Wie Sie aus der Krise etwas Positives ziehen können

Hoffnungsforscher Andreas Krafft darüber, wie wir Positives aus der Krise ziehen können und warum die Menschen in Nigeria die zuversichtlichsten sind.

von Hoffnung - Wie Sie aus der Krise etwas Positives ziehen können © Bild: iStockphoto.com
Als Dozent und Forschender an der Universität St. Gallen leitet er das internationale Netzwerk des Hoffnungsbarometers. Er ist Co-Präsident von swissfuture (der Schweizerischen Gesellschaft für Zukunftsforschung) und Vorstand der Swiss Positive Psychology Association.
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Andreas Krafft ist Hoffnungsforscher. Seit 2009 erhebt er jährlich ein Stimmungsbild der Bevölkerung - so auch im Corona-Jahr 2020. Dabei stellte er fest, dass die Bevölkerung durch die Coronakrise derzeit eine mittelstarke Stressbelastung erlebt. Besonders betroffen sind alleinstehende, junge und unverheiratete Personen.

Doch warum kommen manche Menschen psychische besser durch die Krise als andere? Und in welchen Ländern sind die Menschen am zuversichtlichsten?

Sie sind Hoffnungsforscher. Sehen Sie selbst in Zeiten der Corona-Krise hoffnungsvoll in die Zukunft?
Natürlich. Ich muss doch das leben, was ich predige. Ich sehe, dass die aktuelle Situation nicht einfach und gerade sehr viel Mutlosigkeit und Enttäuschung in den Menschen vorhanden ist. Gleichzeitig weiß ich, dass wir in der Vergangenheit als Gesellschaft als Ganzes stark und widerstandsfähig waren und heutzutage nach wie vor sind. Wir haben die besten Voraussetzungen, aus dieser Krise gestärkt herauskommen. Diese Krise ist eine Riesenchance, aber wir müssen sie nützen. Dazu müssen wir immer auch die positiven Seiten sehen.

Dennoch sind viele Menschen derzeit niedergeschlagen und nicht sehr optimistisch. Wie kann es jedem Einzelnen gelingen, wieder hoffnungsfroh in die Zukunft zu schauen?
Unsicherheit ist etwas Negatives. Vorerst einmal. Es werden Gewohnheiten in Frage gestellt. Auf der anderen Seite hat die Unsicherheit einen positiven Effekt, denn sie öffnet neue Möglichkeiten. Das heißt: Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Daher muss ich mir besondere Gedanken machen, wie es weitergehen soll. In solchen Situationen kommen Erfindergeist und das Experimentieren mit neuen Ideen sehr stark zum Ausdruck. Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Monaten gemerkt, dass wir das nicht alleine machen müssen, sondern gemeinschaftlich. Die derzeitige Situation ist natürlich für Menschen, die alleine leben, schwieriger. Aber wir haben festgestellt, dass es im Gros der Bevölkerung lange nicht so düster ausschaut, wie es oft zu sein scheint. So wissen wir von unserer Studie vom November, dass der Stress, den die Menschen derzeit erleben auf einer Skala von eins bis zehn irgendwo zwischen fünf und sechs liegt.

In seinem Sachbuch "Positive Psychologie der Hoffnung"* gibt Andreas Krafft einen Überblick über das Phänomen Hoffnung und präsentiert dazu Forschungsergebnisse. Springer, 26,99

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Dennoch steigt die Zahl der Unzufriedenen, die mit der Situation nicht zurechtkommen. Wie unterscheiden sich diese Menschen von jenen, die in der Krise eine Chance sehen?
Wir strukturieren das in der Psychologie in vier Felder. Auf der einen Seite gibt es jene Menschen, die eher offen für Neues sind und auch Mut haben, etwas Neues zu wagen. Auf der anderen Seite sind jene, die mehr bewahren, das Alte wiederherstellen wollen und zurückdenken. Zusätzlich gibt es unter den Menschen dann zwei weitere Pole: jene Personen, die nur an sich denken -es geht ihnen um ihre Karriere, um ihr Wohlbefinden und ihre Freiheit. Und dann gibt es noch die andere Gruppe, die sagt, es geht um mehr als um mich alleine. Ihnen geht es um die Gemeinschaft und um eine größere gesellschaftliche Ausrichtung. Menschen, die sehr bewahrend sind und zusätzlich hauptsächlich auf sich selbst schauen, kämpfen um ihre eigene Rechte. Jene, die offen für Neues sind und gleichzeitig in einem größeren Ganzen denken, sind jene, die proaktiv und mit anderen zusammen in einer Krise neue Lösungen entwickeln.

Passend dazu: Was uns in dunklen Zeiten Hoffnung gibt

Ist dieses egoistische Denken in den vergangenen Jahren stärker geworden?
Wir leben in einer Zeit, in der das individualistische Denken sehr stark zugenommen hat. Aber wir erleben als Gegentrend auch in unseren Umfragen gleichzeitig eine viel solidarischere Gemeinschaft, in der der Zusammenhalt stärker ist. In Krisensituationen verhärten sich diese Fronten allerdings, weil man zu stark auf das Negative und auf die Ängste fokussiert und die Chancen und das Positive, das dabei entstehen könnten, wenn wir es richtig anpacken, eigentlich nicht mehr im Fokus stehen.

Sie erstellen das internationale Hoffnungsbarometer? Welche Länder sind sehr hoffnungsfroh und welche sind die Schlusslichter?
In den Umfragen vor der Corona-Krise haben wir festgestellt, dass etwa Nigeria, Südafrika, Kolumbien und Indien eher im oberen Viertel sind. Die Schweiz liegt so in der Mitte. Und Staaten wie Tschechien und Frankreich sind eher die Schlusslichter, obwohl diese Länder vom Wohlstand höher entwickelt sind als jene in Afri ka oder Lateinamerika. 2020 hat es sich ein bisschen verschoben. Aber Nigeria ist weiterhin Nummer eins.

© Bloomberg Finance LP/Getty Images Nirgendwo blicken die Menschen hoffnungsvoller in die Zukunft als in Nigeria

Warum sind die Menschen in Nigeria so viel zuversichtlicher als in Europa?
Länder, die in der Vergangenheit schwere Zeiten wie etwa einen Bürgerkrieg erleben mussten und danach einen Schritt Richtung mehr in Demokratie oder mehr Wohlstand gemacht haben, sind grundsätzlicher hoffnungsvoller und positiver. Länder wie die Schweiz oder Österreich sind auf einem extrem hohen Niveau. Wenn die Menschen an die Zukunft denken, glauben sie, es kann nur mehr bergab gehen.

Geht es in diesen Ländern dann auch tatsächlich bergab, oder ist das nur das Empfinden der Bevölkerung?
Das ist eine Langzeitperspektive. Kurzfristig trifft das nicht ein. Der Großteil der Jugendlichen in der Schweiz glaubt, 2040 wird es uns schlechter gehen als heute. Dabei geht es nicht nur um Wohlstand, sondern auch um gesellschaftliche und politische Zusammenhänge sowie Umwelt und Ökologie.

Was raten Sie Menschen, die in der derzeitigen Situation gerade nicht sehr hoffnungsfroh sind?
Das Gegenteil von Hoffnung sind Mutlosigkeit, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Das sollte sich jeder bewusst machen und sich fragen, ob er in dieser Situation bleiben möchte. Danach muss man den Willen aufnehmen, um nicht in dieser Negativspirale stecken zu bleiben. Man muss sich irgendwann wieder neue Ziele und Projekte überlegen und gewisse Wunschbilder entwickeln. Dann brauche ich den Glauben, dass das, auch wenn es schwierig ist, überhaupt möglich ist. Diesen Glauben kann ich nur entwickeln, wenn ich eine Überzeugung in meine Fähigkeiten sowie Vertrauen in mich und meine Mitmenschen habe. Ich brauche Offenheit für Neues und eine neue Denkweise im Sinne von Zuversicht. Dabei tun sich Menschen in Gesellschaft natürlich leichter als Alleinstehende.

»Unsicherheit hat auch einen positiven Effekt: Sie öffnet neue Möglichkeiten«

In den letzten Wochen wurde auch viel über die Situation der Kinder diskutiert. Wie können Eltern ihre Kinder derzeit psychisch stärken, damit diese nicht den Mut verlieren?
Das Beste, was ich den Kindern beibringen kann, ist, nicht fatalistisch zu sein. Das heißt, zu Hause nicht immer nur über Probleme, sondern auch über positive Dinge zu reden. Und natürlich muss ich an die Kinder und Jugend glauben. Wir arbeiten unter anderem mit Schulen zusammen, um den jungen Menschen eine positive Perspektive zu geben. Am Anfang kommt auf die Frage, was jeder heute Positives erlebt hat, keine Antwort. Wir fordern die Schüler dann auf, nochmals nachzudenken. Schließlich kommen Dinge wie zum Beispiel: Das Mittagessen war sehr gut. Die Kinder lernen dabei, dass es um ein Reframing, eine Neubewertung der Situation, geht -und das muss geübt werden.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News der Ausgabe 07/2021.