ich liebe diese zwei"

Jemand wie Lars Ebert passt nicht in dieses Bild. Lars liebt Michael. Und er liebt Frans. Seit mehr als 13 Jahren leben die drei in einer sogenannten Dreiecksbeziehung. "Ich liebe diese zwei und ich könnte nicht sagen, wen ich mehr liebe." Aus dem Mund einer Mutter, die über ihre Kinder spricht, zaubert uns dieser Satz ein verständnisvolles Lächeln ins Gesicht. Aus dem Mund eines Mannes, der über seine beiden Partner spricht, ruft er allenfalls verständnisloses Schulterzucken hervor. Nicht weil er weniger wahr ist, sondern weil wir ihn nicht einordnen können. "Was uns fremd ist, ist uns zunächst suspekt", sagt Wolfgang Pale.

Auch Lars, ein evangelischer Theologe, hätte nicht gedacht, dass er seine Lebensliebe einmal in einer Dreierbeziehung finden würde. Bis es so weit kam und sie ihre Dreisamkeit auch tatsächlich eine Beziehung nannten, dauerte es Jahre. Michael war bereits mit Frans zusammen, als er Lars in Amsterdam beruflich kennenlernte und sich über Jahre hinweg eine innige Freundschaft zwischen den dreien entwickelte. Aus Interesse füreinander wurde Anziehung. "Ich fand beide -nämlich beide zusammen und als Paar - anziehend, attraktiv, spannend und aufregend", sagt Lars. "Ich wollte nie den Platz von einem von ihnen einnehmen. Es stellte sich eher immer mehr der Wunsch ein, frei nach Schiller, in ihrem Bund der Dritte zu sein."

Michael und Frans öffneten ihre Beziehung für Lars, emotional und sexuell. "Es war und ist nicht immer ganz einfach, aber wenn man erlebt, dass es funktioniert, ist es wertvoll und bereichernd", sagt Frans. "Wie in jeder Beziehung verliert man auch hier etwas, aber das, was man dazugewinnt, ist weitaus größer." Was es braucht, um dieses Beziehungsmodell leben zu können? Geduld, Kompromissbereitschaft, wenig Besitzansprüche und den permanenten Austausch, sagen die drei. Auch dass sie zusammen leben und arbeiten und gemeinsam in ihrer Freizeit ein Haus in Griechenland gebaut haben, schweiße zusammen. Mittlerweile könnten sie sich keine andere Konstellation mehr vorstellen. "Zu dritt sind wir perfekt, wir leben eine Beziehung mit einer perfekten Balance", sagt Michael. Nicht umsonst sei das Dreieck die stabilste geometrische Form.

Jeder der drei hat in dieser Beziehung seinen Platz und seine Rolle. "Wir sind These, Synthese und Antithese. Wenn einer nach links und einer nach rechts will, zeigt einer den Mittelweg auf", sagt Lars. Beruflich leiten Michael, Frans und Lars eine kulturelle Stiftung im Herzen von Amsterdam. "Wir haben das Glück, dass wir uns in einem sehr künstlerisch-intellektuellen Umfeld bewegen, in dem wir als Dreierbeziehung anerkannt sind. Wenn einer von uns zu einer Hochzeit eingeladen wird, ist es klar, dass er zwei Partner mitbringt. Das wird akzeptiert", sagt Lars.

Die Beziehungsform, die die drei leben, nennt man Polyamorie, und sie erfreut sich auch in Österreich wachsender Beliebtheit, nicht nur unter homo-, sondern auch unter heterosexuellen Paaren (siehe Seite 62). Gerade in Wien sind die "Polys" sehr aktiv und veranstalten regelmäßige Treffen für alle, "die polyamorös denken, fühlen, leben (wollen)". Meist finden diese Treffen in alternativen Lokalen statt und dienen dem Kennenlernen und gemeinsamen Austausch. In die Medien drängt es diese Szene allerdings nicht, schließlich sind Mehrfachbeziehungen noch lange nicht akzeptiert.

Was ist normal?

Dafür sorgen unsere westlich-religiös fundierten Moralvorstellungen. Hier wird Sexualität nach wie vor mit monogamen Liebesbeziehungen gleichgesetzt. Solche Moralvorstellungen sind "Regeln, die eine Gesellschaft entwickelt, um Verhalten außerhalb des Gesetzes zu beeinflussen. Wer diese Regeln bricht, wird geächtet", sagt Psychotherapeut Pale. Was "normal" ist und was nicht, wird bereits in frühester Kindheit erlernt, sagt die Soziologin Zartler. Kinder entwickeln Moralvorstellungen, indem sie ihr eigenes Umfeld beobachten, nachahmen und sich mit Vorbildern, etwa aus Büchern oder Filmen, identifizieren. Moral kann sich entwickeln, "weil sie von einem Großteil der Menschen für gut befunden wird", sagt Pale. Und sie wird sehr stark von der Mittelschicht bestimmt.

Es ist daher wenig verwunderlich, dass Menschen, die sich über Moralvorstellungen hinwegsetzen, häufig aus antibürgerlichem, intellektuellem Milieu stammen und auf Konventionen wenig Wert legen. "Meist sind das sehr selbstbewusste und selbstreflektierte Menschen, die dem Druck der Allgemeinheit standhalten können und nicht dauernd Angst davor haben, etwas zu verlieren", sagt Pale. Eine Vorreiterrolle, nicht nur in Sachen Vielfachbeziehungen, sondern auch im heute immer populäreren Phänomen "Living Apart Together" nahmen Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre ein. Die 1908 in Paris geborene Schriftstellerin, Philosophin und Feministin zog erst dann zu ihrem Lebensgefährten Sartre, mit dem sie über 50 Jahre hinweg eine innige Liebesbeziehung hatte, als der schwer krank und pflegebedürftig war.

Fragt man Sonja Dirr und Patrick Schönberger nach einer gemeinsamen Wohnung, schütteln beide heftig den Kopf. Zusammenziehen kommt nicht infrage. Am liebsten würden sie auch später, im Altenheim, zwei Zimmer übereinander beziehen. Als die beiden zusammenkamen, dachten ihre Freunde, es wäre ein Witz. Sie, die toughe, analytische, durchorganisierte und beinahe "Monk-artig"(Patrick) ordentliche Unternehmensberaterin. Er, der liebenswert-chaotische Lebemann mit seinen zwei Kindern aus zwei Beziehungen, der gerne Schmäh führt und Entscheidungen oft auf die lange Bank schiebt.

© (C)Kurt Prinz Kurt Prinz

"Wir sind im Grunde fast inkompatibel", sagt die 44-jährige Sonja lachend. Mittlerweile haben sie das verflixte siebente Beziehungsjahr hinter sich gebracht, sind verliebt wie am ersten Tag und haben am 16. Jänner geheiratet. Nur zu zweit -ohne Angehörige und Trauzeugen. Ihre Zweisamkeit ist ihnen heilig. Umso mehr versuchen sie diese vor vorprogrammierten Konflikten zu schützen. Sie sind sich darüber im Klaren, wie unterschiedlich sie sind, und empfinden das als Ergänzung und Bereicherung. Sie wissen aber auch, dass sie in einem gemeinsamen Alltag nicht funktionieren würden. Das Geheimnis ihrer unorthodoxen Beziehung sind die getrennten Wohnungen. Zwar ist Patrick in die Nähe seiner Liebsten gezogen und die Wohnungen sind in Gehweite voneinander entfernt, sodass sich die beiden regelmäßig sehen können. Die gemeinsamen Nächte behält sich das Paar aber fürs Wochenende und Urlaube vor, auch weil dadurch ihre Liebe frisch bleibt.

Je enger, desto unsicherer

"Living Apart Together" wird vor allem bei kinderlosen Paaren immer populärer, sorgt hierzulande aber immer noch für Irritationen, denn auch zu viel Unabhängigkeit in Beziehungen wird vom Mainstream nicht akzeptiert. "Es geht dabei immer auch um Misstrauen und Kontrolle. Grundsätzlich kann man sagen: Je enger Beziehungen sind, desto unsicherer sind meist die Partner", sagt Therapeut Pale. Dabei würden räumliche Trennungen einer Partnerschaft oft unheimlich guttun.

Den Wunsch nach Kontrolle oder allzu großer Nähe hatte Vera P. nie. Die 75-Jährige war viele Jahre ihres Lebens Geliebte -ein Phänomen, dem bis heute der schale Beigeschmack der Verliererin, der traurigen Zweiten anhaftet. Zu der selbstbewussten älteren Dame will dieses Bild aber so gar nicht passen. Und auch wenn sie heute weder Mann noch Kinder hat, hätte sie in ihrem Leben rückblickend nichts anders machen wollen. Es war Ende der 60er-Jahre -in einer Zeit also, als das Glück der Frau spätestens mit 30 in Heim und Kindern gipfelte -, als sich die frischgebackene selbstständige Apothekerin in den um 20 Jahre älteren Karl verliebte, einen stattlichen Kerl aus altem Adelsgeschlecht. Seine Frau und die drei Kinder hätte er nie verlassen, aber das wollte Vera auch gar nicht.

Mehr als 15 Jahre lang waren die beiden ein heimliches Paar, ohne Alltag und ohne Ansprüche. Jede Woche kam er mindestens einmal zu ihr, "weniger hätte ich nicht akzeptiert", schlich sich in ihre Wohnung, entführte seine Geliebte ins Grüne, zu Jagdausflügen oder in einen abgelegenen Landgasthof. Sie begleitete ihn auf Dienstreisen, zu Kuren und auf Kurzurlauben. "Natürlich war ich zu Festtagen, an Weihnachten oder seinem Geburtstag allein, aber ich hatte Familie und Freunde, so ist mir das gar nicht abgegangen." Auch mit ihrer Apotheke war sie so eingespannt, dass an ein Leben mit einem "Mann mit Ansprüchen" und Kindern nicht zu denken war. Nur wenige waren in diese Liebe eingeweiht. "Nicht, dass ich mich geschämt hätte. Aber ich wollte nicht, dass mein Ansehen und meine Reputation als Apothekerin Schaden nehmen."

Eifersucht verspürte Vera nie. Die Ehefrau -26 Jahre älter als sie selbst -hätte ihre Mutter sein können, weitere Details aus Karls Familienleben wollte sie nie wissen. Die aktive Beziehung endete, als Karl in Pension ging. Eine Gefährtin blieb Vera ihm aber bis zuletzt. Bis zu seinem Tod besuchte sie ihn -unentdeckt von seinen Kindern. Zuletzt im Altersheim, wo sie nur "die dunkle Dame" genannt wurde. Vor einigen Jahren starb der Mann, mit dem sie ein Leben, aber nie den Alltag teilte.

Bis solche selbstbestimmten Beziehungsmodelle im Mainstream ankommen, wird es noch einige Zeit dauern -zwei bis drei Generationen, schätzt Psychotherapeut Pale. Es lohnt sich aber auch schon jetzt, sein Beziehungsmodell zu hinterfragen. Ist es individuell oder von der Stange? Ist es bewusst gewählt und passt es zu Ihrer Lebenssituation? Vielleicht kommen Sie ja drauf, dass die Monogamie das beste Konzept für Sie ist und Sie in der optimalen Konstellation leben. Dann können Sie Ihr Glück umso bewusster genießen.

Kommentare