"Der Krieg hat unser Land zerstört, aber dem Fußball geholfen"

Ivica Osim über die Chancen seiner Heimat Bosnien-Herzegowina bei der WM

Bosnien-Herzegowina hat 3,8 Millionen Einwohner. Nicht einmal halb so viel wie Österreich. Noch nie zuvor hatte sich ein so kleines europäisches Land für eine WM-Endrunde qualifiziert. Ivica Osim, 73, Extrainer von Sturm Graz, ist die graue Eminenz des bosnischen Fußballs. Ein Mythos des Ausgleichs in seiner ethnisch zerrissenen Heimat. Ins Gespräch gebracht sogar für den Friedensnobelpreis. Gegen Interviews sträubt er sich seit jeher. Aber wenn er in Fahrt kommt, dann redet er. Verriet NEWS das Geheimnis der bosnischen Fußball-Sternstunden: Der grauenvolle Balkankrieg hat das Land zerstört, dem Fußball aber geholfen.

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WM 2014 - "Der Krieg hat unser Land zerstört, aber dem Fußball geholfen"

NEWS: Wie steht's um Ihre Gesundheit, Herr Osim?

Osim (lacht) : Keine Gesundheit, aber ich lebe noch immer. Wenn man noch Fußball schauen kann, dann ist alles gut. Wie hat Österreich übrigens gegen Tschechien gespielt?

NEWS: Schlecht gespielt, aber 2:1 gewonnen.

Osim: Das ist wenigstens positiv. Ich kenne Herrn Koller nicht persönlich, aber ich habe mich informiert. Er gehört zu einer Gruppe guter, moderner Schweizer Trainer, auch in Deutschland arbeiten einige.

NEWS: Der Grund des Interviews, um das wir Sie gebeten haben, ist aber nicht der österreichische Fußball. Wieso ist Ihr junges Heimatland, das kaum halb so viele Einwohner hat wie Österreich, im Fußball so erfolgreich?

Osim: Der Krieg hat unser Land zerstört, aber dem Fußball geholfen. Junge Spieler sind als Flüchtlinge im Ausland groß geworden. Sie sind in Deutschland und auch in Österreich aufgewachsen und haben Disziplin gelernt, sind taktisch besser geworden, technisch auch. Jetzt haben wir im Nationalteam praktisch fertige Spieler. Fast die ganze Mannschaft stammt aus Deutschland. Das hilft uns enorm. Die Jugend ist fußballverrückt.

NEWS: Kann der Fußball beitragen, die ethnischen Probleme und Ängste, die nach dem schrecklichen Bürgerkrieg mit fast 100.000 Todesopfern immer noch existieren, zu überwinden?

Osim: Sehr sogar. Die Spieler leben im Teamkader zusammen, es ist leichter, mit ihnen über solche heikle Sachen zu reden. Sie stammen aus verschiedenen Ethnien, sind aber gute Kameraden geworden. Sie verstehen einander besser als die Politiker. Unser Nationalteam ist wieder ein Gemisch wie im alten Jugoslawien. Drei Volksgruppen, drei Religionen, drei politische Parteien. Teamchef Safet Susic spielte unter mir in Alt-Jugoslawien, er hat eine gute Atmosphäre geschaffen. Es gibt keine Probleme zwischen Bosniern, Kroaten und Serben. Und die Spieler sind äußerst karitativ, jetzt nach der Flut zum Beispiel. Sie helfen anderen Volksgruppen, den Kinderdörfern, dem Roten Kreuz. Besonders solche wie Dzeko, die mehr verdienen, sind da sehr großzügig.

NEWS: Die Republika Srbska, quasi ein Staat im Staate Bosnien-Herzegowina, will ihre eigene Nationalmannschaft?

Osim: Wie in Spanien Katalonien oder das Baskenland. Sie wollen ein eigenes Team und einen eigenen unabhängigen Staat. Ja, mit den Serben gibt's manchmal Probleme. Sonst sind alle gute Nachbarn, deren Fußball sich stark entwickelt. Mazedonien, Kroatien, Montenegro, Slowenien.

NEWS: Wie schätzen Sie Ihre Chancen bei der WM ein?

Osim: Einfach wird es nicht. Ziel ist der zweite Gruppenplatz. Zum Aufstieg brauchen wir am Montag im ersten Spiel ein Remis gegen den Gruppenfavoriten Argentinien. Und dann einen Sieg gegen den Iran oder Nigeria. Aber unsere Mannschaft kann nur noch besser werden, schlechter sicher nicht.

NEWS: Werden wir bei der WM durch eine neue Taktik, einen neuen Spielstil überrascht werden?

Osim: Eine Weltmeisterschaft zeigt oft, wohin sich der Fußball entwickelt. Taktisch oder technisch. Vielleicht wird er noch schneller. Und er wird lernen müssen -aber das ist kein WM-Problem -, in Zukunft mit weniger Geld auszukommen.

NEWS: Wo werden Sie die WM genießen? Zu Hause, mit Freunden?

Osim: Am liebsten fahre ich nach Graz und schau mir bei meinem jüngeren Sohn alles in Ruhe an. Niemand stört mich dort, und ich muss nicht auf Journalistenfragen antworten. Hier in Sarajewo überfallen mich sogar japanische Reporter, die meine Meinung über ihre Mannschaft wissen wollen. Ich verfolge ja nicht nur Sturm, Austria, Salzburg, Rapid im Fernsehen, sondern auch den Fußball in Japan. Schließlich war ich dort bis zu meinem Schlaganfall 2007 Teamchef.

NEWS: Als Chef der sogenannten Normalisierungskommission haben Sie viel beigetragen, dass die FIFA-Sperre über Bosnien-Herzegowina aufgehoben wurde. Arbeiten Sie noch für den Fußballverband?

Osim: Wir haben jetzt andere Aufgaben als früher im Fußballverband. Ich gehöre jetzt einer Gruppe von Beratern an. Wenn etwas nicht stimmt, müssen wir es lösen.

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