Leben am Minimum

Wie Bezieher von Mindestsicherung und Asylwerber mit ihrem Geld auskommen

Ob Bezieher von Mindestsicherung oder Asylwerber in der Grundversorgung - in Österreich diskutiert man, ob man ihnen nicht die Sozialleistungen kürzen könnte. Aber wofür geben diese Menschen ihr Geld überhaupt aus? Und wie leben sie davon?

von Ein Mann hält eine leere Geldböre in seinen Händen © Bild: Shutterstock.com
»"Hätte ich kein Handy, würde ich die vollen 40 Euro ausgeben und mir eines kaufen"«

Taschengeld: 40 Euro. So viel bekommt Mohammed Abdi Ali jeden Monat. Ali ist ein Flüchtling, er stammt aus Somalia. Ende Juli hat sein Asylverfahren begonnen, im August bekam er das erste Mal seine 40 Euro. Mehr Geld hat er nicht. Ali lebt mit 120 Flüchtlingen in einem Studentenwohnheim im Salzburger Kuchl. Essen, Trinken und Kleidung bekommt er gratis. Was tut einer mit seinem Taschengeld, der gerade in diesem Land angekommen ist? Worauf kann man verzichten und worauf nicht?

© News Mestrovic Marko

"Das Erste, was ich mir gekauft habe, war ein Guthaben für meine Handywertkarte um zehn Euro", sagt Ali. Er hütet sein Handy sorgfältig. Ständig hält er es in der Hand, manchmal umklammert er es sogar mit beiden Händen. Ali ist 31 Jahre alt und hat Internationale Beziehungen studiert. Er hat einen Sohn, Zakaria, der am 15. Dezember seinen zweiten Geburtstag feiern wird. Ali wird da wohl nicht bei ihm sein können, denn sein Sohn und seine Frau sind in der Türkei. Ali flüchtete 2013 mit seiner Frau aus Somalia. Über den Iran kamen sie in die Türkei, dort kam der Sohn zur Welt. Die Überfahrt nach Griechenland sei dann aber zu gefährlich gewesen, zu riskant. "Das konnte ich meinem Baby nicht zumuten", sagt Ali.

Geblieben ist ihm ein günstiges Smartphone. Es ist die einzige Möglichkeit, die Stimme seiner Frau zu hören. Die einzige Möglichkeit, das Lachen seines Sohnes zu sehen. Für sie da zu sein, auch wenn er 2.000 Kilometer entfernt ist. "Wenn ich mit ihnen rede, fühlt es sich so an, als wäre ich bei ihnen", sagt Ali. Er zeigt voller stolz Fotos von Zakaria, der Kleine ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Noch kann Zakaria nicht sprechen, doch wenn er mit seinem Vater telefoniert, dann küsst er das Handy. Immer und immer wieder. Ali macht ein Gesicht, als wisse er nicht, ob er sich darüber freuen oder weinen soll. "Er vermisst seinen Papa", sagt er. Und gleich darauf: "Hätte ich kein Handy, würde ich die vollen 40 Euro ausgegeben und mir eines kaufen."

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Sein Smartphone ist aber noch aus einem anderen Grund wichtig: Musik. Ali hört nicht viele Lieder, die wenigen dafür in Endlosschleife. Sie inspirieren ihn, sie lassen ihn an eine bessere Zukunft hoffen. Zum Beispiel das Lied "Wavin' Flag", die Hymne zur Fußball-WM 2010 in Südafrika. Ali schließt die Augen, wenn er mitsingt. Im Text heißt es: "When I get older, I will be stronger. They'll call me freedom, just like a waving flag." Wenn ich älter werde, werde ich stärker sein. Sie werden mich Freiheit nennen, genau wie eine wehende Fahne.

Manchmal in der Nacht, da quälen ihn Bilder aus seiner Vergangenheit. Es fühle sich dann so an, als wäre er wieder in Somalia, sagt er. Wieder in jenem Haus, in das bewaffnete Männer kamen. In jenem Haus, in dem er mitansehen musste, wie die Männer seine Tanten vergewaltigten und seine Onkel töteten. Ali setzt dann seine Kopfhörer auf: "When I get older, I will be stronger. They'll call me freedom, just like a waving flag." Das Mobiltelefon ist nicht nur die Verbindung zu seiner Familie, sondern hilft ihm auch, seine Vergangenheit zu verarbeiten. Oder zumindest zu ertragen.

Kuchl ist eine Asyl-Vorzeigegemeinde, die Hilfsbereitschaft ist hier enorm. Freiwillige spenden nicht nur Kleidung, sie backen auch Kuchen und organisieren Deutschkurse. Weil Alis Quartier ein Stück weit vom Ortskern entfernt liegt, wurden sogar Fahrräder zur Verfügung gestellt. Seine Kopfhörer bekam er geschenkt, ebenso Stifte und Hefte für die Deutschkurse. Nur seinen größten Wunsch kann ihm hier niemand erfüllen -seine Familie nach Österreich zu bringen.

Daher also: zehn Euro für das Handy. Bleiben noch 30 pro Monat. 20 davon hat Ali seinem Mitbewohner geborgt. "Er hat mich darum gebeten", sagt er. Sein Mitbewohner kaufte mit dem Geld ein Zugticket nach Salzburg. Er hatte gehört, dass es dort Jobs für Asylwerber gibt. Die gab es freilich nicht, Asylwerber dürfen nicht arbeiten. Ali weiß das, er wusste es auch schon vorher. Aber er wollte seinem Freund die Idee nicht ausreden: "Wenn mich jemand um Hilfe bittet, dann sage ich nicht Nein."

Bleiben noch zehn Euro. "Die werde ich sparen", sagt Ali. Nächsten Monat, wenn er wieder 40 Euro bekommt und vielleicht auch sein Mitbewohner seine Schulden begleicht, möchte er seiner Familie 50 Euro schicken. Das sei nun einmal seine Aufgabe, sagt er. Einmal, als Ali noch in der Türkei war, kam ein Fleischhauer zu ihm und bot ihm 100 Dollar für einen Tag Arbeit an. Ali willigte ein, er freute sich. Die Arbeit selbst war mühsam. Ali hackte die Beine von geschlachteten Rindern, trennte ihre Köpfe ab und entsorgte die Abfälle. Seine Kleidung färbte sich rot vom Blut der Tiere. Als die Nacht hereinbrach und Ali bezahlt werden sollte, machte sich der Fleischhauer aber einfach aus dem Staub. Kein Geld, nichts zu machen. Statt mit 100 Dollar in der Tasche musste Ali mit blutverschmierten Händen nach Hause. "Ich habe mich geschämt, so furchtbar geschämt, weil ich meine Familie enttäuscht habe."

In Österreich soll das anders werden, das hat er seiner Frau versprochen. Auch wenn es nicht viel ist, möchte er ihr jeden Monat Geld schicken, bis er einen Weg findet, sie nach Österreich zu holen. Für sich selbst bleibt von den 40 Euro damit: gar nichts. Manche Asylwerber rauchen oder trinken Alkohol, Ali macht das nicht. Wobei, so ganz stimmt die Rechnung nicht. Einmal musste er nach Salzburg fahren, um dort seinen Asylwerberausweis abzuholen. Das dauerte den ganzen Tag, Ali wurde durstig. Da gab er dann doch Geld nur für sich aus, zum ersten und einzigen Mal in diesem Monat: Er kaufte einen Erdbeermilchshake, für 1,40 Euro.

Wenn Sonja Taubinger etwas zu trinken bestellt, dann weiß sie genau, wie viel es kostet. Ein halber Liter Cappy mit Leitungswasser: 2,90 Euro. Das ist im Linzer Café Galerie billiger als ein kleines Cola um 3,20 Euro. 30 Cent können für Sonja Taubinger einen Unterschied machen, besonders am Monatsende. Taubinger ist 36 Jahre alt, sie lebt von der Mindestsicherung. In ihrem Fall sind das 903,20 Euro im Monat. Die meisten Bezieher von Mindestsicherung sind nur ein paar Monate auf die Hilfe angewiesen, bei Taubinger dauert es schon länger. Mit 17 wird sie schwanger, ein Jahr später wieder. Bald danach trennt sie sich vom Vater der Kinder, Taubinger wohnt bei ihrer Mutter. Auch diese Beziehung ist aber schwierig. Die Mutter möchte sie wegen Depressionen in der Psychiatrie behandeln lassen. Doch Sonja Taubinger fühlt sich nicht krank. Sie will in ihr Elternhaus, sie will zu ihren Kindern. Es kommt zum Streit. Ihre Mutter schmeißt sie raus, die Kinder bleiben bei ihrer Oma. Taubinger weiß nicht, wohin. Plötzlich steht sie auf der Straße, plötzlich ist sie obdachlos.

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Fast acht Jahre lang bleibt Taubinger ohne ein festes Zuhause. Sie fängt an zu trinken. Mehr als gut für sie ist. Und sie verliebt sich in einen um 28 Jahre älteren Mann, auch er ist obdachlos. 2007 stirbt er an Leberzirrhose, ein Jahr danach wird auch Taubinger krank: Lymphdrüsenkrebs. Sie schafft es, den Krebs zu besiegen, aber die Strahlen- und Chemotherapie hinterlässt ihre Spuren. Ihr rechtes Auge ist heute blind, auf dem rechten Ohr hört sie kaum noch etwas. Bald schon könnte es ganz taub werden. Taubinger wohnt mit vier anderen in einer betreuten Wohngemeinschaft, ihr Zimmer ist 15 Quadratmeter groß. Die Miete kostet 245 Euro. Fast alle ihre Freunde sind auch von Armut betroffen. "Wenn es jemand schafft, da wieder rauszukommen, wird der Kontakt immer weniger", sagt sie.

Sie sitzt gerne mit ihren Freundinnen im Café Galerie. Im Hinterkopf rechnet der Taschenrechner immer mit. "Zehn bis zwölf Euro, mehr kann ich hier pro Woche nicht ausgeben", sagt sie. Manchmal gehe sie daher auch in eine Sozialeinrichtung der Caritas. Dort ist der erste Kaffee gratis, jeder weitere kostet 50 Cent. "Da kann man öfters eine Runde für die Freunde schmeißen." Für Zigaretten zahlt sie im Monat 150 Euro. Wenn sie sich die Zigaretten selber dreht, kommt das billiger. 90 Euro könne sie so im Monat sparen, sagt sie.

Kleidung kauft Taubinger beim Textildiskonter Kik. Ihre dunkelblauen Jeans hat sie auch von dort. Zehn Euro haben sie gekostet, so viel gibt sie üblicherweise für eine Hose aus. "Wenn sie mir wirklich gut gefällt, dann zahle ich vielleicht auch 20 Euro", sagt sie. Zweimal im Jahr kauft sie sich neues Gewand, einmal für den Sommer, einmal für den Winter. "Da gebe ich dann auch gerne mehr Geld aus: 50 bis 60 Euro."

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Lebensmittel kosten sie im Monat etwa 300 Euro. Meistens geht sie zum Hofer, manchmal auch zum kleinen türkischen Supermarkt ums Eck. Taubinger kocht in ihrer WG für sich und ihren Lebensgefährten. "Für zwei Leute zahlt sich das aus. Wenn man alleine ist aber nicht", erklärt sie. Zu Mittag gibt es zum Beispiel Gemüseauflauf oder Krautfleckerl. Am Abend isst sie kalt: Brot mit Käse, Wurst oder Aufstrich. Zum Frühstück gibt es dasselbe.

Es ist nicht so, dass Sonja Taubinger den ganzen Tag nichts tut, im Gegenteil. Sie schreibt für die Linzer Straßenzeitung "Kupfermuckn", das Pendant zum Wiener "Augustin". Und sie vertritt die Interessen der Obdachlosen aus Oberösterreich in der Armutskonferenz, einem Netzwerk aus mehr als 40 sozialen Organisationen. Um das tun zu können, muss sie Mails beantworten und sich laufend informieren. Sie braucht also: Geld. 20 Euro gibt sie im Monat für Telefon und Internet aus. Auch einen Tablet-Computer hat sie sich geleistet, um 70 Euro. "Dafür habe ich zwei Monate gespart", sagt sie.

Vorige Woche kam sie nach Wien und stellte bei einer Pressekonferenz eine Studie zum Thema Armut und Gesundheit vor. Die Reisekosten übernahm die Armutskonferenz, sonst hätte sich Taubinger die Fahrt nicht leisten können: "Auf eigene Kosten fahre ich höchstens ein Mal im Jahr nach Wien. Solche Extraausgaben gehen sich öfter nicht aus." Das Ticket kostet etwa 34 Euro. "Man überlegt eben: Soll ich im Supermarkt ein Fleisch kaufen oder doch lieber auf ein Ticket nach Wien sparen?"

Für immer möchte sie nicht in dieser Lage bleiben. Sie hofft, irgendwann wieder eine Arbeit zu finden, aber wegen ihrer Behinderung sei das schwer. "Eine Halbtagsstelle in einer geschützten Werkstatt würde gehen." Bald schon möchte sie mit ihrem Lebensgefährten in eine eigene Wohnung ziehen. Zwei Zimmer für 490 Euro Miete, da könne man schon etwas finden. Aber die Miete ist nicht das Einzige. Kaution, Ablöse, Möbel, Umzug: Das alles kostet Geld. "Irgendwie werden wir das schon schaffen", sagt Taubinger.

Was würde sich in ihrem Leben ändern, würde man die Mindestsicherung kürzen? "Kaffeetrinken wäre noch seltener drin, und ich wäre noch mehr auf Aktionen im Supermarkt angewiesen", sagt sie. Natürlich, Taubinger könnte auch von weniger Geld leben. Sie weiß genau, wo sie noch sparen könnte: Sozialmarkt statt Hofer, Kleiderspenden statt Kik, Mittagessen für 50 Cent in Sozialeinrichtungen. Das alles könnte sie in Anspruch nehmen, verzichtet aber darauf. "Viele Menschen sind schlechter dran, die brauchen das dringender", sagt sie. Außerdem bewahrt sie sich so ihre Selbstständigkeit. Sie entscheidet selbst, was sie isst, was sie einkauft und was sie anzieht. "Solange ich etwas selber machen kann, will ich es auch selber machen."

Und was würde sie tun, wenn sie ein wenig mehr Geld hätte? "Das Linzer Hummelhofbad hat einen schönen Wellnessbereich. Dort würde ich gerne einmal einen Tag verbringen." Kostenpunkt: 10,80 Euro.

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