Was das Bundesheer
jetzt wirklich braucht

„Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif“, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner zu Jahresbeginn und kündigte trotz Corona-Verschuldung an, mehr Geld für das Bundesheer bereitzustellen. Aber zahlt sich das aus? Was braucht unser Bundesheer wirklich? Ein Gastkommentar von Politikberater und Analyst Franz-Stefan Gady.

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Kommentar - Was das Bundesheer
jetzt wirklich braucht
Franz-Stefan Gady ist Politikberater und Analyst am Institute for International Strategic Studies (IISS) in London. Er berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den Vereinigten Staaten zu Themen der Strukturreform, organisatorische, doktrinelle Weiterentwicklung, sowie der Zukunft des Krieges. Twitter: @hoanssolo.

Das Bundesheer wurde 2020 seinen Ruf als “strategische Reserve” der Republik gerecht. Bis zu 8.600 Soldaten/innen waren in Spitzenzeiten im letzten Jahr während der Corona-Pandemie im Einsatz. Angehörige des Bundesheeres wurden beim Contact-Tracing, bei der Auslieferung von Test-Kits sowie der Durchführung und Unterstützung von Massentestungen eingesetzt. Laut Generalstabschef Robert Brieger brachte das den Streitkräften - neben den altbekannten Tätigkeiten bei Naturkatastrophen - einen gehörigen “Image-Schub”.

Doch mit der eigentlichen Hauptaufgabe des Bundesheeres, der militärischen Landesverteidigung, hatten diese Betätigungsfelder im Jahre 2020 wenig zu tun. Tatsächlich war das Bundesheer in keinem Jahr seiner bisherigen Existenz dazu in der Lage, das Land effektiv militärisch zu verteidigen. Unsere Streitkräfte sind weder fähig, den österreichischen Luftraum zu schützen, noch die territoriale Integrität der Republik im Ernstfall zu bewahren. Auch im Cyberraum ist das Heer nur bedingt verteidigungsfähig. Das ist teilweise auf die österreichische strategische Kultur zurückzuführen, wie ich es in einem anderen Beitrag bereits beschrieben habe.

»Die politische Führung des Landes erzeugte über Jahrzehnte eine verteidigungspolitische Lethargie«

Die politische Führung des Landes konnte diese Unfähigkeit mit fortwährenden rhetorischen Bekundungen zur Neutralität und militärischen Landesverteidigung immer recht gut kaschieren. Gepaart mit der Annahme, dass die NATO Österreich vor größeren militärischen Bedrohungen schützen werde, erzeugte sie über Jahrzehnte eine verteidigungspolitische Lethargie. Unterfinanzierte Reformen und Streitkräfte waren die Folge.

Nun findet wieder ein Umstrukturierungs- und Reformprozess im Bundesheer statt. Die Armee soll militärisch gestärkt und effektiv auf zukünftige Bedrohungen vorbereitet werden. Das ist begrüßenswert. Die angekündigten Budgeterhöhungen, sowie die von Generalstabschef Robert Brieger verkündete Erstellung von sogenannten Risiko-Bildern, also Bedrohungsszenarien, von denen man organisatorische Ableitungen für die zukünftige Streitkräftestruktur ableiten kann, gehen ebenfalls in die richtige Richtung.

Rückschlüsse für eine Restrukturierung

Von den Erfahrungen anderer Länder und Streitkräfte, die gerade ähnliche Prozesse durchlaufen oder bereits durchlaufen haben, lassen sich etwaige Rückschlüsse für den Restrukturierungsprozess innerhalb des österreichischen Bundesheeres ziehen.

Erstens benötigt jeder Reformprozess eine klare Problemstellung. Was erwartet sich die Politik von unserem Bundesheer? Und was genau bedeutet militärische Landesverteidigung konkret, angesichts zu erwartender zukünftiger Bedrohungsszenarien? Hier sollte unter anderem erwähnt werden, dass ein Kleinstaat wie Österreich im 21. Jahrhundert nicht fähig sein wird, sich ohne Verbündete militärisch effektiv zu verteidigen.

Zweitens sollten schon jetzt einige öffentliche und interne Debatten zur Fähigkeitsentwicklung angestoßen werden. So wird die Beschaffung von bewaffneten Drohnen, ausgestattet mit Präzisionsmunition, unumgänglich für die zukünftige militärische Einsatzfähigkeit der Streitkräfte sein. Das gleiche gilt für sogenannte offensive Fähigkeiten im Cyberraum, um eigene Netzwerke pro-aktiv verteidigen und gleichzeitig potenzielle Gegner vor Angriffen abschrecken zu können. Hierbei sollte auch klar kommuniziert werden, dass effektive Cyberverteidigung nur in Kombination mit starker nachrichtendienstlicher Fernmelde- und elektronischer Aufklärung funktionieren kann.

Drittens sollten geflügelte Wörter wie “hybride Bedrohungen” oder “hybride Gegner” nicht zwangsläufig bedeuten, dass konventionelle Fähigkeiten wie zum Beispiel Artillerie oder Kampfpanzer abgeschafft werden. Wie der Krieg um Berg-Karabach zeigte, wird der Kampfpanzer auch in Zukunft im Gefecht eine wichtige Rolle spielen. Im Moment gibt es einfach keine Alternative zu gepanzerten Fahrzeugen was Mobilität, Feuerkraft, und Personenschutz im Gefecht betrifft. Derartige Fahrzeuge müssen jedoch vor Angriffen aus der Luft (zum Beispiel durch Kampfdrohnen) und dem elektromagnetischen Spektrum besser geschützt werden. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf.

Viertens muss eine Kerntruppe des Bundesheeres zu sogenannten multidimensionalen Einsätzen fähig sein. Der doktrinäre Trend weltweit geht in Richtung vernetzte “Multi-Domain-Operations”, eine beschleunigte, breiter integrierte Form des Kampfes verbundener Waffen. Das bedeutet die enge Integration von Teilstreitkräften und Fähigkeiten aus unterschiedlichen militärischen Dimensionen (“Domains”) zu Land, Luft, und der See, sowie dem Weltraum, dem Cyberraum, und dem gesamten elektromagnetischen Spektrum.

Um jene Fähigkeiten besser zu integrieren und zu synchronisieren, könnte zum Beispiel ein multidimensionales Battalion geschaffen werden, welches die einzelnen Brigaden bei ihren Einsätzen unterstützen könnte. Das Bataillon würde aus Experten im Bereich der taktischen Cyber- und Informationskriegsführung, des elektronischen Kampfes, sowie der Fernmelde- und elektronischer Aufklärung bestehen. Nur unter dem Schutzschirm so einer Einheit könnten die anderen Verbände des Heeres im Ernstfall überhaupt erst gegen einen hybriden Gegner operieren.

»Eine gute und ständige Ausbildung sollte daher die Regel und nicht die Ausnahme sein«

Abschließend sei erwähnt, dass der Faktor Mensch auch in Zukunft der Schlüssel zur militärischen Effektivität und gesteigerten Einsatzfähigkeit sein wird. Keine neuen technologischen Fähigkeiten, seien es autonome Waffensysteme oder Künstliche Intelligenz, werden schlecht ausgebildete Soldaten und Soldatinnen kompensieren können. Eine gute und ständige Ausbildung, nicht unterbrochen von nicht-militärischen Assistenzeinsätzen, sollte daher die Regel und nicht die Ausnahme sein.


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