"Trump sollte längst im Gefängnis sein"

Vor 30 Jahren verschaffte der Film "Die Firma" mit Tom Cruise dem Provinzadvokaten John Grisham weltweite Bekanntheit. 400 Millionen Exemplare seiner Thriller hat Grisham seither verkauft. Jetzt hat er die Fortsetzung seines ersten Erfolgsromans geschrieben und spricht mit News über Biden, Trump, KI und warum er weiterschreibt

von "Trump sollte längst im Gefängnis sein" © Bild: ©Michael Lionstar/Heyne verlag

Die Freiheitsstatue, der rege Schiffsverkehr auf dem Hudson River, der Battery Park an der Südspitze von Manhatten - diese Aussicht versucht sich Mitch McDeere zumindest einmal am Tag von seinem Büro in 47. Etage eines Hochhausturms in New York zu gönnen. Er ist einer von 2.000 Anwälten, die im Dienst der Kanzlei Scully & Pershing stehen. Wer im Big Apple erfolgreich ist, wird mit einem adäquaten Büro belohnt.

15 Jahre zuvor hätte sich McDeere derlei Pracht nicht einmal vorstellen können. Als Spross aus ärmlichen Verhältnissen hatte er es zu einem Abschluss in Harvard gebracht, musste sich aber mit einem Job in einer Anwaltskanzlei in Memphis zufriedengeben. Denn sein Schöpfer, ein junger Anwalt namens John Grisham, stammte wie er aus bescheidenen Verhältnissen und kannte außer Memphis keine einzige Stadt gut genug, dass sie ihm als Schauplatz eines Romans hätte dienen können.

Aber Mitch veränderte das Leben des jungen Advokaten Grisham, konkret die Verfilmung des Romans "Die Firma" mit Tom Cruise als Mitch McDeere. Legendär ist das Finale, in dem McDeere, verfolgt von Mafia und FBI, aus Memphis flieht.

30 Jahre später gönnt der heute 68-jährige Weltschriftsteller seinem Mitch eine Fortsetzung mit dem Titel "Die Entführung". McDeere soll einen zum Tode Verurteilten in Memphis retten und einen Klienten in Libyen vertreten. News erreichte John Grisham per Zoom in seinem Büro in Virginia zum Gespräch über seinen Erfolgsroman, Biden und Trump und die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz.

Herr Grisham, was hat Sie zur Fortsetzung Ihres Welterfolgs nach 30 Jahren inspiriert?
Ich hatte das nie wirklich vor. Dann brachte Tom Cruise die Fortsetzung von "Top Gun" heraus. "Maverick", so heißt der Film, kam hier und im Ausland sehr gut an. Das war eine Art von Inspiration.

Tom Cruise verkörperte den jungen Anwalt Mitch, die zentrale Figur der Verfilmung Ihres Romans ...
Er ist noch immer so attraktiv wie damals und hat noch immer so viele Fans. Da fragte ich mich, ob "Die Firma" auch noch so populär sein könnte wie Tom. Dann hatte ich die Idee für "Die Entführung", und so fügte sich alles zusammen.

Haben Sie auch an eine Fortsetzung der Verfilmung mit Tom Cruise gedacht? Wer "Die Firma" gesehen hat, wird Cruise wahrscheinlich gleich vor Augen haben, wenn er von Mitch liest. Mir geht es zumindest so.
Mir auch. Und das nach so vielen Jahren! Aber ich halte mich vom Filmgeschäft fern. Fast täglich rufen Leute wegen einer Verfilmung eines meiner Romane an, aber meistens bleibt es beim Anruf. Es gab auch schon Gespräche über die Verfilmung von "Die Entführung", aber es war noch nichts Ernstzunehmendes dabei.

Wenn Tom Cruise selbst anruft ...
... kann man sicher sein, dass "Die Entführung" verfilmt wird.

Gibt es einen realen Hintergrund für die Geschichte?
Es gab einen ähnlichen Fall vor vier oder fünf Jahren: Leibwächter, die für eine türkische Baufirma arbeiteten, wurden vom IS entführt und hingerichtet. Diese Welt dort drüben ist brutal. So bin ich auf Libyen gekommen. Aber ich selbst war nie dort. Man hat mir auch geraten, nicht hinzufahren, und das werde ich beherzigen.

Im Roman schicken Sie sogar eine junge Anwältin und Mitchs Ehefrau Abbey nach Libyen. Letztere spielt eine wichtige Rolle im Roman, ist eine echte Heldin. Ist das Ihr Tribut an die Forderung der Gleichstellung?
Es ist ein Versuch. Meine Frau stand meinen weiblichen Figuren immer sehr kritisch gegenüber, aus gutem Grund. Sie liest alle meine Manuskripte und trägt viel dazu bei, dass ich Frauen im Roman mehr Bedeutung gebe. Aber es ist für mich als Mann wirklich schwierig, mich in eine Frau hineinzuversetzen.

Viele meinen, ein Mann sollte das gar nicht tun.
Genau. Da kann man als Mann nicht gewinnen. Ich kann nur versuchen, Frauen realistisch darzustellen. In den vergangenen zehn Jahren hatte ich schon ein paar Romane mit einer weiblichen Hauptfigur. Die wurden sehr gut angenommen.

»Es ist heute noch schwer zu glauben, dass das alles wirklich passiert ist«

Wie war es für Sie, beim Schreiben nach Memphis, an den Schauplatz Ihres Romans zurückzukehren?
Sehr nostalgisch. Denn dieses Buch hat unser Leben über Nacht dramatisch verändert. Mein erster Roman "A Time to kill" war ein totaler Flop. Keiner hat das Buch gekauft. Ich arbeitete noch immer als Anwalt, als ich "Die Firma" schrieb. Mein Agent hat das Manuskript vielen angeboten, aber es hat sich niemand dafür begeistert. Das änderte sich schlagartig, als wir die Filmrechte an Paramount Pictures verkauften. Das war noch bevor wir die Buchrechte verkauften. Ein seltsamer Deal. Ich selbst hatte damit nichts zu tun. Aber durch den Verkauf der Filmrechte wurde das Buch plötzlich zu einem begehrten Objekt, und die Verlage rissen sich darum. Nach einem Jahr verkauften wir die britischen, deutschen, französischen, spanischen und italienischen Rechte. Das Buch ging um die Welt. Als es dann im März 1991 erschien, wurde es ein Bestseller. Ich hatte aufgehört, als Anwalt zu arbeiten, und hauptberuflich geschrieben. Für meine Frau und mich, wir waren ein Paar mit kleinen Kindern, waren das aufregende Zeiten. Im Sommer 1993 kam der Film in toller Besetzung. Das hat unser Leben komplett verändert. Es ist heute noch schwer zu glauben, dass das alles wirklich passiert ist. Wir lebten damals in der Umgebung von Memphis, wo ich aufgewachsen bin. Deshalb habe ich "Die Firma" dort angesiedelt. Memphis war die einzige Stadt, die ich wirklich kannte, denn ich war zuvor nie verreist. Jetzt, 30 Jahre später, dorthin zurückzukehren, war ein sehr nostalgisches Erlebnis.

War oder ist Mitch Ihr Alter Ego?
Ich denke nicht. Eher Jack Brigance aus meinem ersten Roman "A Time to Kill". Ich plagte mich damals als Anwalt in einer Kleinstadt in Mississippi ähnlich wie Jack in meinem ersten Roman. Aber der war kein Erfolg, und da sagte ich mir, soetwas mache ich nicht mehr. Ich wollte etwas schreiben, das sich leichter verkaufen lässt, etwas Spannenderes. Etwas, das ein großes Publikum erreicht. Mitch hat nichts mit mir zu tun. Er ist ein armes Kind aus Kentucky, ich eines aus Arkansas, aber er studierte in Harvard. Ich wagte davon nicht einmal zu träumen.

Seit Jahren treten Sie gegen die Todesstrafe auf. Mitch, ihr Held, soll in Ihrem jüngsten Roman die Hinrichtung eines zum Tode Verurteilten abwenden.
Im Roman habe ich einen Grund gebraucht, damit Mitch nach Memphis zurückkehren muss. In Wirklichkeit engagieren sich sehr viele große Rechtsanwaltskanzleien für Insassen von Todeszellen. Sie investieren gratis Zehntausende Arbeitsstunden im Jahr für Pro-bono-Fälle. Die meisten Verurteilten sind schuldig, aber wir sind der Meinung, dass niemand hingerichtet werden sollte. Ich kenne viele Anwälte, die solche Fälle verhandeln. Wenn sie verlieren, begleiten sie ihre Kandidaten in den letzten Momenten.

Waren Sie auch bei Hinrichtungen dabei?
Ich kenne viele Anwälte, die das tun, aber ich habe das nicht gemacht und hoffe, dass ich es nie muss. Das ist nichts, was man durchmachen will. Zuzusehen, wie jemand hingerichtet wird, bricht einem das Herz.

»Die Russen würden es lieben, wenn Trump wiedergewählt wird«

Lassen Sie uns über die aktuelle Situation in den Vereinigten Staaten sprechen. Wie blicken Sie auf die Präsidentenwahl im November? Beste Aussichten auf eine Idealbesetzung scheint es nicht zu geben. Joe Biden, der amtierende Präsident, soll angeblich dement sein, Donald Trump will die NATO auflösen.
Wie viele Amerikaner befürchte ich das Schlimmste. Diese beiden Männer sind extrem unbeliebt. Die Republikaner wollen Trump nicht als Kandidaten, aber sie können ihn nicht aufhalten. Die Demokraten wollen nicht, dass Biden kandidiert, aber er ist der Amtsinhaber, und Amtsinhaber sind sehr schwer zu schlagen. Daher ist niemand bereit, Joe Biden herauszufordern. Ich bin sehr aktiv in der demokratischen Partei und sehe keinen, der dafür infrage käme. Wir haben keine einzige junge, charismatische Führungspersönlichkeit, die die Partei in den Ring führen könnte. Das ist so frustrierend! Wir sind extrem nervös wegen Bidens körperlicher und geistiger Verfassung. Wir beobachten, wie er ständig Dinge vergisst, wie er immer wieder ins Fettnäpfchen tritt. Das ist, wie wenn man einem sehr langsam fahrenden Zug dabei zusieht, wie er in einer Katastrophe entgleist. Wir haben alle Angst davor, was im November passieren wird. Das Land ist in zwei gleich große Teile gespalten. Es gibt keinen Ausweg, denn die Leute haben schon vor vier Jahren ihre Entscheidung getroffen. Die Hälfte hasst Trump und würde ihn niemals wählen. Bei der letzten Wahl war es sogar mehr als die Hälfte. Aber das kann sich ändern. Es gibt ein paar Prozente Unterschied, die können sich in diese oder in die andere Richtung drehen. Noch einmal vier Jahre Trump im Weißen Haus wäre für uns und für unsere Verbündeten entsetzlich. Für die Menschen in der Ukraine. Für alle zivilisierten Menschen überall. Die Russen würden es lieben, wenn Trump wiedergewählt wird. Ich habe schon Freunde wegen Trump verloren. Manche von ihnen haben ihn sogar zweimal gewählt. Aber die Zeit zum Diskutieren ist vorbei. Ich kann mit keinem meiner Freunde, die Trump gewählt haben, über Politik sprechen. Das würde aber ohnedies nichts helfen und wäre eine sehr hässliche Diskussion. Denn es gibt keine Kompromisse. Das ist auch bei meinen Geschwistern nicht anders. Ich habe zwei Brüder und eine Schwester, die für Trump gestimmt haben. Und sie werden ihn wieder wählen. Trotzdem werde ich auch mit ihnen nicht darüber sprechen. Eine meiner Schwestern lebt in London. Wir beide sind Demokraten, drei von uns sind Republikaner. Man sieht, auch Familie sind gespalten wie Amerika.

Innerhalb seiner Partei setzt sich Trump gegen alle Gegenkandidaten durch. Hat Biden überhaupt eine Chance auf eine zweite Amtszeit?
Wir werden niemals aufhören zu kämpfen. Wir haben Trump vor vier Jahren geschlagen und können ihn diesen November wieder besiegen. Das hoffe ich, das ist aber nur möglich, wenn Biden nicht zusammenbricht und Kamala Harris nicht übernimmt. Sie als Vizepräsidentin einzusetzen, war ein Fehler. Sie hat in den vier Jahren ihrer Amtstzeit sehr wenig getan, um Menschen dazu zu bringen, sie zu wählen. Wenn sie Biden ersetzen müsste, würde Trump problemlos ins Weiße Haus einziehen. Dann würden viele gar nicht zur Wahl gehen. Wir haben große Angst vor der Wahl im November, aber wir sind umso mehr bereit, Trump zu bekämpfen.

Könnte Trump durch die Justiz verhindert werden, indem man ihn wegen Anstiftung zum Aufruhr überführt?
Nein, das ist eine schlechte Idee. Gegen ihn sind 91 Anklagen anhängig. Er sollte längst im Gefängnis sein. Ich hoffe, er kommt dorthin und bleibt dort lang. Denn dort gehört er hin. 40 Jahre ist er mit Korruption und betrügerischen Geschäften durchgekommen. Aber das ist eine lange Geschichte.

Stellen Sie sich vor, Sie wären heute ein junger Anwalt und bekämen das Angebot, Trump zu verteidigen. Würden Sie das tun?
Ein guter Anwalt kümmert sich nicht um Politik und nicht darum, ob er jemanden mag. Das Problem, das sich bei einem Klienten wie Trump ergibt, ist, dass er sehr wahrscheinlich den Rat seines Anwalts nicht befolgen wird. Es ist sehr schwierig, so jemanden zu verteidigen. Seine Anwälte haben es nicht leicht. Wenn jemand vom Staat angeklagt wird, sollte er den Mund halten. Wenn die Regierung hinter Ihnen her wäre, würde ich Ihnen raten, zu schweigen und auf Ihre Anwälte zu hören. Ich wurde in den letzten 30 Jahren mehrmals vor einem Zivilgericht angeklagt. Es ging um Copyright und solche Dinge. Die Anwälte rieten mir dazu, nichts zu sagen. Es gab keine Presse, keine Kommentare, nichts. Das ist so üblich. Aber Trump redet nicht nur und attackiert nicht nur den Richter, sondern alle bei Gericht.

Stimmt es, dass Sie mit anderen Autoren als Kläger gegen die Anwendung von Künstlicher Intelligenz auftreten? Worum geht es da?
Ich kann nicht viel zu der Klage sagen, weil auch hier die Anwälte uns geraten haben, zu schweigen. Ich verstehe die vollständigen Auswirkungen von KI nicht und ich bin mir sicher, das versteht niemand. KI kann extrem nützlich sein. Aber zu Ihrer Frage wegen meiner Klage: Wenn Sie einen Roman schreiben, haben Sie das Urheberrecht. Das schützt Ihre Geschichte davor, dass sie andere ohne Vergütung kopieren. Unsere Klage richtet sich gegen Open AI und andere KI-Unternehmen, weil sie das Urheberrecht in diesem Land ignoriert haben. Sie verwenden meine Romane ohne Vergütung für Ihre Sprachmodell- Software. Die Unternehmen haben das bestritten. Deshalb gehen wir vor Gericht.

Haben Sie Bedenken, dass eine KI einen neuen Grisham-Thriller fertigen könnte?
Ich hoffe, dass es nie soweit kommt, dass eine KI so brillant wird, dass sie Literatur produzieren kann. Ich meine gute, kommerzielle Romane, Thriller oder Mystery Fiction. Es ist die Frage, ob wir eine KI soweit trainieren können, dass sie ein Drehbuch für einen ganzen Film schreiben kann. Ich weiß nicht, wohin das führt. Wenn Studenten ihre Arbeiten von einer KI schreiben lassen, fällt das unter Betrug. Ich kenne hier in Virginia einige College-Professoren, die unterscheiden können, ob eine Arbeit von einer KI oder einem Menschen verfasst worden ist. Die ersten Seiten sind noch in Ordnung, aber wenn man weiter liest, erkennt man, dass die Arbeit immer schwächer wird. Irgendwann entdeckt man dann auch etwas, das von einer KI geschrieben worden ist. Vielleicht ist das unsere Rettung. Vielleicht wird ein Buch von einer KI nicht gut genug sein, dass die Leute 30 Dollar für einen Roman eines Fake-Autors ausgeben. Aber ich weiß nicht, ob es überhaupt einmal dazu kommen wird. Ich sammle Bücher und lese sehr viel und kann mir nicht vorstellen, für einen Roman zu bezahlen, den eine Software produziert hat.

Lassen Sie uns zu Ihrem Roman zurückkehren. Sie thematisieren die Frage, ob man mit Terroristen verhandeln soll, die jemanden entführt haben. Soll man ihnen das gefordete Lösegeld zahlen, um eine Geisel zu befreien?
Jede Situation ist anders. Viele Länder behaupten, dass sie nicht mit Terroristen verhandeln, aber fast jede Regierung verhandelt, wenn es eine Möglichkeit gibt, Menschen zu befreien. Das Geld fließt dann meist durch geheime Kanäle. Das geschieht unabhängig davon, was offiziell behauptet wird.

Die Terroristen der Hamas halten seit dem Anschlag vom 7. Oktober Geiseln aus Israel fest. Soll man mit der Hamas verhandeln?
Wir wissen doch nicht einmal, wer noch am Leben ist. Das macht es sehr schwierig, zu verhandeln. Die Bedingungen werden von Tag zu Tag schlechter, weil die Hamas die Geiseln inzwischen satt hat. Sie werden sie als menschliche Köder oder Schilder benützen. Was auch immer. Die Hamas will Leichen. Wie wollen Sie mit solchen Leuten verhandeln? Dazu kommt noch, dass dort Krieg ist. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte, mit diesen Leuten zu verhandeln.

»Joe Biden? Ein sehr langsam fahrender Zug, der in einer Katastrophe entgleist«

Können sich der Krieg in Israel und der in der Ukraine auch auf die Wahl in Amerika auswirken?
Sehr sogar. In einigen Staaten, etwa Michigan, gibt es eine große arabische Bevölkerung. Diese Leute sind sehr unzufrieden mit Joe Biden. Aber auch einige sehr liberale jüdische Menschen sind mit Biden nicht zufrieden. Man kann sich aber nur sehr schwer vorstellen, dass diese Leute Donald Trump wählen. Die Wahlergebnisse werden sehr knapp beieinanderliegen. Was den Krieg in der Ukraine betrifft: Rechtsextreme konservative Politiker betonen, sie hätten es satt, Milliarden Dollar für die Unterstützung der Ukraine zu zahlen. Sie haben die Macht im Kongress. Diese Kriege könnten die Wahl beeinflussen. Aber eines der größten Probleme, das sich auf die Wahl auswirken kann, ist die Einwanderung. Unsere Grenzen werden von Millionen Menschen überschwemmt, die illegal hierherkommen wollen. Das macht vielen Angst. Man muss die Grenzen sichern, sonst werden wir von Millionen Menschen überrannt, die wir nicht ernähren können.

Woher kommen diese Migranten?
Aus Lateinamerika, auch aus Südamerika, aus Afrika und Osteuropa. Migranten aus der ganzen Welt, die es nach Mexiko geschafft haben und nach Texas einwandern wollen. Wir sind eine Nation von Einwanderern, wir wollen sie und brauchen Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund. Aber man muss einen geregelten Weg dafür finden. Das können unsere Politiker aber nicht.

Gibt es in dieser Zeit überhaupt noch Grund für Optimismus?
Nicht viel, aber nicht nur in Amerika, sondern in den meisten Teilen der Welt. Man sollte versuchen, all diesen schlechten Nachrichten zu entkommen. Das mache ich täglich. Ich versuche, jeden Tag zu genießen. Ich habe Glück, denn meine Romane sind nicht nur für meine Leser eine Zuflucht aus dem Alltag, auch für mich. Ich kann jeden Tag in meine fiktive Welt entkommen. Ich lese auch sehr viel. Wenn ich dann in die Realität zurückkehre, sage ich mir: Schau, die Welt ist heute ziemlich düster, aber es gibt gute und schlechte Menschen auf der Welt und viele, die Hilfe brauchen. Für die versuche ich etwas zu tun. Wir haben das Problem in Amerika, dass viele Kinder hungern müssen.

Meinen Sie Migrantenkinder oder amerikanische?
Kinder, die hier geboren sind. Jedes sechste amerikanische Kind muss hungern, und das in einem Land, das so viele Lebensmittel produziert, dass es die Welt damit ernähren könnte. 40 Prozent der Lebensmittel, die in Supermärkten gekauft oder in Restaurants verarbeitet werden, werden weggeschmissen. Das Ernährungssystem ist so ein Chaos hier. Auf der einen Seite haben wir Kinder, die an Fettleibkeit leiden, auf der anderen Seite so viele, die hungern. Meine Frau und ich unterstützen Non-Profit-Organisationen, die Kinder versorgen. Es ist unglaublich frustierend, wenn man sieht, wie der Kongress in Schulessen investiert, aber keiner findet eine Lösung dafür, wie man Kinder zu Hause versorgen kann. Meine Frau und ich versuchen, da zu helfen.

Kommen wir noch einmal auf Ihre schriftstellerische Arbeit. Haben Sie daran gedacht, einen dritten Teil der "Firma" zu schreiben?
Vielleicht. Es gibt ein paar Teaser. Ein paar Rezensenten hatten kritisch angemerkt, dass Mitch nicht so ohne Weiteres durch Manhattan laufen könnte, weil er einmal von der Mafia verfolgt worden ist. Ich bin darauf im Roman nicht eingegangen. Die Kritik halte ich für legitim. Aber ich weiß nicht, ob ich noch einen Roman über ihn schreiben will.

Die "New York Times" hat "Die Entführung" ziemlich verrissen. Hat Sie das verletzt?
Nein. Jemand hat mir gesagt, dass ein Verriss in der "Times" kommen wird, aber ich habe das nicht gelesen. Denn ich lese weder gute noch schlechte Kritiken. Vor 30 Jahren war das anders, da waren Kritiken noch wichtig für mich.

Sie haben schon so viele Bestseller zu verbuchen, dass Sie nicht mehr weiterschreiben müssten. Stimmt es, dass Sie immer am Neujahrstag einen Roman beginnen?
Es ist Teil der Disziplin. Autoren sind notorisch undiszipliniert, weil sie keine Deadlines einhalten müssen. Wenn ich weiß, wie eine Geschichte aussehen wird, beginne ich damit am 1. Jänner und setze mir zum Ziel, sie bis zum 1. Juli fertig zu schreiben und das Buch Mitte Oktober zu veröffentlichen. Diesen Zeitplan halte ich schon lange ein.

Man darf sich vorstellen, dass Sie jederzeit aufhören könnten und trotzdem durch ihre Buchverkäufe versorgt sind. Was lässt Sie weiterarbeiten?
Es macht immer noch sehr viel Spaß. Und ich habe viele Geschichten, die brach liegen. Schreiben ist immer noch ein großer Teil meines Lebens. Ich liebe die frühen Morgenstunden, meist von 7.30 Uhr bis 11 oder 12 Uhr, in meinem kleinen Büro. Ich hätte schon vor 20 Jahren aufhören können. Aber ich schreibe weiter, was sollte ich sonst tun? Ich habe allerdings bemerkt, dass eine Zeit kommen kann, zu der man aufhören sollte. Manche Autoren, die ich früher gern gelesen habe, sind jetzt in den späten 80ern und klopfen noch immer regelmäßig ein Buch heraus, nur um Geld zu verdienen. Wenn das der Fall ist, ist es Zeit, aufzuhören. Meine Frau ist eine sehr gute Kritikerin. Sie wird mir sagen, hey, lass uns in Pension gehen. Aber im Moment denken wir über solche Dinge nicht nach.

ZUR PERSON
John Grisham wurde am 8. Februar 1955 in Jonesboro, Arkansas, geboren. Der Sohn eines Bauarbeiters und einer Hausfrau studierte Jus, wurde Anwalt. Der Beruf inspirierte ihn zum Schreiben. Die Verfilmung seines Romans "Die Firma" verschaffte ihm 1991 den Durchbruch. 47 Wochen hielt sich der Titel auf der Bestsellerliste der "New York Times". Seit Jahrzehnten tritt Grisham gegen die Todesstrafe in den USA ein. Er lebt mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in Virginia.

Das Buch
Der charismatische Anwalt Mitch McDeere ist gefordert, erst soll er einen Todeskandidaten in Memphis retten, dann soll er die Tochter eines italienischen Kollegen aus den Fängen des IS befreien. 383 Seiten Spannung. "Die Entführung" *, von John Grisham Heyne, € 25,50

© Heyne

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 09/2024 erschienen.

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