Jürgen Klopp im Interview über
Niederlagen und Herausforderungen

Die Fußball-Welt blickt gespannt auf die Zukunft des BVB-Coachs, wir blicken zurück

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Fussball - Jürgen Klopp im Interview über
Niederlagen und Herausforderungen

Jürgen Klopp ist nicht rasiert und kaum frisiert. Wenn er lacht, zeigt er mehr Zähne als er Spieler auf das Spielfeld schickt. "Hallo, ich bin der Jürgen“, sagt er. Privat steht er auf Österreich, wie der 46-jährige Schwabe im NEWS-Exklusivinterview erzählt. Nicht nur, dass er jedes Jahr mit dem BVB in Kirchberg im Brixental die Saisonvorbereitung absolvierte. Er war auch zwei Mal in Wien: "Da hat man dauernd das Gefühl, gleich biegen Sissi und Franzl um die Ecke.“

Jürgen Klopp, Borussia Dortmunds Meistertrainer 2011 und 2012, schafft "eine Wohlfühl-Atmosphäre“, wie er es nennt. Für den Besuch aus der Alpenrepublik, behauptet er, habe er sich extra locker gekleidet: verwaschenes T-Shirt, Jeans. Im Interview lacht er oft und laut.

NEWS: Wenn ich morgen als Spieler bei Ihnen anfangen würde - was müsste ich tun, um mich gleich unbeliebt zu machen?

Klopp: Wir hätten uns ja schon vorher kennengelernt, sonst hätte ich Sie gar nicht erst verpflichtet. Ich würde mit Sicherheit mit Ihnen über Ihre Frisur sprechen. Ich würde nicht sagen: Machen Sie sie anders. Aber ich hätte den einen oder anderen Schmäh parat. Unbeliebt könnten Sie sich machen, wenn Sie völlig anders wären als bei unserem ersten Kennenlernen. Aber wenn ein Spieler beim BVB beginnt, ist klar: Er kann kicken, und ich wollte ihn. Wo soll dann das Problem liegen?

NEWS: Sie checken jeden neuen Spieler persönlich ab?

Klopp: In 99,7 Prozent aller Fälle ja, nur zwei Mal war das nicht möglich. Ich führe lange Gespräche, idealerweise kaum über Fußball, um ein bisschen zu verstehen, wer mir da gegenüber sitzt und irgendwann hoffentlich in meiner Mannschaft spielt. Ich erzähle auch einiges von mir, denn die Jungs kennen mich meist nur aus dem Fernsehen. Dass ich nicht den ganzen Tag auf die Zähne beiße, ist für sie nicht ganz unwichtig zu erfahren (lacht).

NEWS: Ist das Ihr Erfolgsrezept, dass Sie auf jeden Spieler sehr individuell eingehen?

Klopp: Ist es nicht schade, dass das als Erfolgsrezept gilt, wo es doch das Logischste auf der Welt ist, nicht alle über einen Kamm zu scheren? Aber stimmt, das ist sicherlich ein Teil des Erfolgsrezeptes. Das ist meiner wirklich maximal durchschnittlichen Intelligenz geschuldet, dass ich es wichtig finde, wie man mit Menschen umgeht. Ich bin ein ganz normaler Typ, mein einziger Gradmesser ist deshalb: Wie hätte ich gerne, dass man mit mir umgeht? Ich kann nicht jeden Tag der beste Freund der Spieler sein. Aber ich kann jeden Tag Verständnis für sie haben. Ein Spieler schießt den Ball am Tor vorbei? Das kann passieren. Er schießt ihn ein zweites Mal vorbei? Kann passieren. Er schießt ihn 20 Mal vorbei: Dafür gibt es Gründe! Ich mache mir Gedanken darüber, wie ich dem Burschen dabei helfen kann, dass das, was ich in ihm sehe, auch alle anderen sehen können. Das ist jetzt nicht unbedingt so hart wie Steine schleppen, aber das ist schon auch Arbeit.

NEWS: Ist der Fußballtrainer von heute auch Psychologe?

Klopp: Das war ein Fach in meinem Studium, aber ich habe mich nicht wahnsinnig damit beschäftigt. Das ist viel gesunder Menschenverstand. Es ist ja nicht so, dass ich jeden nach einem Problem erforsche. In erster Linie bin ich Fußballtrainer, aber wenn es Auffälligkeiten gibt, bin ich auch dafür zuständig. Da hat sich natürlich vieles verändert seit der Zeit, als ich noch Spieler war. Damals mussten die Trainer gesiezt werden, da waren menschliche Probleme völlig egal. Aber die Zeiten haben sich in vielen Bereichen geändert, in der Erziehung etwa.

NEWS: Wenn wir schon beim Thema sind: Wie sind eigentlich Sie erzogen worden?

Klopp: Meine Frau hat mich auch gefragt, wie meine ersten 20 Jahre gewesen sind. Und ich kann mich an keinen schlechten Tag erinnern. Ich hatte eine ganz tolle Kindheit. Meine zwei Schwestern sind fünf und sieben Jahre älter als ich und haben mir viel abgenommen. Ich bin also arg verwöhnt worden. Da heißt’s oft, aus einem Verwöhnten kann nichts werden. Tja, ich wäre vielleicht so etwas wie ein Gegenbeispiel. Mein Vater hatte allerdings eine strenge Hand, ohne sie jemals zu benutzen. Ich selbst wurde ganz jung Vater. Hätte ich damals schon die Ruhe gehabt, die heute in mir ist, wäre ich wohl ein besserer gewesen. Als ich dann mit 33 Jahren Trainer wurde, war ich schon nicht mehr der ganz junge Bursche, der vor allem seine eigenen Ziele verfolgt. Ich konnte mich auf andere Leute einlassen.

NEWS: Sind Sie für die Spieler eine Vaterfigur, tut es Ihnen weh, wenn einer geht?

Klopp: Klar tut das weh, das mit der Vaterfigur geht aber zu weit. Natürlich habe ich Teilfunktionen eines Erziehungsberechtigten, ich bin eher der Stiefvater, der seinem Stiefkind sehr wohl gesonnen ist. Aber es ist leichter, mit den Burschen umzugehen als mit den eigenen Kindern, die sich ja in alle Himmelsrichtungen entwickeln können und du dich fragen könntest: Was haben sie eigentlich von mir? Meine Spieler haben ganz viel von mir, weil sie sich für das Gleiche interessieren wie ich, nämlich für Fußball. Ich bin immer der Freund für die ersten elf, ab dem 12. Spieler kühlt die Liebe schon ab. Das ist normal. Ich versuche aber, gerecht zu bleiben, Dinge übers Jahr auszugleichen. Da wird etwa von einem Spieler lange nur Leistung verlangt, ohne dass er die Bestätigung bekommt, am Wochenende auch spielen zu dürfen. Aber wie jede Pflanze auch Wasser braucht, braucht jeder Mensch positives Feedback. Das versuchen wir, ihm dann zu geben.

NEWS: Wie gehen Sie persönlich mit Niederlagen um?

Klopp: Es gibt kein typisches Verhalten. Haben wir davor schon verloren, haben wir ein großes Ziel durch die Niederlage nicht erreicht, war’s einfach nur ein Spiel, waren wir in dem Spiel gut und haben verloren, waren wir in dem Spiel schlecht und haben verdient verloren? Haben sich in dem Spiel, das wir verloren haben, ausgerechnet die Spieler verletzt, die wir im nächsten Spiel nicht ersetzen können? Das sind Faktoren, von denen es abhängt. Was alle Niederlagen eint: Ich bin am Abend nicht gut drauf. Was auch alle Niederlagen eint: Ich habe am nächsten Morgen alles verarbeitet. Wobei ich aus Erzählungen mir nahestehender Personen weiß, dass ich unruhig schlafe. Am Morgen weiß ich, das Spiel ist nicht mehr zu ändern, das nächste aber zu gewinnen. Die Dinge, die zur Niederlage geführt haben, sind nur Informationen, mit denen du richtig umgehen musst.

NEWS: Schreiben Sie sich Ideen gleich auf einen Zettel?

Klopp: Ich schreibe nur auf Autogrammkarten. Was nicht wichtig genug ist, dass ich es mir merken kann, ist nicht wichtig. Ich hab da oben ja nicht so viel drin, ich bin ein echter Fachidiot, ich kümmere mich fast nur um Fußball, und das kann ich noch sortieren.

NEWS: Wie ist es Ihnen nach der Champions-League-Niederlage gegangen?

Klopp: Die Champions League Niederlage habe ich schnell verarbeitet. Mit Mainz 05 nicht aufzusteigen, war schwieriger. Das war damals das Platzen eines Lebenstraumes. Weil ich damals dachte, das ist die einzige Chance, in die Bundesliga zu kommen. Und ich dachte, das bleibt die einzige auf ewig. So hat es sich angefühlt.

NEWS: Sind Sie eher der Typ Entwicklungshelfer oder arbeiten Sie lieber mit Superstars?

Klopp: Wenn die Situation also wie beschrieben eintreten würde, glaube ich, dass ich beides könnte: Entwicklungshilfe leisten oder auch mit hochbezahlten, gut aussehenden Burschen umgehen. Beides ist Fußballtrainer und daher komplett in Ordnung. Wahrscheinlich wäre der zweite Job deutlich besser bezahlt. Was nicht schlimm ist.

NEWS: Sie sind evangelisch, der Papst katholisch - spielt er quasi im falschen Verein?

Klopp: Ich bin Christ, und so wie ich das verstehe, stehen wir alle einmal vor der gleichen Türe. Wer da jetzt als Abteilungsleiter arbeitet, find ich nicht so wichtig. Wir glauben an den gleichen Gott. Mit dem Papst könnte ich, er ist schließlich Argentinier, sicher über Fußball reden.

NEWS: Was wäre für Sie noch eine Herausforderung, die ...

Klopp: Warten Sie, ich hab’s schon, ich weiß, was ich jetzt antworten soll: Mit Österreich Weltmeister zu werden natürlich (lacht schallend).

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