Zuhause
bei Dr. Angst

Ein angesehener steirischer Mediziner soll über Jahre hinweg seine vier Kinder sadistisch gequält haben. Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben - doch der Arzt darf weiterhin ungehindert ordinieren.

von Justiz - Zuhause
bei Dr. Angst © Bild: Heinz Stephan Tesarek News

Die Fassaden des Einfamilienhauses, das da auf einer sanften Anhöhe inmitten des oststeirischen Hügellandes thront, sind schneeweiß verputzt und mit viel hellem Holz dekoriert. Dank großer Glasflächen durchflutet Sonnenlicht den gesamten Wohnraum -und überstrahlt ein düsteres Geheimnis.

Bis zur Scheidung vor gut vier Jahren lebte hier ein angesehener Landarzt mit seiner Frau Anna* , sie ist ebenfalls praktische Ärztin und ordiniert auch als Psychotherapeutin. "Trotz meiner langjährigen Berufspraxis weiß ich erst durch ihn, was ein echter Psychopath ist", sagt sie, und ihre Stimme beginnt zu zittern. Neben ihr am Wohnzimmertisch, direkt vor dem Christbaum, sitzen zwei der vier gemeinsamen Kinder, Maria ist mittlerweile 27 Jahre alt, Karin ist 22. Doch an den Folgen dessen, was sie in ihrer Kindheit und Jugend durchmachten, haben sie noch heute schwer zu tragen. Bei beiden diagnostizierten die Gerichtsgutachter eine "posttraumatische Belastungsstörung", bei Maria zusätzlich eine mittlerweile abstinente "Opiatabhängigkeit"; Karl, der 19-jährige Bruder der beiden, leidet unter einer "generalisierten Angststörung", Caroline, mit 28 Jahren die Älteste, unter einer "länger dauernden depressiven Störung".

Irgendwann vor gut eineinhalb Jahrzehnten begannen für die Kinder die Grenzen zwischen Vater und Peiniger zu verschwimmen -und für ihn, den Mittfünfziger, eine der ausgewiesenen Autoritäten des kleinen Ortes, lösten sich die Grenzen zwischen Behandlung und Misshandlung auf. Seit diesem Freitag muss er sich nun vor Gericht verantworten, die Staatsanwaltschaft Graz legt ihm das "Verbrechen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer Personen zur Last". In einer "Vielzahl von Angriffen" soll der honorige Doktor, für den die Unschuldsvermutung gilt, den eigenen Kindern laut Strafantrag "körperliche und seelische Qualen zugefügt" haben.

Beklemmendes Tagebuch

Vier prall gefüllte Ringmappen umfasst mittlerweile der gesamte Strafakt, auch die Tagebuchaufzeichnungen von Tochter Maria sind Teil des Konvoluts. "Der Papa und die Mama haben sich wieder einmal wegen irgendetwas gestritten", notierte sie als Teenager. "Irgendwann ist der Papa dann durchgedreht und über die Treppe raufgerannt. Ich bin ihm hinterhergelaufen, und als er oben ankam, hielt er sich eine Waffe gegen die Schläfe. Ich habe mich auf den Boden hingekniet, bitterlich geweint und geschrien: 'Tu's nicht! Bitte Papa! Bitte tu's nicht!'" Und dann, ein paar Seiten weiter: "Ich fühle mich gefangen! Der Papa droht mit Selbstmord, immer wieder Anspielungen, Drohungen, es ist Folterei. Ich versuche für ihn, so gut ich kann, da zu sein, doch es ist anstrengend, meine Kraft geht mir aus. Es ist schwer zu atmen, meine Augen sind so schwer, sie wollen nur schlafen..."

© Heinz Stephan Tesarek News Mutter Anna ist selbst Ärztin: "Erst durch meinen Exmann weiß ich, was ein Psychopath ist"

Wie aus den Aufzeichnungen der Anklagebehörde ersichtlich ist, dürften die Suiziddrohungen des Vaters System gehabt haben. Einmal etwa hätte ihn Karin im Geräteschuppen mit einem Seil erwischt, das er sich um den Hals gewickelt und bereits fest zugezogen habe. "Einmal bin ich sogar schon im Strick gehängt, dann ist aber die Schnur gerissen", erzählt der Vater im Zuge seiner polizeilichen Einvernahme. Und: "Diese Suizidversuche waren eigentlich mehr ein Hilfeschrei."

Wirklich? In einem Telefonat, das seine nunmehrige Exfrau aufgezeichnet hat und dessen Wortlaut dem Gerichtsakt beiliegt, weist der Familienvater jegliche ernsthaften Selbstmordabsichten brüsk zurück: "Ich bin doch nicht blöd, dass ich mich umbringe."

»Er war fasziniert davon, über die Macht über Leben und Tod zu verfügen«

War also alles nur sadistische Show, ein allumfassender Herrschaftsanspruch in der familiären Hermetik? Eine ehemalige Patientin, mit welcher der Mediziner ein langjähriges Verhältnis hatte, sagt aus: "Er war fasziniert davon, über die Macht über Leben und Tod zu verfügen."

Gebetsmühlenartig soll der Mann, der sein monatliches Bruttoeinkommen im Zuge der Einvernahmen mit 25.000 Euro angab, wiederholt haben, dass die Familie ohne ihn verarmen würde. "Er schürte so Verlust-und Existenzängste", formuliert der Staatsanwalt knapp. Seine Tochter Maria versuchte als Teenager zweimal, sich das Leben zu nehmen, schluckte Unmengen an Tabletten aus der väterlichen Hausapotheke, in erster Linie die Beruhigungsmittel Gewacalm und Bromazepam. Der Vater, so der gravierendste Vorwurf, soll ihr bei vergleichsweise harmlosen Schmerzen auch mehrmals Morphiumpräparate verabreicht haben, woraus eine langjährige Tablettenabhängigkeit entstanden sei. Der Arzt stellt den Vorwurf massiv in Abrede, vermutet seine Exfrau hinter den Anschuldigungen. Doch für die Staatsanwaltschaft besteht keinerlei Zweifel: "Er hat ihre Gesundheit fahrlässig beträchtlich geschädigt, indem er ihr über mehrere Monate hinweg unkontrolliert Medikamente, unter anderem starke Schlaf-und Schmerzmittel, zur Verfügung stellte, die bei ihr zu körperlichen Beschwerden und Abhängigkeitssymptomen führten."

"Meine Mutter hat mich oft gefragt, was der eigentliche Grund für meine Suizidversuche war", notierte Maria in ihr Tagebuch. "Erst vor kurzem konnte ich ihr eine Antwort geben: Es war mein eigener Vater, der mich psychisch kaputt gemacht hat."

Er kniete vor Gott

Nach außen hin waren da das schmucke Haus, das harmonische Familienleben, die Gottesfürchtigkeit. Über Jahre hindurch habe der Landarzt Sonntag für Sonntag die Messe besucht, sei stets in der ersten Reihe gekniet, erinnert sich seine Exfrau Anna. Er selbst, erzählt sie, sei in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen und vom Vater mies behandelt worden. "Ich hatte von Anfang an mit ihm Mitleid", sagt sie. "Heute glaube ich, dass es auch Mitleid war, weshalb ich mich in ihn verliebt habe und ihn heiratete." Immer wieder, wenn die Kinder ihr gegenüber sein merkwürdiges Verhalten andeuteten, habe sie ihn verteidigt, sich eingeredet, ihr Mann sei doch grundsätzlich kein schlechter Mensch, es könne daher alles nicht so schlimm sein. Erst ab dem Jahr 2012, nach der Scheidung, hätten die Kinder ihre losen Andeutungen schrittweise konkretisiert. "Dieser Mann war mir von Anfang an eine Nummer zu groß, bis heute kann ich mir nur schwer verzeihen, wie ich mich so an ihm täuschen konnte."

Die Karriere des Familienvaters verlief imposant, bis zu 300 Patienten pro Tag hat der Landarzt laut Eigenangaben behandelt. Doch hinter den Kulissen dürfte der Mediziner längst selbst zu einem der besten Kunden der eigenen Hausapotheke geworden sein.

"Ohne Schlaftabletten kann ich in der Nacht nicht schlafen", vertraute er den Ermittlern an. "Ich nehme in erster Linie Diazepam, also eine Tablette, damit ich überhaupt erst zum Schlafen komme." Weiters nehme er in der Früh fünfmal pro Woche das Aufputschmittel Ephedrin, um wieder wach zu sein. "Ich hatte eine Phase, wo ich mich mit Medikamenten niedergespritzt habe. Damals bin ich einmal sogar nackt durchs Haus gelaufen, das habe ich aber nicht mitbekommen. Es kann auch sein, dass das öfter vorgekommen ist, meine Kinder halten mir das heute noch vor."

»Er hat sich auch immer wieder selbst verstümmelt«

Was ihm die Kinder - wie im Zuge der Zeugenvernehmungen penibel dokumentiert wurde -noch vorhalten: "Er hat sich auch immer wieder selbst verstümmelt. Also er hat sich selbst gebrannt oder einfach aufgeschnitten", schildert etwa Tochter Maria. "Ich hatte immer das Gefühl, dass er will, dass wir wissen, dass er sich wieder verletzt hat. So hat man öfter einen Blutfleck an der Kleidung gesehen, also richtig, dass man gemerkt hat, dass er darunter frisch blutet."

Und Karin ,die Schwester, erinnert sich, dass sie einmal von ihrem Vater zur Hilfe gerufen worden sei, nachdem sich dieser einen Schraubenzieher bis zum Griff in den Bauch gerammt habe. "Er hat das Werkzeug im Bauch sogar fotografiert", erzählt sie, die Bilder liegen dem Gerichtsakt bei. "Erst danach habe ich ihm das Werkzeug herausgezogen."

© Heinz Stephan Tesarek News Maria kippte als Teenager in die Tablettensucht. Die Staatsanwaltschaft glaubt, wegen ihres Vaters

Einmal dürfte es dem strauchelnden Gott in Weiß so schlecht gegangen sein, dass er den eigenen Sohn, damals ein gerade einmal elfjähriger Bub, dazu angestiftet haben soll, ihm intravenös ein Betäubungsmittel zu spritzen. Das gibt der angeklagte Mediziner auch unumwunden zu, verweist aber auf die Folgen einer schweren Sportverletzung, die ihm unerträgliche Schmerzen verursacht habe.

Die steirische Ärztekammer wurde im Jänner 2015 von der Exfrau des Arztes über die Vorkommnisse hinter dem trügerischen Familienidyll informiert. Doch ordinieren darf der Arzt der Angst nach wie vor völlig uneingeschränkt. "Das ist mir völlig unerklärlich", sagt Andrea Peter, die Anwältin der vier Kinder. Doch seitens der Kammer beschwichtigt man: "Unsere Disziplinarkommission trifft ihre Entscheidung erst, wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt."

Maria, Karin und ihre beiden Geschwister sind in psychotherapeutischer Behandlung. Maria studiert Medizin. Irgendwann will sie selbst praktizieren. So wie ihr Vater? Nein, trotz ihres Vaters.

*Anm. d. Red.: Zum Schutz der Opfer wurden alle Namen verändert

Kommentare

ll1411

Zum Schutze ... wurden die Namen geändert.

Interessant dass Sie den Arzt ausgerechnet Dr. Angst nennen - schliesslich heisst ja Angst auf Tschechisch Strach ...

Ein sog. "Niederpatscherter" Arzt - ob der mit einem "Gleichnamigen" Politiker verwandt ist ?

Rumor13 melden

(Zu) viele sadistische Soziopathen gibt´s überall (s.a.Politik).
Musst eben mit Deinen Wehwechen (neurotisch bedingt ?) zum esoterischen Wunderheiler marschieren wennst der Ärzteschaft nicht vertraust und sie pauschal verurteilst.

Gabe Hcuod
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Wie nett, ein argumentum ad hominem kombiniert mit einem Strohmann-Argument. Niemand hat die Ärzteschaft pauschal verurteilt oder prinzipielles Misstrauen ihr gegenüber propagiert. "Esoterische Wunderheiler" haben auch nichts mit dem Thema zu tun. Deine Aussagen sind substanz- und sinnlos.

Gabe Hcuod
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Kein bedauerlicher Einzelfall. Zu viele sadistische Soziopathen ergreifen den Beruf des Arztes. Das gesellschaftliche Ansehen des Heilers dient ihnen als Tarnung, und die medizinische Praxis bietet ihnen reichlich Gelegenheit, um ihre Neigungen auszuleben.
Warnsignale sind u.a. Verweigerung der respektvollen Zwei-Wege-Kommunikation (wenn der Arzt die Ausführungen des Patienten abtut / unterbricht)

Gabe Hcuod
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ein übertriebenes Interesse an den Lebensumständen oder anderen persönlichen Aspekten des Patienten die nichts mit den vorliegenden Beschwerden zu tun haben, sowie ein offenkundiges Desinteresse an der Genesung des Patienten.

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