Neue Hoffnung

Kurz vor Duchbruch? Studie für individualisierte Krebsmedizin in Wien gestartet.

Das Konzept der personalisierten Krebsmedizin - der zielgerichteten und individuellen medikamentösen Therapie für einen individuellen Tumor jedes Patienten - ist nicht ganz neu. Vor rund 40 Jahren bildete die Entdeckung, dass etwa 50 Prozent aller Mammakarzinome Östrogenrezeptoren im Zellinneren haben, die Basis. Doch die modernen molekularbiologischen Methoden sollen dem Konzept jetzt endgültig zum Durchbruch verhelfen. In der "Exact"-Studie mit rund 50 Patienten soll nun am Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH erstmals in Österreich ein System zur individualisierten Krebsmedizin etabliert werden.

von Frau bei der Computertomographie © Bild: Thinkstock/iStockphoto

Bei der Diagnose von Tumorerkrankungen verwendete Gewebeproben werden genetisch auf charakteristische Mutationen untersucht. Die medikamentöse Therapie soll dann ganz genau darauf abgestimmt werden. Die ersten Probanden sind bereits in die Studie aufgenommen.

Wenn sonst nichts hilft

"Wir wenden die Methode bei Krebspatienten an, für die wir nach dem derzeitigen Stand der Medizin keine etablierte medikamentöse Therapie mehr haben. Nach ihrer Einverständniserklärung wird das Tumormaterial molekularbiologisch untersucht. Bösartige Zellen können an ihrer Oberfläche oder im Zellinneren – von Fall zu Fall verschieden - ganz bestimmte Merkmale tragen. Dazu passen jeweils modernste Medikamente der sogenannten zielgerichteten Therapie. Die sollen dann jeweils ganz spezifisch eingesetzt werden", sagte Onkologe Gerald Prager von der Universitätsklinik für Innere Medizin I (Klinische Abteilung für Onkologie).

Das Zukunftsprojekt - noch ist es deutlich zu früh, dass sich Patienten selbst dafür melden könnten, es geht primär um den Beweis der Machbarkeit - bedarf der Kooperation einer ganzen Reihe von Spezialisten, wie sie weltweit nur an wenigen Universitätskliniken überhaupt möglich ist: Pathologen, Onkologen, Bioinformatiker, Molekularbiologen etc. Im Rahmen des "Exact"-Projekts in Wien wird genau das etabliert.

Riesiges Experten-Team

Der Start liegt bei den Pathologen. Friedrich Wrba von der Klinischen Abteilung für Pathologie von AKH und MedUni Wien: "Wir bekommen zur Diagnose der Art der Tumorerkrankung Gewebeproben. Sie werden in Paraffin eingeschlossen gelagert. Im Rahmen der neuen Studie gewinnen wir aus ganz geringen Anteilen dieser Probe die Erbsubstanz aus den Tumorzellen und analysieren sie. Wir entschlüsseln Anteile von 48 bis 50 Genen, die für Entstehung, Aufrechterhaltung und Wachstum des Tumors verantwortlich sind und wollen dabei die verantwortlichen Mutationen feststellen."

Daraus ergibt sich derzeit ein riesiger Datenwust aus rund 780 Einzelpositionen – zum Beispiel auf Mutationen im HER2/neu-, K-Ras-, Met/Alk- oder p53-Gen. Ein Team um den Bioinformatiker Arndt von Haessler bekommt die Daten zur weiteren Auswertung. Der Wissenschafter: "Wir sollen aus den Daten die wichtigen Fakten herausfiltern. Wir müssen das 'Grundrauschen' beseitigen."

Keine wissenschaftliche "Spielerei"

Was für die Therapie des betreffenden Patienten wichtig sein könnte, bekommen dann Stefan Thurner und seine Kollegen vom Institut für Komplexe Systeme der MedUni Wien. Der Experte: "Wir entwickeln einen Algorithmus, bei dem wir die genetischen Daten mit den zur Verfügung stehenden zielgerichteten Medikamenten in Verbindung bringen wollen. Dann kommt ein Vorschlag für die Therapie heraus. Das System sollte selbst lernend sein." Man schätze, dass man nach 5.000 bis 10.000 Fällen soweit sein könnte, quasi automatisierte Behandlungsvorschläge für jeden einzelnen Patienten zu generieren.

Die Sache ist keine wissenschaftliche "Spielerei". Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin I der MedUni Wien am AKH, Onkologe und CCC-Koordinator, Christoph Zielinski: "Wir wollen mit dem 'Exact'-Projekt belegen, dass man durch ein solches System die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung bei Patienten, für die wir sonst keine etablierten Behandlungsoptionen mehr haben, um 30 Prozent verlängern können. Das wäre für diese Patienten schon ein sehr großer Erfolg."

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