Ein Spital, das alle Stückeln spielt

Ein Spital nimmt Gesalt an. Was die Patientinnen und Patienten erwartet.

Während die Debatte um Kosten und Bauzeit schwelt, nimmt das Krankenhaus Nord Gestalt an. Auf die künftigen Patienten wartet einiges an Innovation

von Krankenhaus Nord - Ein Spital, das alle Stückeln spielt © Bild: Copyright 2017 Matt Observe - all rights reserved.

Ja, das Krankenhaus Nord kostet eine Menge Geld, deutlich mehr als projektiert. Wie viel, das wird man erst bei der Endabrechnung sehen. Und ja, es wird viel später fertig als geplant. Der Rechnungshof hat das riesige Bauvorhaben genau unter die Lupe genommen und eine Menge Beanstandungen, wofür der Wiener Krankenanstaltenverbund KAV im Gegenzug jedoch Erklärungen hat. Während diese Debatte also weiter schwelt, nimmt an der Brünnerstraße in Floridsdorf Wiens modernstes Spital Gestalt an, das voraussichtlich Ende nächsten Jahres in Betrieb gehen wird. Bei einer Führung kann man schon erahnen, wie das Krankenhaus aussehen und was es können wird.

© KAV/Health Team KHN Wer akut verletzt oder krank ist, kommt ins Notfallzentrum des KH Nord. Für die Ambulanzen werden Termine vergeben.

Schon die Zahlen sind beeindruckend: 111.000 Quadratmeter Grundstücksfläche, 47.000 Quadratmeter Parkfläche, 16 Operationssäle, 785 Betten in Ein-und Zweibett-Zimmern, in denen jährlich rund 46.000 Patienten und Patientinnen stationär aufgenommen werden. 250.000 Menschen werden jedes Jahr in die Ambulanz kommen. 2.500 Beschäftigte werden für den Ablauf der Riesenmaschinerie sorgen. Die Baukosten können auch heute noch nur geschätzt werden. Sie sind von ursprünglich budgetierten 825 Millionen Euro auf der Preisbasis von 2008 - das wären heute, valorisiert, 954 Millionen - auf prognostizierte 1,09 Milliarden Euro angestiegen.

© ZOOM visual project gmbh So wird das Krankenhaus Nord aussehen. Derzeit läuft der Innenausbau, die technische Inbetriebnahme hat begonnen.

Notfall oder mit Termin?

Aber was wird dieses Spital können, was erwartet die Patienten? Ein hochmodernes Krankenhaus mit einem chirurgischen Schwerpunkt aus Herz-und Gefäß-, Thorax-und Unfallchirurgie, mit Gynäkologie und Eltern-Kind-Zentrum, Psychiatrie und noch weiteren Abteilungen. Es wird das Krankenhaus Floridsdorf, die Semmelweis Frauenklinik, das Orthopädische Krankenhaus Gersthof und einzelne Abteilungen aus anderen Spitälern aufnehmen. Wie sich Patientinnen und Patienten da zurechtfinden, wurde gut durchdacht.

Die Schnellbahnstation wurde erneuert und zum Haupteingang gerückt. Ein langer Gang führt zu Infopoint und Babypoint (wo man Amtswege für Neugeborene erledigt), zum Notfallzentrum, zu Terminambulanzen und Tageszentren, zum Operations-und Intensivzentrum und zu den Bettenstationen.

Ein bisschen werden sich die Wienerinnen und Wiener umgewöhnen müssen. Sie kamen bisher im Akutfall, aber auch mit schon länger bestehenden Beschwerden einfach in jede Spitalsambulanz. Wenn sie dort lange warten müssen, weil Akutfälle Vorrang haben, schimpfen sie darüber. Hier wird das anders funkti0nieren. Wer akut erkrankt oder verletzt ist, kommt ins Notfallzentrum. Rund um die Uhr stehen fächerübergreifende Teams zur Erstbeurteilung bereit. Im besten Fall können Patienten nach der Erstversorgung heim-oder zum niedergelassenen Arzt geschickt werden. Dringliche Fälle werden im Schockraum behandelt oder werden operiert. Bis zu 48 Stunden können Patienten zur Beobachtung im Notfallzentrum bleiben. Auf den Stationen soll es dafür ruhiger zugehen.

© Copyright 2017 Matt Observe - all rights reserved. Die Bereiche für Patienten sind geschützt, dazwischen liegen Innenhöfe mit viel Licht und Pflanzen

In die Ambulanzen kommt man nur mit einem Termin, was die Wartezeit deutlich senken soll. Deshalb gibt es nur einen kleinen Wartebereich. Die Patienten sind beim Empfang nicht durch Glaswände vom Pflegepersonal getrennt. Allerdings zeigt die Erfahrung: Man braucht überall im Haus Security, um das Personal vor aggressiven Patienten oder Angehörigen zu schützen.

Schon jetzt sind bis zu 60 Sicherheitsleute rund um die Uhr im Einsatz. Jeder auf der Baustelle wird kontrolliert, ebenso alle Fahrzeuge bei Zu-und Abfahrt. "Unser größter Aufwand derzeit", sagt Bauprojektleiter Wolfgang Strenn, "besteht darin, das Errichtete zu schützen." So ist der Empfangsbereich schon fertig, aber durch Ummantelung gesichert, die Rolltreppen sind fertig, aber noch eingehaust.

16 OP-Säle

Das Operationszentrum mit 16 Operationssälen, in denen von 8 bis 18 Uhr operiert wird, spielt alle Stückeln. Drei Säle stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Die OP-Säle werden erst ganz am Schluss eingerichtet, um die zu dem Zeitpunkt beste Medizintechnik zu bekommen. Im Simulationszentrum werden Operationen trainiert, an Puppen, die auch Blutdruckabfall oder Herzrhythmusstörung vorführen können. Die ärztliche Leiterin des Krankenhauses, Professorin Sylvia Schwarz sagt: "Alle Operateure, die Pflege und Anästhesisten sind dabei, alles wird auf Video aufgenommen und nachher analysiert. Durch Glasfenster können andere zuschauen und lernen -so wie man das aus Spitalsserien kennt."

Sie zählt auf: "Wir haben 80 Intensiv-und Überwachungsbetten und direkt in der Ebene darunter im Notfallzentrum vier Schockraumplätze, alles gut durchdacht. Im gesamten Spital werden rund 370 Ärzte, etwa 900 Pflegepersonen und 270 Mitarbeiter in medizinisch-technischen Berufen tätig sein." Wie es ihnen damit geht, dass immer wieder vom "Skandalkrankenhaus" gesprochen wird? Schwarz: "Das ist deprimierend. Der Zeitplan war zu ehrgeizig. Wenn die Stadt Wien so viel Geld für ein Spital in die Hand nimmt, ist das doch gut. Der ganze Bezirk wird aufgewertet."

Das KH Nord

1,1 Milliarden Euro für Medizin und Technik

Die Inbetriebnahme des KH Nord wird derzeit für Ende 2018 angesagt. Es soll 46.000 stationäre Aufnahmen und 250.000 Ambulanzbesuche im Jahr bewältigen. Statt der ursprünglich budgetierten 825 Millionen Euro rechnet der Krankenanstaltenverbund aktuell mit 1,09 Milliarden Euro. Der chirurgische Schwerpunkt ist besonders kostenintensiv, Sonderpflegebereiche wie die Psychiatrie sind teurer als andere Stationen. Auch das Notfallzentrum und standardisierte neue Medizintechnik sind ein starker Kostenfaktor. Statt bisher üblichen Vierbettzimmern wird es im KH Nord 785 Ein-und Zweibett-Zimmer geben. Zusätzlich wurde viel in die Infrastruktur investiert: Die Schnellbahnstation wurde näher gerückt und modernisiert, Straßenbahn und Busse führen vor die Tür, das Radwegenetz wurde bis zum Spital ausgebaut. Es wird E-Bike-Ladestationen und Radgaragen geben, Hoch-und Tiefgarage für Autos ebenso. Die Rettungsstation übersiedelt vom Floridsdorfer Spitz ins Spital. Gasleitungen, Wasser-und Kanalnetz wurden erneuert. Beim Babypoint kann man alle Amtswege für ein Neugeborenes erledigen.

Die PatientInnen schauen von den Zimmern auf begrünte Innenhöfe, auf Therapiegärten, wo etwa die Psychiatriepatienten garteln oder Sport betreiben können, auf begrünte Dächer oder in den neu errichteten Park hin zur Schnellbahn. Sie wurde mit gedämpften Schwellen und einer Lärmschutzwand ausgestattet. Tatsächlich hört man von ihr nur leises Summen.

Bei jedem Bett gibt es einen Bildschirm mit TV, Radio, Spielen, aber auch mit einem Infobereich, wo der Patient zum Beispiel sehen kann, wann er zum nächsten Untersuchungstermin abgeholt wird. Auf der Fensterbank kann im Bedarfsfall ein Angehöriger übernachten, man muss nicht wie bisher ein Klappbett aufstellen. Die Badezimmer wurden so eingerichtet, dass Rollstuhlfahrer in die Dusche fahren können. Und die eigens entwickelten, mit einem internationalen Design-Preis ausgezeichneten, mobilen Patientenschränke werden mit einem Chip am Handgelenk versperrt und können in andere Zimmer mitgenommen werden.

Ein eigenes Stationsmanagement wird Aufnahme, Entlassung, Visiten und Tagesablauf organisieren, die Nutzung der Spitalsbetten wird von einem Belegungsmanagement gesteuert.

Der Probebetrieb läuft

Der Innenausbau des Spitals soll bis Jahresende abgeschlossen sein. Die Ambulanzen sind fast fertig, die Bettenstationen werden derzeit eingerichtet, an den Operationssälen wird gearbeitet. Projektleiter Strenn sagt: "Der technische Probebetrieb hat Ende 2016 begonnen. Strom und Heizung arbeiten schon, demnächst werden Kühlung und Dampfanlage in Betrieb genommen. Jede Komponente, die in Betrieb geht, wird nicht mehr abgeschaltet."

Bevor Ende 2018 der PatientInnen-Betrieb beginnt, "brauchen wir noch eine intensive Schulungsphase und einen medizinischen Probebetrieb", sagt die ärztliche Leiterin Schwarz. Wenn dann alles einmal läuft, wird man vielleicht nicht mehr so viel über die Kosten sprechen, sondern darüber, was das Spital kann. Bei der Elbphilharmonie ist es so gekommen. Aber die steht in Hamburg, nicht in Wien.

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