Mädchen überlebt in den
Armen der toten Schwester

Kleine Giorgia und die neunjährige Giulia in enger Umarmung unter Geröll entdeckt

Für die Helfer in der italienischen Erdbebenregion liegen Freude und Trauer oft ganz nah beieinander. In dem verwüsteten Ort Pescara del Tronto ist Giorgia nach 16 Stunden lebend unter den Trümmern ihres Kinderzimmers gefunden worden - für die ältere Schwester aber, die ihre Arme um die Vierjährige geschlungen hatte, kam jede Hilfe zu spät.

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Tragisch - Mädchen überlebt in den
Armen der toten Schwester

Die kleine Giorgia und die neunjährige Giulia seien in enger Umarmung unter zwei Metern Geröll entdeckt worden, zitierte die Zeitung "La Repubblica" am Freitag den Retter Massimo Caico. "Wir haben stundenlang gegraben und zunächst nichts gefunden", sagte er. Plötzlich aber sei zunächst eine Puppe unter den Steinen aufgetaucht, und dann ein Fuß. "Er war ganz kalt. Ein ganz schlechtes Zeichen", erinnerte sich Caico. Als der leblose Körper Giulias ausgegraben wurde, habe er aber bemerkt, dass sich die Erde daneben ganz leicht bewegte. Dann sei ein leichtes Stöhnen zu hören gewesen. "Da hat sich der Alptraum in einen Traum verwandelt", so Caico. "Giorgia lebt!", habe er geschrien.

Das kleine Mädchen habe den Mund voller Erde gehabt, sei aber offenbar durch den Körper ihrer Schwester geschützt worden. "Und wahrscheinlich ist irgendwie ein winziger Luftstrahl zu ihr durchgedrungen, der ausgereicht hat", sagte der Feuerwehrmann. Sie sei praktisch unverletzt gewesen und habe gleich nach Wasser gefragt. "Wenn es Wunder gibt, dann war das ganz sicher eins." Die Eltern der Mädchen seien schon Stunden vorher lebend geborgen worden, sie lägen schwer verletzt im Krankenhaus.

Bisher mindestens 267 Tote

Bei einem der verheerendsten Erdbeben in der jüngeren Geschichte Italiens sind mindestens 267 Menschen ums Leben gekommen und weitere 387 verletzt worden. In mehreren Ortschaften in Zentralitalien wurden jahrhundertealte kulturhistorische Bauwerke beschädigt oder zerstört. Die Zahl der Todesopfer könnte nach Angaben des Zivilschutzes noch steigen. Indes hat die italienische Regierung den Notstand ausgerufen.

Das Beben könne "noch schlimmere Dimensionen erreichen als jenes in L'Aquila" im Jahr 2009, warnte der Chef des Zivilschutzes, Fabrizio Curcio. Damals starben 309 Menschen. Nach Angaben der Feuerwehr wurden bisher mindestens 215 Menschen lebend aus den Trümmern gerettet. Etwa 6.000 Helfer kämpften unermüdlich gegen die Zeit. Aber einen Tag nach dem Beben einer Magnitude von mehr als 6 schwand mit jeder weiteren Stunde die Hoffnung, noch Überlebende zu finden.

Das Beben hatte übereinstimmenden Medienberichten zufolge in der Nacht auf Mittwoch um 3.36 Uhr begonnen und länger als zwei Minuten gedauert - genau 142 Sekunden. Bis Donnerstagabend gab es mehr als 460 teils starke Nachbeben, die die Arbeiten erschwerten. Gleichzeitig kam neue Kritik am Umgang des Landes mit dem Erdbebenschutz auf.

Die meisten Toten gab es in den Orten Amatrice und Accumoli in der Region Latium und in der Gegend um Pescara del Tronto in den Marken. Wie viele Menschen noch verschüttet oder vermisst sind, war am Abend noch immer unklar.

"Unmöglich, Zahl der Vermissten zu nennen"

"Es ist unmöglich, eine Zahl der Vermissten zu nennen", sagte Zivilschutzchef Curcio. Viele seien auf der Durchreise oder im Urlaub in den betroffenen Orten gewesen. Sie liegen zwischen den Regionen Latium, Umbrien, den Marken und den Abruzzen. Vor allem viele Italiener machen dort Urlaub.

Aber auch Ausländer kamen ums Leben, die Außenministerien in Madrid und Bukarest bestätigten den Tod eines spanischen und fünf rumänischer Staatsbürger. Von deutschen Opfern ist bisher nichts bekannt. Das Auswärtige Amt in Berlin stand mit der Botschaft in Italien in Kontakt.

Die Rettungsarbeiten waren die ganze Nacht mit Taschenlampen, Baggern und Spürhunden weitergegangen. Immer wieder wurden Leichen geborgen, die Zahl der Opfer stieg fast stündlich. Zahlreiche Nachbeben versetzten nicht nur die Überlebenden in Panik, sondern ließen auch Gebäude weiter einstürzen.

In Italien wurden an vielen öffentlichen Gebäuden die Fahnen auf halbmast gesetzt. Die Regierung in Rom hatte dies als Zeichen der Trauer und zum Gedenken landesweit angeordnet.

Bessere Vorsorgemaßnahmen gefordert

Rufe nach besseren Vorsorgemaßnahmen wurden laut, Italien müsse erdbebensicher werden, forderte etwa der frühere Regierungschef Romano Prodi. Denn das Land ist hoch erdbebengefährdet, weil unter dem Apennin-Gebirgszug die afrikanische und die eurasische Platte aufeinanderstoßen.

"Es wäre nötig, alle privaten Häuser auf Erdbebensicherheit zu überprüfen", sagte Gianpaolo Rosati, Direktor des Mailänder Polytechnikums. "Aber die Aufrüstung kostet oft mehr, als ein komplett neues Haus zu bauen. Deshalb schaffen es viele Privatleute nicht."

Tausende Menschen in den betroffenen Orten sind obdachlos, nachdem ihre Häuser eingestürzt sind. In Notunterkünften wie Zelten verbrachten viele die Nacht. Andere zogen es vor, in ihren Autos zu übernachten, so der Zivilschutz.

Kunstschätze sollen restauriert werden

Die italienische Regierung hat ihren vollen Einsatz für die Restaurierung der im Erdbebengebiet in Mittelitalien Kunstschätze versprochen. "Wir wollen versuchen, die zerstörten Gemeinden so aufzubauen, wie sie waren und zugleich Gebäude mit antiseismischen Standards garantieren", berichtete Kulturminister Dario Franceschini am Donnerstag. 295 Kulturgüter wurden im Erdbebengebiet beschädigt, 50 davon sind eingestürzt. "Die Bilanz wird noch steigen", sagte der Minister bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. In Macerata fast 100 Kilometer nordöstlich des Epizentrums wurde am Donnerstag die Kathedrale San Giuliano gesperrt, deren Fundamente aus dem 10. Jahrhundert stammen.

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