Nach dem Terror: Ihr seid Orlando!

Leitartikel: Heute ist in Wien Regenbogenparade. Hoffentlich mit mehr Wut als sonst

von Christoph Wurmdobler © Bild: Ian Ehm

Wir waren Charlie, wir waren Paris, und wir waren auch Brüssel. Nachdem ein Durchgeknallter vergangenes Wochenende in einem Schwulenclub in Orlando 49 Menschen getötet hatte, postete kaum wer „Je suis Orlando“, „Ich bin Orlando“, auf Face book. Nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien wurden weltweit aus Solidarität öffentliche Gebäude in den jeweiligen Landesfarben beleuchtet: Wir alle waren mitgemeint. Immerhin strahlte der Eiffelturm einen Abend lang in den Regenbogenfarben – als Zeichen des Mitgefühls mit den Opfern von Orlando.

Ein Massaker in einem Schwulenclub in Florida? Offenbar nicht unser Problem. Je nach Ermittlungsstand packten Medien und Politik das entsetzliche Attentat – in den USA war es das mit den meisten Ermordeten seit 9/11 – in die Islamisten-, Terror- oder Psychokiste. Es wurde entweder als Angriff auf die offene Gesellschaft betrachtet oder auf die LGBT-Community, auf Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenderpersonen. 49 Tote lassen sich super vereinnahmen und je nach politischem Hintergrund missbrauchen. US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump machte sogar seine Konkurrentin Hillary Clinton dafür verantwortlich. So werden Opfer und deren trauernde Angehörige erneut zu Opfern.

»Was in Orlando passiert ist, hat vor allem eines gezeigt: Homophobie tötet«

Was am Wochenende in Orlando passiert ist, hat vor allem gezeigt: Homophobie tötet. Und unabhängig davon, welche kranken „Motive“ der Attentäter hatte, in den Club Pulse zu gehen und dort reihenweise Menschen abzuknallen, ist Homophobie ein von der Gesellschaft gemachtes Problem. Viele in der LGBT-Community erfahren den Hass regelmäßig im Alltag. Nein, Orlando war kein Angriff auf die offene Gesellschaft, sondern auf eine ganz bestimmte Art zu leben. Eine Art, die religiösen Fundamentalisten und Faschisten aus welchen Gründen auch immer zuwider ist, die sie als Bedrohung empfinden. Genau dagegen muss eine offene Gesellschaft eintreten.

Man braucht dabei nicht auf andere Länder zu blicken. Hass, Diskriminierung, Ausgrenzung, Gewalt: Homophobie gibt es auch bei uns genügend – gesetzlich geregelt oder gesellschaftlich ungeächtet. Wer das nicht glaubt, kann gerne einmal mit seinem besten Freund händchenhaltend durch Ottakring spazieren. Oder als Frau in einem Wiener Kaffeehaus (oder der Uni Wien) die beste Freundin küssen. Was Ehe oder Adoption betrifft, sind Lesben und Schwule auch hierzulande gegenüber Heterosexuellen im Nachteil. Straßenbahnen mit Regenbogenfähnchen zu schmücken macht Österreich nämlich nicht zum Regenbogenwunderland. Wenn diesen Samstag bei der Regenbogenparade Lesben, Schwule und Transgender wieder über Wiens Straßen ziehen (die Route führt heuer erstmals nicht am Parlament vorbei), dann hoffentlich nicht nur als bunt bemaltes Partyvolk im „Jetzt erst recht!“-Modus, sondern auch als wütende Demonstranten und Sympathisantinnen. Eine Regenbogenparade nach dem, was in Florida geschah, ist auch ein Aufruf an alle, sich zu solidarisieren und klar gegen Homophobie und Diskriminierung einzutreten – in der Politik und im Privatleben. Endlich einmal. Ihr seid nämlich auch Orlando.

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