Der Laie als Richter

Die Geschworenengerichtsbarkeit steht in der Kritik. Doch wie funktioniert sie?

Bei besonders schweren Delikten entscheiden in Österreich Laien über Schuld und Unschuld. Immer wieder wird argumentiert, die Geschworenen hätten zu wenig Expertise, um ihr Urteil rechtsstaatlich zu fällen. Zuletzt wurde das Urteil gegen Alen R. im Prozess um die Grazer Amokfahrt heftig kritisiert. Doch für Laienrichter gibt es auch gute Gründe.

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Justiz - Der Laie als Richter

Was ist ein Geschworener?

Bei Verbrechen, die mit besonders hoher Strafe belegt sind und bei denen mehr als fünf Jahre Haft drohen und bei allen politischen Delikten, beispielsweise bei Verstößen gegen das Verbotsgesetz, entscheiden in Österreich Laien als Richter. Diese Laien, die sogenannten Geschworenen, werden zufällig aus der Bevölkerung ausgewählt und entscheiden, ohne Mitwirkung von Berufsrichtern, darüber, ob ein Angeklagter schuldig ist oder nicht. Im Vorfeld können sie während des Prozesses Fragen stellen und werden von den Berufsrichtern über Rechtsfragen informiert. Über die Strafhöhe entscheiden sie dann gemeinsam mit den Berufsrichtern, die die Verhandlung führen. Davon unterscheiden muss man die Schöffen. Bei manchen Delikten, bei denen weniger als fünf Jahre Haft drohen, aber auch bei manchen Delikten mit mehr als fünf Jahren Haft, entscheiden Laien als sogenannte Schöffen gemeinsam mit Berufsrichtern. Sie führen gemeinsam die Verhandlung und entscheiden dann auch gemeinsam das Urteil.

Wie viele Geschworene gibt es?

Jeweils acht Personen pro Prozess.

Wie wird man Geschworener?

Alle zwei Jahre wählt die Gemeinde eine Zufallsauswahl von 0,5 Prozent aller in der Wählerevidenz verzeichneten Personen zwischen 25 und 65 Jahren aus, außer in Wien, dort ist es ein Prozent. Aus dieser Liste werden verschiedene Personen gestrichen weil sie beispielsweise hohe Ämter der Republik innehaben oder weil sie vorbestraft sind. Aus der verbleibenden Liste wird ein Dienstplan für jeweils drei Monate in diesem und dem folgenden Jahr erstellt. Für diese Zeit müssen die Personen, die dafür ausgewählt wurden, an höchstens fünf Verhandlungstagen pro Jahr zum Dienst als Geschworene oder Schöffen erscheinen. Bezahlung gibt es keine, nur ein Kostenersatz für Verpflegung, Transport und gegebenenfalls Unterbringung ist vorgesehen. Fehlen darf man nur bei schwerwiegenden Gründen und auch der Arbeitgeber muss einen für diese Zeit dienstfrei stellen. Wer unentschuldigt fehlt, kann mit einer Strafe von bis zu 1.000 Euro belegt werden. In der Praxis ist die Begeisterung dafür als Geschworener ausgewählt zu werden jedoch enden wollend. Immer wieder erscheinen Geschworene unentschuldigt nicht oder versuchen alles um entschuldigt fehlen zu können. Richtervertreter klagen, dass es immer schwerer fällt ausreichend Geschworene zu finden.

Wieso gibt es Geschworene?

Die Idee hinter der Geschworenengerichtsbarkeit ist es das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung abzubilden. Es soll verhindert werden, dass sich der Richterstand verselbständigt und so eine demokratische Kontrolle sichergestellt werden. In Österreich wurde die Laiengerichtsbarkeit 1873 eingeführt. Im Nationalsozialismus wurde sie abgeschafft und danach wieder eingeführt. Die ursprüngliche Idee war es das Bürgertum gegenüber Adel und Kirche, die die Richterschaft kontrollierten, zu stärken und so auch die Demokratie zu fördern. Auch Willkür-Urteile, wie es sie beispielsweise während der Inquisition gab, sollten so verhindert werden. Unumstritten war die Laiengerichtsbarkeit allerdings nie.

Kann jeder Geschworener werden?

Polizisten und Justizwachbeamte können ebenso wenig Geschworene werden wie Richter, Notare, Staats- oder Rechtsanwälte aber auch Geistliche sind ausgenommen. Auch Bundespräsident- und kanzler, sowie die Mitglieder der Bundes und Landesregierungen und die Mitglieder von Volksanwaltschaft oder Rechnungshof kommen nicht in Frage. Ausgeschlossen ist auch, wer körperlich oder geistig nicht dazu in der Lage ist, nicht ausreichend gut deutsch spricht, zu einer Strafe verurteilt ist oder gegen den Ermittlungen zu einer schwereren Straftat laufen. Bei Jugend- und Sexualstraftaten gibt es eigene Auswahlverfahren. Bei Jugendstrafverfahren muss die Hälfte der Geschworenen als Lehrer, Erzieher oder in der Jugendwohlfahrt tätig sein. Mindestens zwei Geschworene müssen das Geschlecht des Angeklagten haben. Bei Sexualstraftaten müssen mindestens zwei Geschworene das Geschlecht des Angeklagten und mindestens zwei Geschworene das Geschlecht des Opfers haben.

Werden Geschworene kaserniert?

Aus US-Filmen kennt man die Praxis, dass Geschworene für die Dauer des Verfahrens keinen Kontakt zur Außenwelt haben dürfen und auch keine mediale Berichterstattung über das Verfahren verfolgen dürfen. In Österreich ist das nicht vorgesehen. Allerdings dürfen Geschworene nicht mit Medien über den Prozess sprechen und machen sich sonst gegebenenfalls strafbar.

Können Geschworene willkürlich entscheiden?

Eigentlich nicht, sie müssen rechtsstaatlich entscheiden. Wenn sie sich diesbezüglich unsicher sind, können sie bei den drei Berufsrichtern informieren. Die Geschworenen wählen einen zu ihrem Obmann. Dieser leitet die Beratung, die ohne Berufsrichter stattfindet. Sollte es Unklarheit bei Rechtsfragen geben, dann kann der Obmann die Berufsrichter jedoch hinzuziehen, damit sie die Fragen beantworten. Die Geschworenen müssen in ihrer Beratung mehrere von den Berufsrichtern vorbereitete Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Neben der Hauptfrage nach der Schuld, sollen so auch Fragen wie beispielsweise ob es sich in einem Fall um Mord oder Totschlag handle, aber auch ob ein Täter zurechnungsfähig oder nicht sei, beantwortet werden. Die Beantwortung findet statt, indem jeder Geschworene aufgerufen wird und die Fragen mit "Ja" oder "Nein" beantworten muss. Allerdings können sich Geschworene auch irren. Wenn alle Berufsrichter dieser Meinung sind, können sie das Urteil annullieren.

Müssen sich die Geschworenen einig sein?

Die Entscheidung, man nennt sie den sogenannten „Wahrspruch“ muss nicht einstimmig sein. Allerdings muss sich eine Mehrheit, also zumindest fünf Geschworene, dafür aussprechen. Bei Stimmengleichheit kommt das für den Angeklagten günstigere Ergebnis zur Geltung. Die Erwägungen die die Geschworenen anstellen müssen verzeichnet werden. Sie sind allerdings keine Urteilsbegründung und dienen nur dem Gericht, falls es zu einem Einspruch kommt.

Was kann man gegen ein Geschworenenurteil tun?

Die drei Berufsrichter können eine Verbesserung des Wahrspruchs verlangen, wenn dieser unklar ist. Wenn sie alle drei der Meinung sind, dass die Geschworenen irren, können sie den Wahrspruch auch ablehnen. Vor einem anderen Geschworenengericht muss der Prozess dann wiederholt werden. Wenn das nicht stattfindet, befinden Geschworene und Berufsrichter im Anschluss an den Wahlspruch gemeinsam über die Strafhöhe. Gegen das Urteil kann zwar Berufung eingelegt werden. Allerdings nur wegen Verfahrensfehlern oder gegen die Strafhöhe. Die Schuldfrage ist unanfechtbar.

Was ist an der Geschworenengerichtsbarkeit umstritten?

Geschworene sind juristische Laien. Sie können ihre Urteile auch nur eingeschränkt juristisch begründen. Von Kritikern wird argumentiert, dass ihre Urteile weniger rechtsstaatlich seien und sie sich dabei eher von Emotionen leiten ließen. Geschworene müssen außerdem ihr Urteil nicht begründen. Das macht es schwierig Einspruch zu erheben. Im Fall Taxquet gegen Belgien wurde vom Europäischen Menschenrechtsgericht festgestellt, dass die fehlende Begründung das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, da es keine Garantie gäbe, dass der Angeklagte verstehe, weshalb er verurteilt wird. Allerdings stellte der EMGR nicht die Geschworenengerichtsbarkeit insgesamt in Frage. Österreichs Oberster Gerichtshof sieht die Urteile hingegen hierzulande als ausreichend begründet an. Kritisiert wird von manchen auch, dass Staats- und Rechtsanwalt keine Geschworenen ablehnen dürfen. Dadurch seien sie einer willkürlichen Zufallsauswahl ausgeliefert.

Gibt es Beispiele für Fehler bei Geschworenengerichten?

Immer wieder werden Urteile von Geschworenen kritisiert. Der bekannteste Fall ist der des ehemaligen Kärntner Landeshauptmanns Leopold Wagner, der 1987 von einem Schulfreund wegen einer schulischen Postenbesetzung angeschossen wurde. Wagner wurde notoperiert und überlebte, musste sich aber kurz darauf aus der Politik zurückziehen. Die Staatsanwaltschaft sah einen Mordversuch, die Geschworenen nur Körperverletzung. Die Berufsrichter annullierten das Urteil. Es wurde sogar an einem anderen Gerichtsstandort, diesmal in Innsbruck, wiederholt. Aber auch dort sahen die Geschworenen nur eine schwere Körperverletzung. Vielen Kritikern des Geschworenensystems gilt dieser Fall bis heute als ein Fehlurteil, bei dem die Geschworenen daran gescheitert wären, zu erkennen, was ein Mordversuch ist.

Was wird am Prozess gegen den Grazer Amokfahrer Alen R. kritisiert?

Im Grazer Prozess wurde heftige Kritik an der Geschworenengerichtsbarkeit laut, aber auch an der prinzipiellen Wahl des Gerichtsstandorts. Da die Stadt Graz von der Amokfahrt schwer getroffen war, hätte Alen R. dort nach Ansicht mancher Kritiker nicht der Prozess gemacht werden dürfen, da er dort keinen fairen Prozess erwarten konnte. Von Psychiatern, allen voran dem renommierten Fachmann Reinhard Haller, wurde Kritik geäußert, dass Laien hier nicht nur ein Urteil sprachen sondern eine medizinische Frage klärten. Denn sie erkannten Alen R. für schuldfähig, obwohl zwei von drei Gutachtern bei ihm Schuldunfähigkeit wegen paranoider Schizophrenie feststellten. Haller kritisierte, dass man ja auch nicht Laien befragen würde, wenn es bei einer Operation unterschiedliche Fachmeinungen gäbe. Auch von anderen Kritikern wurde eingewandt, dass Laien möglicherweise eine Schuld sahen, wo Fachleute keine Schuldfähigkeit feststellten.

Aber will die Bevölkerung nicht eine Bestrafung?

Aus der Bevölkerung gab es wenig Kritik am Urteil. In der News-Befragung gaben beispielsweise 80 Prozent der User an, dass sie mit Hallers Kritik nicht übereinstimmen. Doch so sehr es verständlich ist, dass die Bevölkerung diese Amokfahrt empört, so ist es doch so, dass Willkürurteile in einem Rechtsstaat nicht vorgesehen sind und solche Emotionen insgesamt stark von der jeweiligen Tat abhängen. Bei einem schweren Fall von Kindesmissbrauch gäbe es möglicherweise auch eine Mehrheit für die Todesstrafe. Der Rechtsstaat darf aber auch durch eine Mehrheitsmeinung nicht ausgehebelt werden. Kritik an der Schuldunfähigkeit kommt auch daher, dass vielfach angenommen wird, dass es für den Täter das leichtere Urteil wäre. Zwar handelt es sich um keine Strafe, da der Täter eben schuldunfähig ist, doch wird er für eine unbestimmt lange Zeit einer engmaschigen Kontrolle unterzogen und medizinisch so umfassend betreut, so das später möglicherweise eine Besserung eintreten kann. Die Rückfallquote ist deshalb in diesem sogenannten Maßnahmenvollzug sehr viel niedriger als im Strafvollzug, worauf auch der Wiener Psychiater Thomas Stompe im Gespräch mit news.at hinweist.

Was wurde an den Gutachten kritisiert?

In Österreich können Psychiater nur ein sehr geringes Honorar verrechnen. Immer wieder werden deshalb die Qualität der Gutachten und die Tatsache, dass einzelne Gutachter eine Vielzahl von Gutachten erstellen würden, kritisiert. Von manchen wird deshalb neben einer besseren Bezahlung der Gutachter gefordert, dass es im Fall von Uneinigkeit einen Obergutachter geben sollte.

Was gibt es für Ideen zu einer Reform?

Zahlreiche Ideen zur Reform der Laiengerichtsbarkeit existieren. Manche wollen sie ganz abschaffen. Doch an dieser Idee wird kritisiert, dass dadurch die eigentliche Idee der Laiengerichtsbarkeit, eine Kontrolle der Berufsrichter, ausgehebelt wird. Andere fordern eine Reform nach deutschem Vorbild. Dort entscheiden zwei Schöffen gemeinsam mit drei Berufsrichtern in einem Schwurgerichtsverfahren. Geschworene, die alleine über Schuld oder Unschuld befinden, gibt es nicht mehr. Der Grazer Strafrechtsprofessor Thomas Mühlbacher schlägt in seinem Fachartikel „Geschworenengerichte – unbegründete Sorge?“ vor, dass die Berufsrichter den Wahlspruch der Geschworenen begründen müssten. Einerseits würden so die Geschworenen gestärkt, da ihr Wahrspruch nicht mehr unbegründet annulliert werden kann, andererseits könnte gegen eine Urteilsbegründung auch leichter Einspruch erhoben werden. Anderen Kritikern schwebt in diesem Zusammenhang eine zweite Tatsacheninstanz vor, die dem Angeklagten ermöglicht auch die Frage der Schuld, die bisher von den Geschworenen endgültig geklärt ist, erneut zu stellen. An einem würde freilich auch eine Änderung der Laiengerichtsbarkeit nichts ändern. Auch Berufsrichter sind von medialer Berichterstattung und Emotionen beeinflusst und auch sie müssen über medizinische Einschätzungen urteilen, bei denen sie selbst keine Fachleute sind. Allerdings sind sie im Gegensatz zu den Laien auch verpflichtet, ihre Urteile zu begründen.

Kommentare

strizzi1949

Man sieht und liest immer wieder, was bei uns beim "Humanen Stafvollzug" herauskommt! Da ist dieses Urteil direkt eine Erlösung! Bei den Berufsrichtern wäre wieder nur ein paar Jahre herausgekommen und nach der Hälfte wäre er wegen guter Führung wieder draussen!
Man sollte diejenigen, die dieses Urteil kritisieren, einmal psychiatrieren! Die sind gefährlich!

jetzt fühlen sich die "hobby-psychologen" in ihrer "tätigkeit als gerichtspsychiater"gekränkt weil das volk in vertretung eines geschworenengerichts geurteilt hat? guter tipp von mir, beim AMS gibts noch genügend stellenangebote die sonst keiner will!

Ich denke, sie können. Sie haben noch den gesunden Menschenverstand und sind nicht durch die vielen Paragrafen und Gutachten verblödet. Es wäre gut, wenn man die Menschen von der Strasse viel öfter Fragen und Entscheiden lassen würde!

Roland Mösl

Manche Psychiater haben zu wenig Expertise für das Theaterspielen mancher Krimineller. Die Bevölkerung hat genug von "War nur ein bißchen verrückt, kann nach 5 Jahren Therapie als ungefährlich und geheilt entlassen werden".

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